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Inklusive Bildung in Hamburg„Man war froh, uns los zu sein“

Hamburger Eltern finden keinen inklusiven Schulplatz für ihr behindertes Kind. Nun behelligt sie die Schulbehörde wegen Schulschwänzens.

Ist als eines von wenigen Kindern noch im Homeschooling: Frederik von der Heide Foto: Elena von der Heide

Hamburg taz | Der kleine Frederik hat das Down Syndrom und frühkindlichen Autismus. Und ihn hat die Coronapandemie „extrem“ getroffen, wie ein Sonderpäda­goge in seinem jüngsten Gutachten schreibt. Der Junge, der zu Beginn der Pandemie erst in die 1. Klasse einer Hamburger Schule ging, machte im Mai 2020 Schlagzeilen. Weil er nicht Abstand halten konnte und deshalb zunächst allein hinter einer Glasscheibe im Nebenraum lernen sollte, weshalb die Eltern damals an die Presse gingen.

Heute – nach einer dreijährigen Odysee durchs übrige Schulsystem – wünschen sich die Eltern Ralf und Elena von der Heide sehnlich diesen Platz in der damaligen Klasse 1c der Schwerpunktschule für Inklusion im Stadtteil Altona-Altstadt zurück. Denn es sei ein Fehler gewesen, Frederik zu Beginn der 2. Klasse dort abzumelden und an eine Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung im Nachbarstadtteil Bahrenfeld zu geben.

„Unser Kind braucht andere Kinder, die sprechen“, sagt der Vater. An der Förderschule habe nur ein Mädchen gesprochen. Außerdem verlor ihr Sohn dort in einer Pause den Teil eines Schneidezahns, weshalb die Eltern ihn ohne eine Eins-zu-eins-Schulbegleitung dort nicht mehr hingeben möchten. „Er braucht jemand, der ihn durch diesen Schulalltag lenkt“, sagt Ralf von der Heide. Sein Sohn sei eine Persönlichkeit, gehe zum Beispiel gut mit dem Laptop um, sei virtuos bei technischen Dingen. Er habe aber Schwierigkeiten, zu sprechen. Er trage noch Windel und müsse gefüttert werden. Auch brauche er als Autist seine Routinen und habe kein Bewusstsein für Gefahren.

Frederik ist deshalb seit dem Unfall mit dem Zahn im Dezember 2020 im Homeschooling und als eines von wenigen Kindern daraus nach dem Ende der Pandemie nicht zurückgekehrt. Seit zweieinhalb Jahren suchen die Eltern einen neuen Schulplatz, bemühen sich zugleich aber selber um Frederiks Bildung. Mutter Elena, von Beruf Lehrerin, gab ihren derzeitigen Job als Teamassistentin auf und ist Frederiks Assistentin. Der Vater arbeitet nur noch halbtags als Journalist. Die Eltern gehen mit ihm zum Schwimmen und zu seinen Therapien. Und es gehe dem Jungen ganz gut, berichtet die Mutter. Er schlafe besser, ziehe sich allein an und brauche weniger Assistenz beim Essen.

Zuhause geht es dem Jungen gut

In diese Situation platzte Anfang Mai ein Einschreiben des Rektors der Förderschule. Er sei durch die Schulaufsicht angehalten, ein „Absentismusverfahren“ einzuleiten. Das blüht in Hamburg Eltern, die ihr Kind vorsätzlich von der Schule fernhalten und so die Schulpflicht umgehen. „Das ist skandalös. Eine Umkehrung der Sachlage“, sagt der Vater. „Es war die Behörde, die nichts getan hat, um für Frederik eine Lösung zu finden.“

Unstimmigkeiten begannen im Dezember 2019, als es an Frederiks erster Schule ein Gespräch über die Schulsituation gab. Der Disput ging schon damals um unzureichende Schulbegleitung durch junge FSJler (Freiwilliges Soziales Jahr), die für mehrere Kinder zuständig waren, und um die Methoden einer Studentin, die versucht habe, Frederik mit „Konsequenz“ zu erziehen, was ihm Angst gemacht habe.

Da Unqualifizierte viel falsch machen können, worauf schon 2016 der Elternverein von Kindern mit Down Syndrom hinwies, wollten die Eltern einen qualifizierten Erzieher als Schulbegleiter, der nur für ihr Kind zuständig ist. Doch ein Vertreter der Schulaufsicht habe ihnen gesagt, den Antrag werde er ablehnen. Denn für Kinder wie Frederik seien nur schulbezogene FSJler vorgesehen. Der Junge müsse in der Schule nur lernen, Anweisungen zu befolgen, das reiche für den späteren Besuch einer Werkstatt. „Wir lernten das Leben mit ganz neuen Augen kennen“, sagt der Vater. Die Behörde kann auf Nachfrage zu diesen Äußerungen nichts sagen, der Mitarbeiter ist nicht mehr da.

Frederiks alte Grundschule liegt eigentlich ideal: direkt um die Ecke, es gibt dort Kinder, die ihn noch später zu Hause besuchten. In der 1. Klasse hatte er dort einen Erzieher, den er sehr mochte, der aber in Elternzeit ging. Darüber hinaus war seine Klasse lange ohne feste Klassenlehrerin. Beides Gründe für den damaligen Wechsel an die fünf Kilometer entfernte Förderschule.

Die von den Eltern erhobene Klage wegen Untätigkeit schmort seit anderthalb Jahren bei Gericht

Doch nachdem es dort aus Sicht der Eltern schief gelaufen war – auch dort fehlte Personal – beantragten sie für das 3. Schuljahr die Rückkehr an Frederiks alte Grundschule und als „Zweitwunsch“, der bei Wechselsanträgen mitgenannt werden muss, die Schwerpunktgrundschule in Bahrenfeld. Erfüllt wurde nur dieser zweite Wunsch und dort sollte der inzwischen Neunjährige allein draußen auf dem Hof Unterricht haben, im „grünen Klassenzimmer“, weil Pandemie war und er keine Maske akzeptierte. Die Eltern lehnten das ab und einigten sich mit der Schule auf Homeschooling, wofür diese Material stellte. „Man war froh, uns los zu sein“, sagt der Vater.

Die Schulbehörde wies kurz darauf den Jungen auf dem Papier wieder besagter Förderschule als „Stammschule“ zu. Nur dort wollten die Eltern ihn nicht wieder hingeben. „Frederik braucht Kontakt mit neurotypischen Kindern“, sagt Ralf von der Heide. Sie versuchten, ihr Kind an einer Schule für Sprachförderung anzumelden, was abgelehnt wurde.

Schließlich stellten sie im März dieses Jahres noch mal den Antrag, dass Frederik doch wieder an die alte Grundschule zurück darf. Über diesen Antrag hatte die Schulaufsicht noch gar nicht entschieden, als im Mai das Absentismusverfahren eingeleitet wurde, welches immerhin zu Zwangsmaßnahmen wie Bußgeld führen kann.

Die von der Heides sagen, dass der Konflikt von Anfang an eigentlich um die Schulbegleitung ging. Die Eltern hatten schon im Herbst 2021 beim Sozialgericht eine Klage eingereicht, weil sie ihrem Sohn nach dem Zahnunfall nicht ohne eigenen qualifizierten Schulbegleiter in ein Klassenzimmer lassen wollten und ihm dieser nach Sozialgesetzbuch IX als Eingliederungshilfe auch zustünde.

Dass dies aus fachärztlicher Sicht erforderlich ist, bescheinigte auch ein Kinder- und Jugendpsychiater, der den frühkindlichen Autismus diagnostizierte. Doch die Schulbehörde habe dies abgelehnt und auf einen Widerspruch dagegen einfach nicht reagiert. Die daraufhin von den Eltern erhobene Klage wegen „Untätigkeit“ schmort seit anderthalb Jahren bei Gericht. Die Eltern denken, die Behörde fürchtet, dass hier ein Grundsatzurteil fällt.

Zerrüttetes Verhältnis?

Unstrittig ist: Bei der Wahl des Lernorts – ob inklusiv oder exklusiv – haben Eltern in Hamburg seit 2009 das Recht, sich zu entscheiden – und auch die Revidierung einer Entscheidung ist erlaubt. Der Frage, welcher inklusive Schulplatz den von der Heides angeboten wurde, bevor dieses Schulschwänzverfahren gegen sie eingeleitet wurde, weicht die Schulbehörde aus. Die Eltern hätten ja mit ihrem „vorletzten“ Wechselantrag keine inklusive Schule gewollt. Die zuletzt gewählte alte Grundschule in Altona-Altstadt sei nicht geeignet, da das Verhältnis zwischen Schule und Eltern zurzeit „vollständig zerrüttet“ sei.

Immerhin ließ die Schulaufsicht den Eltern über deren Anwalt mitteilen, dass man sich über ein Gespräch mit den Eltern Ende des Monats freue und zuversichtlich sei, dem Ziel einer „verlässlichen Beschulung“ näherzukommen. Dabei schreibt die Behörde, aktuell sei der Junge in Klasse 3. Damit käme theoretisch eine Rückkehr an die alte Schule in Altona-Altstadt noch in Frage.

Die Lehrer dort hätten sich von Frederik damals freundlich verabschiedet und auch ein positives Zeugnis geschrieben, sagt Ralf von der Heide. „Wir sehen nicht, wieso das Verhältnis zu Frederik zerrüttet sein sollte?“ Eine Schule sollte immer das Kind sehen, schließlich gingen ja nicht die Eltern zur Schule. Und wenn es denn eine qualifizierte Schulbegleitung für ihn gebe, so der Vater, „dann gehen wir in die Schule nicht mal mit rein“.

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4 Kommentare

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  • taz: "Hamburger Eltern finden keinen inklusiven Schulplatz für ihr behindertes Kind. Nun behelligt sie die Schulbehörde wegen Schulschwänzens."

    Das ist eben eine typisch deutsche Behörde, die mal wieder nicht nachdenkt, sondern Gesetze "abarbeitet". Manchmal fragt man sich, weshalb man in Behörden nicht gleich Automaten setzt, denn Maschinen denken auch nicht nach, sondern arbeiten stur ihr eingegebenes Programm ab.

  • Ein ganz großes Lob an Frau Kutter, die sich der Geschichte von Frederik annahm, die ein grundlegendes Verwaltungs- und Politikversagen beim Thema Inklusion belegt. Denn an allen Hamburger Grund- und Stadtteilschulen haben viel zu viele zu fördende oder behinderte Kinder viel zu wenig entsprechend ausgebildete Lehrer und Erzieher.

    Dass die Schulbehörde statt Erziehern unausgebildete junge FSJLer einsetzt, zeigt, dass behinderte Menschen möglichst nichts kosten sollen. Dass Verfahren wegen Absentismus von Frederik setzt dem Ganzen die Krone auf.

    Es fehlt an einem engagierten NGO, die die Schulbehörde systematisch verklagt, um an verlässliche Zahlen zu kommen, wieviele speziell ausgebildetete Lehrer und Erzieher und qualifizierte Schulbegleiter an den Hamburger Schulen für behinderte und zu fördende Schüler fehlen und die den nötigen Bestand an Personal einklagt.



    Anders geht es nicht, denn die Politik sieht über das Problem aus Kostengründen hinweg. Die Schulbehörde schweigt willfährig.

    • @Lindenberg:

      Sind es denn wirklich nur Kostengründe?

      Oder fehlt schlicht das Personal?

      Vielleicht ist die Hamburger Situation ja speziell, aber allgemein gibt es in jedem Bundesland zu wenig Lehrer und Erzieher, erstrecht speziell ausgebildete.

      Da können Sie klagen, wie Sie wollen.

      Die Schulbehörde kann sich ja keine schnitzen.

      • @rero:

        Es wird im Artikel allerdings gesagt, dass die Schulbehörde nicht bereit war, eine Fachkraft zu bewilligen und für Kinder wie F. nur FSJler vorgesehen seien. Unabhängig davon, ob man eine Fachkraft gefunden hätte.