: Ukraine fordert konkrete Hilfen
Nach dem ersten Krisentreffen des Nato-Ukraine-Rats hält sich die Nato mit Zusagen zu militärischem Schutz weiterhin zurück
Von Gemma Teres Arilla und Tanja Tricarico
Gerade einmal zwei Wochen alt ist der Nato-Ukraine-Rat. Nun hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski das Gremium zu einer ersten Krisensitzung einberufen. Botschafter:innen der 31 Nato-Staaten und der Ukraine berieten sich am Mittwoch in Brüssel über eine gemeinsame Reaktion zur verschärften Lage im Schwarzmeer, nachdem Russland das Getreideabkommen am 17. Juli aufgekündigt hatte. Zweimal zuvor war der von der Türkei und den UN vermittelte und im Juli 2022 beschlossene Schwarzmeer-Getreidedeal verlängert. Nun verfolgt Russland einen anderen Plan.
Der Rat hatte erstmals beim Nato-Gipfel im litauischen Vilnius getagt, was als wichtiger nächster Schritt in Richtung Nato-Mitgliedschaft der Ukraine gilt. Eine Einladung des Landes, der Nato beizutreten, oder auch einen konkreten zeitlichen Fahrplan gab es in Vilnius nicht, dafür mit dem Rat ein neues Gremium als Teil eines dreiteiligen Pakets. Vereinbart wurden Beratungen auf „Augenhöhe“, mindestens viermal im Jahr wollen die Mitgliedsstaaten in diesem Format zusammenkommen. Zusätzlich kann die Ukraine jederzeit um ein Krisentreffen bitten. Dies war jetzt der Fall.
Selenski geht es vor allem um die Sicherheit ukrainischer Getreidehäfen. Diese waren in den vergangenen Tagen mehrfach beschossen worden, vor allem die südukrainische Hafenstadt Odessa und die ebenfalls strategisch wichtige Stadt Mykolajiw, unweit der umkämpften Stadt Cherson. Über das Getreideabkommen hinaus stand generell der weitere Verlauf des Ukraine-Krieges auf der Tagesordnung. Mit militärischem Schutz hält sich die Nato immer noch zurück. Zu groß ist die Gefahr, in den Krieg hineingezogen zu werden. Die Ukraine hingegen fordert konkrete Hilfen seitens des Rates. Zu Recht, denn nach dessen Gründung befürchteten viele, dass das Gremium lediglich als „Beruhigungspille“ fungiere, und nicht als ernstzunehmende Institution, die bei Krisenfällen einschreitet.
Aus der FDP war im Vorfeld des Treffens in Brüssel die Forderung an die Schwarzmeerstaaten Türkei, Rumänien und Bulgarien gekommen, die Transporte zu sichern. Sie würden für die Getreideschiffe schließlich ihre Hoheitsgewässer zur Verfügung stellen und hätten ohnehin Schiffe zur Kontrolle der eigenen Grenzen vor Ort.
Ein vorübergehendes Importverbot für Getreide aus der Ukraine in deren Nachbarstaaten Polen, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und die Slowakei wird zunächst nicht über den 15. September hinaus verlängert, wie es die fünf Staaten verlangt hatten. So äußerten sich die EU-Landwirtschaftsminister am Dienstagabend in Brüssel. Im September soll die Vereinbarung erneut beraten werden.
Auch am Mittwochnachmittag meldete die ukrainische Luftwaffe die Bedrohung durch einen russischen Raketenangriff. „Eine Gruppe von Tu-95MS (12 Flugzeuge) startete vom Flugplatz Olenya, in der russischen Region Murmansk. Die geschätzte Ankunftszeit an den Feuerlinien ist 17 Uhr. Achten Sie auf die Durchsagen. Im Falle einer Luftangriffssirene begeben Sie sich bitte in einen Schutzraum!“, schrieb die ukrainische Luftwaffe auf Telegram. In diesem Zusammenhang sagte Selenski kurz zuvor ebenfalls auf Telegram, dass die Ukraine eine „Verstärkung“ des Luftverteidigungssystems erhalten habe. Konkrete Details nannte er nicht.
Seit Ende Juni wird in der Nato-Ostflanke stark darüber diskutiert, inwiefern die Verlegung von Wagner-Söldnern nach Belarus, direkt an der EU-Außengrenze, eine Bedrohung für die Nato-Mitglieder darstellt. Am Dienstagabend veröffentlichte das unabhängige belarussische Militärbeobachtungsmedium Belaruski Hajun Informationen darüber, dass ein weiterer Konvoi der Wagner-Gruppe in Belarus eingetroffen sei. Es sei der elfte Konvoi, der in letzter Zeit angekommen sei, und der erste, der gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Shchuka (Pike) mitbringe, so das belarussische Medium.
Erwartet wird, dass das ukrainische Parlament, Verkhovna Rada, in den kommenden Tagen das Kriegsrecht und die allgemeine Mobilisierung erneut verlängert – nach Angaben des ukrainischen Parlamentsabgeordneten Yaroslav Zhelezniak voraussichtlich bis zum 15. November.
Beim Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in Vilnius wurde darüber hinaus die Nato-Norderweiterung beschlossen. Schon bald soll das nordatlantische Bündnis 32 Mitglieder haben. Zumindest, wenn die Empörung in der Türkei über die Koranverbrennungen in Schweden den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht dazu bringt, seine mündliche Zusage gegenüber dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson wieder zurückzunehmen. Eine Abstimmung über die Ratifizierung des Nato-Beitritts Schwedens steht im türkischen – und ungarischen – Parlament noch aus.
Am Dienstag wurde bekannt, dass die EU der Ukraine einen neuen Kredit über 1,5 Milliarden Euro gewährt hat. Das Geld soll unter anderem an Schulen, Notunterkünfte und Krankenhäuser gehen und für Löhne und Renten genutzt werden.
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