Klimacamp von Ende Gelände in Hannover: Aktionsform an Katastrophe anpassen
Die Klimabewegung steckt in einer Krise. Aktivist:innen von Ende Gelände diskutieren über Strategien und tanzen bis tief in die Nacht.
Seit sich das Bündnis Ende Gelände 2014 gründete, reisten Klimaaktivist*innen verschiedenster Strömungen immer wieder zu den großen Aktionen gegen den Braunkohletagebau im Rheinischen Revier und in der Lausitz. In den Jahren 2018 und 2019 erreichten die Proteste ihren Höhepunkt. Ziel war es, einen Ausstieg aus der Kohle zu erreichen. Der ist mittlerweile beschlossen, muss allerdings noch umgesetzt werden.
Für die Aktivist*innen stellen sich nun viele Fragen. Denn die Anforderungen an die gesellschaftliche Transformation, die angesichts der fortschreitenden Klimakatastrophe notwendig ist, sind immens. Worauf sollen sich die Aktivist:innen konzentrieren? Auf Proteste gegen die fossilen Energieträger LNG und Erdgas oder den Individualverkehr? Sollten kolonialistische Kontinuitäten und verschiedene Betroffenheiten durch die Klimakrise im Fokus stehen? Sollte sich die Klimabewegung in realpolitische Prozesse einbringen oder eine radikal-antagonistische Haltung einnehmen? Und wie geht die Bewegung mit der zurückgehenden gesellschaftlichen Unterstützung für Klimaproteste um?
„Ich hoffe, dass wir gestärkt aus der Woche gehen“, sagt der langjährige Klimaaktivist Janus Petznik der taz. Er sei frisch „auf dem Raumschiff“ gelandet, wie er das Camp liebevoll nennt. Er hoffe, dass die Vereinzelung, die nach der Räumung Lüzeraths gefolgt sei, durch das Camp aufgefangen werde. In Lützerath war Petznik zuletzt in der Kampagnenentwicklung und dem Bewegungsaufbau aktiv. Aktivist*innen besetzten das Dorf im Herbst 2021. Der Weiler sollte trotz beschlossenen Kohleausstiegs abgebaggert werden. Unter massiven Protesten wurde die Besetzung im Januar 2023 geräumt.
12 Zelte, 150 Veranstaltungen
Seitdem richtet sich Ende Gelände strategisch neu aus. In regionalen Bündnissen soll es eine höhere Taktung an Aktionen geben, statt sich auf einen zentralen Großevent zu orientieren, heißt es aus Aktivist*innenkreisen. Die Stärke des laufenden Prozesses sei die Vielfalt der Bewegung, sagt eine Aktivistin, die sich Noor nennt. Wie viele hier will sie nicht ihren richtigen Namen nennen. Die Aktivist:innen haben Angst vor Kriminalisierung.
Die 30-Jährige moderiert Teile der Debatte. „Wer wir sind und was wir erreichen wollen, das waren zentrale Fragen“, berichtet sie. Aus der migrantischen Selbstorganisierung kommend, engagiert Noor sich seit der Besetzung Lüzeraths für Klimagerechtigkeit. Für sie schwinge immer auch der akute Handlungsbedarf mit, sagt sie. Hoffnung gebe ihr das Camp selbst. „Was wir theoretisch fordern – also, dass wir uns gegen jede Form von Unterdrückung und Ausbeutung stellen –, muss auch in unserer täglichen Praxis geschehen“, so Noor. Um dies zu leisten, müsse eine Alternative erlebt und erprobt werden. Sie habe die Diskussion dabei als hitziges, aber trotzdem als angemessenes Miteinander erlebt, sagt die Aktivistin.
In zwölf Zelten und im Freien gibt es die gesamte Woche über 150 verschiedene Programmpunkte – Diskussionen, Führungen zur lokalen Waldbesetzung Tümpeltown gegen den Ausbau der Stadtautobahn, Lesekreise, Vorträge und Workshops. Die Veranstaltungen tragen Titel wie „Climate Change and migration“, „Radikale Realpolitik: brauchen wir Parteien für mehr Klimagerechtigkeit?“ und „Degrowth als Utopie“. Trotz anhaltenden Regens ist die ganze Woche über viel los. Hier kommt eine Getränkelieferung, dort beginnt ein Treffen, und es gibt endlich Essen – kostenlos und für alle. Wer kommt, muss nichts zahlen. Die Finanzierung übernimmt das Aktionsbündnis Ende Gelände.
Diskussion über Letzte Generation
Ein Gesprächsthema, das immer wieder aufkommt, sind die „Klimakleber“ und deren mediale Präsenz. Die Gruppe Letzte Generation polarisiert mit ihren Aktionen. Die Aktivist*innen appellieren an die Regierung, etwa ein 9-Euro-Ticket einzuführen. Sie sind trotz ihrer recht zahmen Forderungen massiver Repression ausgesetzt. Ob es mit den gesellschaftlich stark umstrittenen Blockaden der Letzten Generation zusammenhängt oder nicht: Laut einer Umfrage der gemeinnützigen Organisation „More in common“ ist die Unterstützung für die Klimabewegung in der Bevölkerung zurückgegangen. Zahlreiche Aktivist*innen werfen der Letzten Generation vor, der Bewegung zu schaden.
Janus Petznik, Aktivist
Anhand der Umfrage zeige sich vor allem, was eine harte und eine weiche Mehrheit für den Klimaschutz sei, sagt dazu Aktivist Petznik. Aus seiner Sicht wären mehr Utopie und Hoffnung wichtig. Ihn stört die Endzeitrhetorik, der sich einige Klimagruppen zuwenden. „Es war nie die Stärke der Klimagerechtigkeitsbewegung, Angst zu schüren“, sagt Petznik. „Wenn wir uns von der Hoffnung trennen, macht Klimapolitik keinen Sinn mehr.“
Die Letzte Generation mache es mit ihrer Aktionsform sehr gut, inhaltlich aber leider sehr schlecht, glaubt Aktivist Felix, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen will. Er ist seit mehreren Jahren bei dem kommunistischen Bündnis „… ums Ganze“ aktiv, das bei Ende Gelände mitmischt. Was dem antikapitalistischen Teil der Klimabewegung fehle, sei ein Angebot, das ähnlich disruptiv wirke. Man müsse die Aktionsform der eskalierenden Klimakatastrophe anpassen, sagt der Aktivist. Es bräuchte zukünftig eine Mischung verschiedener bekannter Taktiken. „Was französische Aktivist*innen kürzlich mit einem Zementwerk veranstaltet haben, ist ein gutes Beispiel“, so Felix. Das Netzwerk „Aufstand der Erde“ sorgte mit etwa 200 Personen für Sachschaden in Millionenhöhe.
An Zielen für Aktionen sieht die Klimabewegung in naher Zunkunft keinen Mangel. In München findet Anfang September erneut die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) statt. Dem Heiligsten der Deutschen, dem Auto, wollen die Aktivist*innen dort erneut den Kampf ansagen. Auf Rügen wird Ende September gegen die Baustelle des größten LNG-Terminals Europas demonstriert.
Geht es nach der Gruppe „… ums Ganze“, wird bald der Milliardär Elon Musk und dessen E-Autofabrik bei Berlin Ziel der Klimabewegung. Verschiedene Themenfelder kämen hier zusammen, sagt Felix. Für eine Erweiterung des Werks wird ein Gaskraftwerk gebaut, das Grundwasser in der Lausitz leidet unter dem Projekt und die verwendeten Rohstoffe zeigen koloniale Kontinuitäten auf.
Das Wichtigste sei, zu vermitteln, dass es keine Eindämmung der Klimakatastrophe im Kapitalismus geben könne, erklärt Felix. „Wir müssen verstehen, dass es im Globalen Norden durchaus auf materielle Einschnitte hinauslaufen wird“, sagt der Aktivist. Für diese Situation müsse man eine Lösung präsentieren, die solidarische Antworten jenseits der Festung Europa finde. Dafür schmieden Aktivist*innen verschiedener Gruppen eine Allianz.
Die wichtigste Entscheidung in Hannover sei, dass die Diskussion weitergeführt wird, sagt Noor. Das Zusammenkommen zeige ihr, dass es einen Weg aus dem bestehenden System gebe. „In eine andere Welt, die wir gern hätten“, so Noor. Nach einer Woche endet das Camp in Hannover. Am letzten Abend schüttete es wie aus Kübeln. Trotzdem wird bis in die Nacht getanzt.
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