Frühkindliche Bildung: 430.000 Kinder ohne Kitaplatz

Auch zehn Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz wird dieser nicht erfüllt. In den alten Ländern fehlen Plätze, im Osten Fachkräfte.

Sandspielzeug im Sand und ein herbstblatt

Baustelle Kita-Ausbau: Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern sind derzeit „wohnort­abhängig“ Foto: fossiphoto/imago

BERLIN taz | Die gute Nachricht zuerst: Sofern die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden, besteht die Aussicht, dass bis zum Jahr 2030 bundesweit mehr Kitaplätze verfügbar sind. Die schlechte Nachricht lautet allerdings: Der akute Mangel ist groß. Denn derzeit fehlen in der Bundesrepublik rund 430.000 Plätze für Kitakinder. Das geht aus dem „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“ sowie aus dem „Fachkräfteradar für Kita und Grundschule“ der Bertelsmann Stiftung hervor, die beide am Dienstag veröffentlicht wurden.

Der Monitor beruht auf Statistiken aller 16 Bundesländer zu Kitas in Deutschland. Demzufolge gab es zwar in den vergangenen Jahren „erkennbare Fortschritte beim Ausbau“ von Kita-Angeboten, wie die ForscherInnen schreiben. Zugleich aber sei der Bedarf der Eltern kontinuierlich gestiegen: Immer mehr Eltern wünschten sich insbesondere für ihre jüngeren Kinder eine Betreuung. Derzeit aber könne der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, den es seit zehn Jahren auch für Kinder ab einem Jahr gibt, für Hunderttausende Kinder nicht erfüllt werden.

Dabei ist das Ost-West-Gefälle groß: In westdeutschen Bundesländern bleiben derzeit rund 386.000 Kinder ohne Platz. Im Osten hingegen fehlen immerhin nur knapp 45.000 Plätze. Dort allerdings ist eine Fachkraft „für zu viele Kinder zuständig“, wie es im Bericht heißt: Ein Erzieher oder eine Erzieherin, die Vollzeit arbeitet, ist im Westen rechnerisch für 3,4 Kinder in Krippengruppen bis drei Jahren und für 7,7 Kinder in Kindergartengruppen verantwortlich. Demgegenüber kommen im Osten 5,4 beziehungsweise 10,5 Kinder auf eine Fachkraft.

Das entspricht längst nicht den Bedarfen: „Unseren wissenschaftlichen Empfehlungen zufolge“, so die ForscherInnen, „müssten die Personalschlüssel bei 1 zu 3 sowie bei 1 zu 7,5 liegen.“ Fast 90 Prozent der Kitakinder im Osten Deutschlands werden also in Gruppen betreut, deren Personalschlüssel „nicht kindgerecht sind“. Auch im Westen betrifft das noch mehr als 60 Prozent der Kinder. Der Fachkräftemangel, sagt Anette Stein, die bei der Bertelsmann Stiftung für frühkindliche Bildung zuständig ist, führe zunehmend dazu, dass der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz nicht erfüllt werden könne – und gefährde zudem den Bildungsauftrag in den Kitas. „Die Situation ist für Kinder und Eltern wie auch für das vorhandene Personal untragbar geworden.“

Neben dem Ländermonitor veröffentlichte die Stiftung am Dienstag auch den sogenannten Fachkräfteradar für Kita und Grundschule. Der berechnet alle zwei Jahre aufgrund von Variablen wie Bevölkerungsentwicklung, Personalzuwachs oder Betreuungszeiten verschiedene Szenarien, wie sich Angebote und Bedarfe in beiden Bereichen für die einzelnen Bundesländer entwickeln. Zwischen 2011 und 2022, so die AutorInnen, habe der enorme quantitative Ausbau des Kitasystems in Deutschland bereits zu einem Anstieg des Personals um mehr als 70 Prozent auf rund 680.000 Fachkräfte geführt. Ein Grund für diesen Zuwachs ist, dass immer mehr Kinder unter drei Jahren betreut werden: Zwischen 2011 und 2022 wuchs die Zahl um rund 60 Prozent.

Weil das Personal dennoch nicht reiche und zudem ungleich verteilt sei, seien die Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern derzeit „wohnort­abhängig.“ Doch bis 2030 können, prognostiziert der Radar, im Osten wie im Westen sowohl die aktuellen Elternbedarfe erfüllt als auch die teils günstige Personalausstattung gehalten oder verbessert werden. Ebenfalls in Ostdeutschland, zudem in Hamburg, bestehe neben der Erfüllung der Platzbedarfe sogar die Möglichkeit, „mit einiger Anstrengung“ eine kindgerechte Personalausstattung zu erreichen. Im Osten liegt das auch daran, dass immer weniger Kinder geboren werden.

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