Geflüchtete auf Lampedusa: Italien will nicht helfen
Tausende Geflüchtete erreichten diese Woche Lampedusa. Die Insel ist überlastet, doch die italienische Regierung weigert sich zu helfen.
Es kam, wie es kommen musste. Erneut schnellen die Zahlen der ankommenden Geflüchteten auf Lampedusa in die Höhe, nachdem einige Tage wegen schlechten Wetters und rauer See Ruhe gewesen war. Und die Situation für die hilfsbedürftigen Menschen ist schlimmer denn je. Binnen drei Tagen trafen auf dem kleinen Eiland rund 8.000 Menschen ein, die von Tunesien aus in See gestochen waren. Stundenlang mussten ihre kleinen Kähne zu Dutzenden in der Hafeneinfahrt warten, ehe sie am Kai anlegen konnten. Das war schon heillos mit gerade Eingetroffenen überfüllt.
Ähnliche Bilder aus Lampedusa gingen Ende August um die Welt. Diesmal allerdings kamen hässliche Szenen hinzu: Italienische Polizisten, die auf dem Kai den Schlagstock gegen aufgebrachte, durstige, von der Sonne zermürbte Geflüchtete einsetzten. Zum Schlagstock griffen Beamte dann auch im Lager für Geflüchtete auf Lampedusa, das am Mittwoch mit 7.000 dort aufgenommenen Menschen aus allen Nähten platzte – regulär ist es für 400 Personen ausgelegt. Auf dem nackten Boden im Hof des Lagers, sogar auf dem Asphalt der Zufahrtsstraße mussten Geflüchtete die Nacht verbringen.
Nicht umsonst sprach eine Lager-Mitarbeiterin von einer „Apokalypse“, nicht umsonst rief der Gemeinderat von Lampedusa den Notstand für die Insel aus. Und erneut stellt sich die Frage: Wer versagt da gerade? Ist es Italien? Ist es Europa?
Für die Regierung in Rom unter der Postfaschistin Giorgia Meloni liegen die Dinge auf der Hand. Wieder einmal verkünden sie samt diversen Ministern, Italien werde „von Europa alleingelassen“. Wer aber glaubt, Meloni wolle da eine europäische Beteiligung an der Seenotrettung einklagen, der irrt.
Seenotrettungsmission beendet
Am 3. Oktober wird sich zum zehnten Mal die Tragödie vom 3. Oktober 2013 jähren, als 368 Menschen direkt vor Lampedusa nach dem Kentern ihres Schiffs elendig ertranken. In Folge dieser Katastrophe hatte Italien damals die staatliche Seenotrettungsmission „Mare Nostrum“ aufgelegt. Sie wurde im Jahr 2015 von der EU-Mission „Sophia“ abgelöst, in der zahlreiche Schiffe den Kampf gegen Schleuser führen, zugleich aber auch Menschen retten sollten.
„Sophia“ allerdings wurde im Jahr 2018 beerdigt. Der damalige italienische Innenminister und heutige Koalitionspartner Melonis, der Chef der fremdenfeindlichen Lega-Partei Matteo Salvini, wollte die Mission nicht mehr. Und auch heute ruft die italienische Rechtsregierung nicht nach europäischem Engagement in der Seenotrettung.
Ganz im Gegenteil: Systematisch werden die NGOs aus Frankreich, Spanien oder Deutschland, die mit ihren Schiffen im Mittelmeer kreuzen, von Italiens Behörden schikaniert. Ihnen werden Häfen weit im Norden Italiens zugewiesen, ihre Schiffe werden immer wieder wochenlang an die Kette gelegt, dazu hagelt es auch noch Geldbußen.
Falsche Vorstellung von Solidarität
Stattdessen wünscht sich Italien „europäische Solidarität“ bei der Umverteilung der Flüchtlinge unter den Mitgliedstaaten – hat dafür aber nicht wirklich zwingende Argumente auf seiner Seite. Bei den Zahlen von Asylanträgen lag das Land im Jahr 2022 deutlich hinter Deutschland, Frankreich, Spanien oder Österreich, bei den Ukraineflüchtlingen kommt Italien auf gerade einmal 170.000.
Europäische Solidarität wünscht Meloni sich jetzt deshalb auch auf einem ganz anderen Feld; bei der „Verhinderung der Primärankünfte“. Sie selbst hatte, im Verein mit Ursula von der Leyen, im Juli dem tunesischen Präsidenten Kais Saied Millionenhilfen der EU in Aussicht gestellt, wenn Tunesien endlich die Abfahrten der Boote von seiner Küste verhindere.
Und jetzt sähe sie gern ein entschlosseneres Engagement der EU zugunsten Tunesiens. Sprich zugunsten jenes Landes, dessen Präsident mit seiner Hetze gegen Migrant*innen aus dem subsaharischen Afrika jene Pogromstimmung erzeugt hat, die die Menschen zu Tausenden auf die Boote Richtung Lampedusa treibt.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen