piwik no script img

Grundgesetz schützt KlimabewegungDie Umwelt in den Grund gesetzt

Das Grundgesetz schützt auch die Umweltbewegung. Auch deshalb fährt sie mit der demokratischen Verfassung besser als mit einer Öko-Diktatur.

Die Abschaltung der Atomkraftwerke in Deutschland wurde erreicht Foto: Lennart Preiss/dapd

P lötzlich war das Thema wieder da. „Und, zu welchem Thema schreibst du deine Masterarbeit?“, hatte ich die Tochter von Freunden gefragt. „Es geht um Klimadiktatur ja oder nein“, sagte die junge Frau. Oh-oh, dachte ich, das klingt vertraut. Vor 15 Jahren hatte ich ein Büchlein geschrieben, Titel „Ausweg Ökodiktatur?“. Meine These damals: Nein, Ökodiktatur löst keine Probleme. Heute bekommt man das Buch nur noch antiquarisch. Aber die grundsätzliche Frage steht offenbar wieder vorn im Regal.

Schon seltsam: Einerseits klingen Versprechungen von autoritärem Staat oder Klimadiktatur für viel zu viele Leute attraktiv. Andererseits wird gerade überall und zu Recht das runde Jubiläum des Grundgesetzes gefeiert. 75 Jahre ist unsere Verfassung und so rüstig und quicklebendig wie ein Silver Ager in Funktions­kleidung. Und gerade wir WeltretterInnen sollten stolz und glücklich sein über dieses lebendige Stück Demokratie.

Denn ohne unsere Verfassung sähe es auch in der Umwelt- und Klimapolitik noch viel düsterer aus. Immerhin steht der Schutz der „natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere“ in Artikel 20a. Aber wichtig sind auch viele andere Punkte des Grundgesetzes: Ohne die Garantie für Menschenwürde und Freiheit wäre Widerstand in Bürgerinitiativen nicht denkbar und die Umweltbewegung wie anderswo schnell kriminalisiert.

Die Freiheit kommender Generationen von Klimaschäden ist seit dem Klimaurteil des Verfassungs(!)gerichts als Maßstab in die Politik eingeführt. Die Redefreiheit garantiert die Greenpeace-Aktion am Schornstein ebenso wie die besserwisserische taz-Kolumne. Das Eigentumsrecht lässt Menschen Solaranlagen und Windräder bauen, die Freiheit der Wissenschaft klärt Fake News auf, wenn Populisten von links bis rechts bis doof mit Realitätsverweigerung Prozentpunkte sammeln wollen.

Es geht nicht nur um Windräder

Der Sozialstaat lässt uns 20 Milliarden Euro für die Kohleregionen aufbringen und uns fragen, warum zum Teufel es immer noch kein Klimageld gibt. Der Föderalismus stellt sicher, dass der Rest der Republik umweltpolitisch nicht so weit hinter dem Mond leben muss wie Bayern. Eine unabhängige Justiz führt dazu, dass die Regierung sich in peinlichen Verrenkungen erklären muss, wenn sie das Klimaschutzgesetz durchlöchert.

Dagegen sieht jede Klimadiktatur alt aus. Selbstverständlich geht in der guten, alten Demokratie beim Thema Klima und Artenschutz alles viel zu langsam. Aber wer denkt, eine Kommandowirtschaft nach chinesischem Vorbild sei die Lösung, der hat nicht verstanden, dass es nicht nur um Windräder und Solaranlagen geht – sondern um zentrale Zukunftsfragen nach politischer Rechenschaft und einer gerechten Wirtschaftsform – genau das, was Diktatoren bekämpfen.

Wer genau hinsieht, der merkt ohnehin: Wir leben trotz aller Rettungsversuche durch das Grundgesetz schon lange in der Ökodiktatur: in der brutalen Alleinherrschaft der Ökonomie, die im eigentlichen und übertragenen Sinn alles plattwalzt.

Und wer mal versucht hat, gegenüber manchen Autofahrern („ich hau dir aufs Maul!“) auch als Radfahrer auf seine Grundrechte auf Freiheit, Leben und Gesundheit zu pochen, der erfährt: Trotz Grundgesetz und freiheitlich-demokratischer Grundordnung hat die Bundesrepublik an manchen Stellen erreicht, was die DDR immer anstrebte:

die Diktatur des Proletariats.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Eine repräsentative Demokratie bedeutet ja, dass nicht gerade nicht immer der Mehrheitsmeinung gefolgt wird, sondern dass sich auch Minderheiten durchsetzen können, wenn sie ihr politisches Gewicht für ein Thema in die Waagschale werfen.

    Die Grünen erklärten die Home-Ehe zur Conditio sine qua non einer Koalition - sie kam prompt.

    Würden sich die Grünen voll für Klimaschutz einsetzen, würde da auch mehr erreicht werden, als es der Median-Wählen möchte. Bloß müssten sie dann anderswo Kompromisse eingehen, und dazu waren sie offenbar nicht bereit.

  • Gerade hat Ulrike Herrmann in ihrer Kolumne am Beispiel EU-Gründung wieder einmal deutlich gemacht, dass gewählte Politiker eigentlich mit der herrschenden Ökonomie nichts am Hut ha(b)tten: Dabei weisen die Nachfolger Maos gerade, wie es funktioniert mit dem Primat der Politik gegenüber der Ökonomie: Diese ganze Globalisierung, die den Raubbau an Ressourcen, den überquellenden, kaum nützlichen Konsum mit sich gebracht hatte, wurde -leider nur scheinbar, verstrickt waren sie alle, die Repräsenten unserer 'Demokratie'- 'politisch' kaum berücksichtigt: Jetzt, wo die Raffenden nicht mehr wissen, wie sie das 'Wachstums'-Spiel überhaupt noch weiter machen können, ohne alles zu verlieren, fällt auf, die der gierige Kapitalismus seine brutale Rückseite offenbart, wenn Menschen nicht mehr wissen, wo sie es hernehmen sollen, weil sie nicht mehr gebraucht werden und die Natur der Erde auch nicht mehr mitspielt.

  • Naja, wenn die Anreize sauber wären, könnte mensch den "Markt" auch mal machen lassen.



    Sind sie aber nicht, wie der Artikel ja einfließen lässt.

    Am besten aus dem universalen Prinzip der Menschenwürde auch kommender Generationen und dem Umweltstaatsziel gemeinsames Handeln ableiten.

    • @Janix:

      Volle Zustimmung zu Ihrem ersten Satz, danke!

      Was Ihr Resumee angeht, bitte keine unnötigen Vermischungen hoher Rechtsgüter. Es muss hier nicht einmal um Menschenwürde gehen. Selbst das Umweltschutzstaatsziel ist meines Erachtens bereits unnötig, weil: der Erhalt unserer Lebensgrundlagen sollte ganz generell Ziel jeder Politik sein, die sich den Erhalt unserer Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben hat, damit auch der CDU/CSU und der FDP - eigentlich



      Ist in meinen Augen damit eher ein Kommunikationsproblem :)

  • "Wer genau hinsieht, der merkt ohnehin: Wir leben trotz aller Rettungsversuche durch das Grundgesetz schon lange in der Ökodiktatur: in der brutalen Alleinherrschaft der Ökonomie, die im eigentlichen und übertragenen Sinn alles plattwalzt."

    Genau das stimmt nicht! Wenn es einen halbwegs brauchbaren Indikator für das "Wohlbefinden" der Menschen gibt, dann ist es die durchschnittliche Lebenserwartung. Die hat sich durch die Ökonomie in den letzten 150 Jahren mehr als verdoppelt (und zwar überall auf der Welt), in armen Gesellschaften von rund 30 auf rund 60 Jahre, in reichen von rund 40 auf rund 80 Jahre. Überall dort, wo die Marktwirtschaft und/oder die Demokratie abgelehnt wurden, war/ist sie geringer (war auch in der DDR so).

    Schaut man nur auf die Reichen, dann ist deren durchschnittliche Lebenserwartung überall höher, aber nur um wenige Jahre und keinesfalls entsprechend ihrer Einkommen und Vermögen.

    Die Welt ist weit davon entfernt, gerecht zu sein, aber die Dominanz der Ökonomie walzt sie nicht platt.

  • "und die Umweltbewegung wie anderswo schnell kriminalisiert." Wieso wie anderswo, wenn das bei uns doch schon seit Jahren passiert?



    Das GG schützt eben nicht vor Kriminalisierung. Es schützt derzeit noch vor physischer Gewalt und vor Ökologiediktatoren, wenngleich die Ökonomiediktatoren schon lange unerkannt agieren.

  • " Grundgesetz schützt Klimabewegung:



    Die Umwelt in den Grund gesetzt



    Das Grundgesetz schützt auch die Umweltbewegung."

    Naja, meine Beobachtung die letzten Jahre ist, dass unter dem Feigenblatt des Klimaschutzes die Umwelt erst recht geplündert wird: flächiger Raubbau an wunderschönem Mischwald, um den Wald "klimaresilienter" zu machen, während ein paar Meter weiter totkranke Fichtenmonokulturen stehen gelassen werden ( so geschehen in Dossenheim an der Bergstrasse, abgesegnet von Bürgermeister und Gemeinderat ohne jegliches kritisches Nachfragen.) Tja, die Kassen sind leer...

    Drum merke, gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.



    Schade, da- das Grundgesetz nirgendwo den gesunden Menschenverstand schützt. Da wären dann auch Überlegungen wie "Ökodiktaturen" automatisch obsolet.