Abschiebung in NRW: Behörden brechen Kirchenasyl
Mit Gewalt hat die Polizei versucht, ein kurdisches Paar aus einer Kirche nach Polen abzuschieben. Am Freitag gibt es eine Mahnwache.
„Die Behörden sind sehr grob vorgegangen“, erzählt Langer ein paar Tage später. Die Frau des Paars habe Blutergüsse erlitten, sie selbst habe einen Notarzt gerufen, der nicht durchgelassen worden sei. Die Stadt Viersen will zu den Einzelheiten der Räumung keine Stellung nehmen. Beim Versuch, das Paar in ein Flugzeug zu setzen, brach die Frau schließlich zusammen. Die Abschiebung scheiterte. Zurzeit sitzen die beiden in Darmstadt in Abschiebehaft.
„Das ist ein Präzedenzfall“, sagt Tom Brandt vom Ökumenischen Netzwerk Kirchenasyl. Seit 2014 ist kein Kirchenasyl mehr durch die Behörden geräumt worden. Zwar komme es immer wieder vor, dass ein Asylantrag aus dem Kirchenasyl heraus abgelehnt werde, sagt Brandt, in der Mehrheit der Fälle könnten sich die Antragsteller:innen aber trotzdem weiter in Deutschland aufhalten, weil sie aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak kommen. Dorthin wird in der Regel aktuell nicht abgeschoben.
„Das Kirchenasyl ist kein rechtsfreier Raum“, sagt auch Elke Langer. Falls jemand aus dem Kirchenasyl abgeschoben werden müsse, würden sich normalerweise Kirchengemeinde und Behörden zusammensetzen, um das weitere Vorgehen abzusprechen.
Amtsleiter in der Kritik
Die Stadt Viersen weist die Vorwürfe von sich. Die Vereinbarungen mit den Kirchen seien beachtet worden. Die Abschiebung sei „nach den gesetzlichen Vorgaben“ erfolgt, eine „Ausreisepflicht“ habe vorgelegen. Die Ausländerbehörde habe auf Weisung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gehandelt.
Allerdings schreibt das Bamf nur vor, dass eine Abschiebung durchgeführt werden muss, wann und mit welchen Mitteln liegt jedoch im Ermessen der Behörden vor Ort. „Die Verwaltung muss sich dazu erklären“, fordern die Viersener Grünen. Sie sehen besonders die Rolle des Amtsleiters der Ausländerbehörde kritisch.
Für Tom Brandt vom Netzwerk Kirchenasyl ist klar, dass die Räumung des Kirchenasyls nicht legitim war. Das betroffene Ehepaar sind Kurd:innen aus dem Nordirak, „Sie sind nicht nur wegen der allgemeinen Lage dort bedroht, ihre Familien billigen auch die Ehe nicht“, erzählt Tom Brandt. Der Mann sei von Zwangsverheiratung bedroht gewesen.
Über die Grenze zwischen Belarus und Polen sollen die beiden schließlich in die EU gekommen sein. Laut dem Dublin-Verfahren müssten sie dort auch den Asylantrag stellen. Ein erster Asylantrag wurde deshalb abgelehnt, das Paar im Dezember 2022 nach Polen abgeschoben. Es kehrte kurz darauf nach Deutschland zurück – aus Angst.
Abschiebung droht weiter
In Polen seien die beiden schon beim Grenzübertritt beschimpft und inhaftiert worden, berichtet Brand: „Sie sind traumatisiert.“ Pfarrerin Langer ergänzt, dass bei der Frau eine Suizidgefahr attestiert worden sei. Das Kirchenasyl in Nettetal sollte das Paar dann vor einer erneuten Abschiebung nach Polen beschützen.
Die Bedingungen für das Kirchenasyl seien nicht gegeben, erklärt ein Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg gegenüber der taz. Es liege kein gültiger Folgeantrag auf Asyl vor und damit auch keine Grundlage für das Kirchenasyl. Zudem müssten die Vorwürfe gegenüber den polnischen Behörden in einem Härtefalldossier dargelegt werden. Dies sei nicht erfolgt.
„Laut seinem Verständnis hat das Paar bei der Wiedereinreise einen Folgeantrag auf Asyl gestellt“, erwidert Tom Brandt. Ein Härtefalldossier werde erst dann erstellt, wenn das Bamf eine entsprechende Frist gesetzt habe. Das Netzwerk Kirchenasyl will nun mit einem Eilverfahren die drohende Abschiebung verhindern.
Im Moment befinden sich die Eheleute in Abschiebehaft in Darmstadt, der Abschiebetermin ist für Dienstag angesetzt. „Es geht ihnen so weit gut“, sagt Pfarrerin Elke Langner, die sie am Wochenende besucht hat. Allerdings müsse die Frau des Paars Beruhigungsmittel nehmen, um sie vor einem erneuten Zusammenbruch zu schützen.
Für Freitagnachmittag ruft das Netzwerk Kirchenasyl zu einer Kundgebung vor dem Viersener Rathaus auf. „Es geht nicht nur um diese Abschiebung“, sagt Tom Brandt, „sondern um das ganze Dublin-System.“
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