Hunderttausende Kitaplätze fehlen: In jeder Hinsicht systemrelevant
Den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz kann der Staat nirgends einlösen. Das geht auf Kosten der Chancen von Kindern benachteiligter Familien.
S chon wieder eine Horrorzahl aus dem Bildungsbereich. Sage und schreibe 429.000 Kitaplätze fehlen bundesweit, rechnet die Bertelsmann Stiftung vor. Auch wenn sich manche Länder in den letzten Jahren ordentlich ins Zeug gelegt haben, um möglichst alle Kinder betreuen zu können – den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz kann der Staat so gut wie nirgends einlösen. Auch zehn Jahre nach seiner Einführung nicht. Es reicht aber nicht, dass Bund und Ländern dieses Versagen peinlich ist. Sie müssen mehr für eine gute Kinderbetreuung tun.
Da ist zunächst die Attraktivität des Berufes. Es ist kein Wunder, dass Erzieher:innen in Berlin gerade für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Wer verhindern möchte, dass überlastete Kita-Fachkräfte sich irgendwann was anderes suchen, sollte seinem Personal ein höheres Gehalt zahlen und mehr Aufstiegschancen bieten. Fehlende (finanzielle) Anerkennung ist ein Grund, warum viele die Kita wieder verlassen.
Dass die Länder in diesem Punkt lernfähig sind, haben sie beim Gehalt von Grundschullehrer:innen bewiesen. Wenn Kitas also so systemrelevant sind, wie die Politik gerne betont, sollte sich das endlich auch im Geldbeutel derer widerspiegeln, die das auf Kante genähte System zusammenhalten.
Wie dringend nötig mehr Personal wäre, wissen Eltern nur zu gut. Vor allem bei den unter Dreijährigen klafft die Lücke zwischen ihrem Bedarf und dem tatsächlichem Angebot auseinander. Und dort, wo die Lücken kleiner und die Betreuungsquoten höher sind wie im Osten, leidet die Qualität. In Thüringen oder Meck-Pomm muss sich eine Fachkraft im Schnitt um mehr als 10 Kindergartenkinder kümmern. Da bleibt nicht viel Zeit für das einzelne Kind.
Eine flächendeckend gute Kita-Ausstattung muss aber alleine aus Gründen der Chancengerechtigkeit her. Studien zeigen, wie stark Kinder aus sozial benachteiligten Familien bei der Vergabe der knappen Kitaplätze benachteiligt werden. Es braucht also Plätze für alle, damit die Benachteiligten nicht schon zum Schulstart total abgehängt sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Merz stellt Reform in Aussicht
Zarte Bewegung bei der Schuldenbremse
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Schuldenbremsen-Dogma bröckelt
Auch Merz braucht Geld
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“