Versicherer über Angriffe auf Feuerwehr: „Und dann ticken die aus“
Das Bild von Angriffen auf Einsatzkräfte ist verzerrt. Das Problem sind vor allem Autofahrer, sagt Thomas Wittschurky von der Feuerwehr-Unfallkasse.
taz: Herr Wittschurky, Sie haben zum zweiten Mal Feuerwehrleute danach befragt, welchen Angriffen sie ausgesetzt sind. Erstaunlicherweise gibt das ein etwas anderes Bild, als wir alle nach den Silvesterkrawallen im Kopf gehabt haben, stimmt das?
Thomas Wittschurky: Jede dritte aktive Feuerwehrkraft hat angegeben, in den letzten zwei Jahren Gewalt erfahren zu haben. Daran erkennt man schon: Das ist kein Feiertagsphänomen, sondern ein massives Alltagsproblem. Außerdem handelt es sich überwiegend nicht um Taten, die aus einer Gruppe heraus begangen wurden, sondern um Einzeltäter.
Mich hat auch gewundert, dass Alkoholeinfluss dabei offensichtlich gar nicht so eine Rolle spielt.
Das haben wir anfangs auch anders erwartet. Aber das hat sich schon in unserer ersten Befragung im Jahr 2020 herauskristallisiert. In nur 15 Prozent der Fälle gaben die Einsatzkräfte an, dass der Täter oder die Täterin erkennbar alkoholisiert war. Auch in den Beschreibungen der Ereignisse wird deutlich: Wir haben es da eben nicht mit marodierenden Gangs zu tun, die sich einen Spaß daraus machen, Einsatzkräfte mit Böllern zu bewerfen – auch wenn es das gab. Aber die große Masse sind Menschen wie Sie und ich, die offenbar in bestimmten Situationen die Contenance verlieren.
Können Sie mal beschreiben, was das für Situationen sind?
Sehr häufig wird uns geschildert, dass sich solche Erlebnisse im Zusammenhang mit Absperrungen, im Straßenverkehr, ergeben. Es gibt Menschen, die einfach nicht einsehen, wenn sie jetzt nicht wie geplant weiterkommen oder vielleicht sogar ihre Grundstückszufahrt blockiert ist. Und dann ticken die aus und beschimpfen Einsatzkräfte, die gerade nichts anderes tun, als dort dringend nötige Hilfe zu leisten.
65, ist seit 2004 Direktor der Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen (FUK). Die FUK ist die gesetzliche Unfallversicherungsträgerin für mehr als 200.000 Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr.
Deshalb haben Sie die Frage danach, ob Feuerwehrleuten schon einmal mit Anfahren gedroht wurde, in die aktuelle Befragung aufgenommen?
In der Tat, in unserer ersten Untersuchung 2020 haben wir nicht danach gefragt, weil wir gar nicht auf die Idee gekommen sind, dass das eine signifikante Problematik sein könnte. Aber dann tauchte es in den Schilderungen so oft auf, dass wir das aufgenommen haben. In der aktuellen Befragung haben über 30 Prozent der Befragten gesagt, dass ihnen schon einmal angedroht wurde, sie anzufahren. Und sechs Prozent, dass sie tatsächlich angefahren wurden – also vielleicht nicht mit Karacho, aber schon spürbar. Wir kennen auch Versicherungsfälle, wo den Leuten über den Fuß gefahren wurde.
Als Unfallkasse sind Sie ja eigentlich nur zuständig, wenn es tatsächlich zu Verletzungen kommt. Warum befassen Sie sich nun auch mit Drohungen und Beleidigungen?
Grundsätzlich macht das ja etwas mit den Einsatzkräften – und zwar nichts Gutes. Die werden dadurch verunsichert, gestresst, unkonzentriert – die Unfallgefahren steigen. Außerdem rufen solche psychischen Belastungen auch langfristig Schäden hervor. Deshalb sehen wir das als Teil unseres Präventionsauftrages. Und wir haben sehr bewusst einen sehr weit gesteckten Gewaltbegriff gewählt. Der orientiert sich an dem, was die International Labor Organisation als Gewalt definiert – das ist ein anerkannter Standard, der bei der Bewertung von Arbeitsplätzen Anwendung findet, wenn es um Mobbing und Belästigungen geht.
Wie repräsentativ ist Ihre Umfrage?
Wir haben das wissenschaftlich begleiten lassen. Die Stichprobe ist sehr groß. Insgesamt haben wir – über beide Umfragen hinweg – fast 4.000 Aktive der Freiwilligen Feuerwehren in Niedersachsen befragt. Und die Altersgruppen- und Geschlechterverteilung ist dicht an den Verhältnissen, die wir sonst auch in der Feuerwehr haben.
Erstaunlicherweise haben Sie dabei ja auch nur ein geringes Stadt-Land-Gefälle festgestellt.
Das stimmt. In der Pilotbefragung, die wir in der Region Hannover durchgeführt haben, waren die Feuerwehrleute zwar noch ein bisschen stärker betroffen. Da hat jeder zweite von Gewalterfahrungen berichtet. Aber in der großen Befragung haben wir nach der Größe des Ortes gefragt, an dem das passiert ist – also, ob das in einem Dorf, einem Mittelzentrum oder in der Stadt war. Und da ließ sich kein statistisch signifikanter Unterschied feststellen. Was auch dafür spricht, dass es eben diese Alltagssituationen sind, die eskalieren, nicht unbedingt die Brennpunkte.
Was bedeutet das denn in Ihren Augen für Präventionsstrategien? Müsste es da nicht einen Unterschied machen, ob man es mit einem Angriff auf staatliche Autoritäten zu tun hat oder mit Egozentrikern mit kurzer Zündschnur?
Die viel beklagte Respektlosigkeit gegenüber anderen und Autoritäten gilt ja möglicherweise für beide Gruppen. Als Unfallkasse können wir natürlich die politische Großwetterlage nicht beeinflussen. Wir schauen vor allem danach, welche Präventionsansätze leiten wir daraus jetzt ab, was können wir für die Betroffenen tun.
Und was wäre das?
Mehr als 80 Prozent haben uns gesagt, dass die Situation für sie überhaupt nicht vorhersehbar war und sie sich unzureichend vorbereitet fühlten. Die kommen, um zu helfen, und werden plötzlich angepöbelt und angegriffen. Für solche Situationen gewappnet zu sein, Deeskalationsstrategien an die Hand zu bekommen, ist ein wichtiges Anliegen. Außerdem wünschen sie sich viele klare Verfahren und Meldeketten für solche Vorfälle. Das haben wir zum Teil auch schon umgesetzt. Auch wenn wir mit der Strafverfolgung in diesem Bereich alles andere als glücklich sind.
Was stimmt nicht mit der Strafverfolgung?
Das läuft oft so: Man erstattet Anzeige, sitzt dafür noch einmal zwei Stunden auf einer Polizeiwache und bekommt nach ein paar Monaten eine Mitteilung von der Staatsanwaltschaft, dass ein Verfahren mangels öffentlichen Interesses nicht eingeleitet wird. Das ist unglaublich frustrierend. Bei tätlichen Angriffen passiert das natürlich nicht, die werden schon verfolgt, aber Beleidigungen und Drohungen eben oft nicht. Das wird von vielen als erneuter Schlag empfunden, als mangelnder Respekt und Wertschätzung. Wir haben es hier immerhin mit freiwilligen Feuerwehrleuten zu tun, die machen das nicht beruflich, sondern in ihrer Freizeit.
Glauben Sie, es wird auf Verfahren verzichtet, weil die Täter schwer zu ermitteln und die Erfolgsaussichten gering sind?
Nicht nur. In meinem Heimatort gab es so einen Fall. Da ist ein älteres Ehepaar auf dem Supermarktparkplatz in die Schaufensterfront gefahren – vermutlich Gas und Bremse verwechselt, der Klassiker. Die Feuerwehr hat das abgesichert und angeordnet, dass der Wagen da nicht einfach rausgefahren werden darf – weil unklar war, was mit der Statik des Gebäudes war und weil Kraftstoff auslief. Da hat dieser Herr die Einsatzkräfte anderthalb Stunden lang unflätigst beschimpft. Der Name war bekannt, es gab Zeugen, da gab es nicht viel, was man erst hätte ermitteln müssen. Trotz Strafantrags ist kein Verfahren eingeleitet und stattdessen auf den Privatklageweg verwiesen worden.
Bräuchte es härtere Strafen?
Nein, die Gesetze sind da, man müsste sie nur anwenden. Es gibt dafür im Einzelnen sicher auch juristische Gründe. Die Grenzen zu dem, was gerade noch von der Meinungsfreiheit gedeckt wird, werden da ja mitunter weit gesteckt. Aber aus der Sicht der betroffenen Feuerwehrleute kann man sagen: Es wäre schon gut, wenn da vielleicht mal das ein oder andere Exempel statuiert würde. Allein so ein Gerichtsverfahren entfaltet doch auch abschreckende Wirkung – selbst wenn dabei am Ende keine wahnsinnig hohen Strafen herauskommen.
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