Unterfinanzierte Inklusion in Hamburg: Schulbegleiter an der Armutsgrenze

Begleitkräfte für Schüler mit Behinderung verdienen an Hamburger Schulen nur 1.360 Euro brutto im Monat. Personal ist damit kaum zu finden.

Eine Frau und ein Mädchen sitzen zusammen an einem Schultisch

Schulbegleiter helfen Kindern durch den Schulalltag Foto: Moritz Frankenberg/dpa

HAMBURG taz | Die Hamburger Schulbegleiter wollen unbefristete und besser bezahlte Verträge haben. In einem Offenen Brief an Schulsenator Ties Rabe (SPD) klagen sie, in Hamburg Schulbegleiter zu sein, sei unattraktiv und viele Stellen seien vakant. Dadurch blieben Schüler ohne Begleitung und die Lehrkräfte kämen ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr nach, weil „Kinder mit erhöhtem Förderbedarf ihre Ressource binden“.

Verfasst haben den Brief Andreas Krüger und Lena Driesner von der Erich-Kästner-Schule. Krüger findet: „Schulbegleiter ist eine tolle Tätigkeit.“ Früher mal fuhr der 64-Jährige zur See und war Hausmann. Doch seit 15 Jahren begleitet er im Rahmen der Inklusion Kinder durch den Schulalltag.

Seit zwei Jahren leitet er mit Driesner ein Pilotprojekt an der Erich-Kästner Schule und koordiniert dort den Einsatz der 22 Schulbegleiter, die gemeinsam für 60 Schüler da sind. Diese „Poollösung“ laufe sehr gut, sagt Krüger. Doch es fehlten Leute, denn „man muss von dem Gehalt auch leben können“.

Maximal 33 Zeitstunden können Schulbegleiter in einer Schulwoche zum Einsatz kommen. Dafür verdient eine „sozial erfahrene Kraft“, so heißt die Qualifikationsstufe für Menschen ohne spezielle pädagogische Ausbildung, rund 1.360 Euro brutto im Monat. „In Schleswig-Holstein ist es mehr. Dort wird die unterste Stufe mit 1.900 Euro brutto entlohnt“, berichtet er. Pädagogisch ausgebildetes Personal wie Erzieher würden mit rund 2.400 Euro brutto etwas besser bezahlt, die dritte Stufe für Studierte liege noch darüber, aber auch unter Tarif.

Behörde wollte keine Tarifbindung vereinbahren

Während die Beschäftigten der Länder gerade einen deutlichen Inflationsausgleich ausgehandelt hätten, „fallen wir mal wieder durchs Raster“, schreiben die zwei. „Wir haben keine tarifgebundenen und unbefristeten Verträge und müssen uns jede Sommerferien aufs Neue arbeitslos melden. Das darf nicht sein“. Konkret fordern sie von Rabe eine Erhöhung der Stundensätze, die seine Behörde an freie Träger zahlt, damit diese die Schulbegleiter einstellen. Und sie fordern eine regelmäßige Erhöhung, damit der Inflationsausgleich kein Gnadenakt bleibt.

Seit 2015 wird die Schulbegleitung in Hamburg über Träger organisiert, denen die Schulbehörde nur das Geld gibt. Doch erst seit Januar 2022 gibt es dazu überhaupt eine Rahmenvereinbarung zwischen der Stadt und der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGFW). Im Zuge dieser wurde erstmals die Summe, die Hamburg hier aufwendet, erhöht, von 15 auf 18 Millionen Euro.

Die Vereinbarung sieht vor, dass Schulbegleitung stundenbasiert abgerechnet wird. Pro Stunde, die eine erfahrene Kraft arbeitet, bekommt der Träger 24,87 Euro, für Erzieher und Sozialpädagogen etwas mehr. Die Schulbehörde sagt, diese Kostensätze ermöglichten Trägern, ihre Mitarbeiter „in geregelten Beschäftigungsverhältnissen tariflich zu bezahlen“. Das Geld sei auskömmlich, findet Sprecher Peter Albrecht. Die Art der Beschäftigung und Bezahlung sei Trägersache.

Andreas Krüger, der schon seit einigen Jahren für bessere Bezahlung kämpft, hört vom seinem Träger, der „Lebenshilfe“, dass dem nicht so sei. „Die würden gern tariflich bezahlen, aber sie können es nicht.“ Denn von den 24,87 Euro müssten auch noch der Arbeitgeberanteil der Sozialabgaben und die Verwaltung bezahlt werden. Die „Lebenshilfe“ ist ein vor mehr als 60 Jahren von Eltern geistig behinderter Kinder gegründeter Verein. Nach Bezahlung der Schulbegleiter gefragt, erklärt die Geschäftsführung: „Grundsätzlich sollte in sämtlichen Bereichen der Behindertenhilfe Tariflohn gezahlt werden.“

„Die Schulbegleitung war immer unterfinanziert und sie ist es noch“, sagt Thomas Illing, Experte für Eingliederungshilfe und Finanzierung beim Diakonischen Werk. Zwar habe die Schulbehörde die Sätze erhöht, doch eben nicht ausreichend. „Deshalb ist die Diakonie aus der Schulbegleitung ausgestiegen, denn wir sind daran gebunden, nach Tarif zu bezahlen“, sagt Illing.

Er habe dies bei den Verhandlungen dem Staatsrat der Schulbehörde auch vorgerechnet. „Wir hatten im Ursprungstext der Rahmenvereinbarung eine Tarifbindung gefordert“, sagt Illing. Als Kompromiss sei die Formulierung aufgenommen worden, dass sich die Kostensätze automatisch erhöhten, wenn sich die Entgelte des Tarifvertrages im öffentlichen Dienst erhöhen. Das sei dann auf Druck der Schulbehörde wieder rausgefallen.

Krüger und seine Kollegin waren also im Winter 2021 schon mal nah an ihrem Ziel. Und weil aus Sicht des AGFW-Dachverbandes die verhandelte Vergütung „noch immer nicht auskömmlich war“, wie AGFW-Geschäftsführer Jens Stappenbek erklärt, hatte man extra nur eine kurze Laufzeit bis zum 31. Juli vereinbart. Immerhin erklärt die Schulbehörde auf taz-Nachfrage, es gebe bald neue Gespräche dazu.

Zudem interessiert sich die Bürgerschaft. So lud die Grüne Schulpolitikerin Ivy May Müller die beiden Briefeschreiber zum Gespräch ein. Müller findet Tarifverträge wichtig. Und auch SPD-Schulpolitiker Nils Hansen sagt mit Blick auf die neuen Verhandlungen: „Wir werden uns mit Nachdruck dafür einsetzen, dass eine tarifgemäße Bezahlung bei allen Trägern verbindlich festgeschrieben wird.“

Die Linke Schulpolitikerin Sabine Boeddingshaus findet: „Das ganze Modell der Schulbegleitung muss auf Auskömlichkeit überprüft werden, und zwar finanziell und strukturell.“ Indes sieht die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft die Auslagerung an freie Träger kritisch. „Wir fänden es sinnvoller, die Kolleginnen direkt bei der Behörde anzustellen“, sagt Landeschef Sven Quiring. Dann könnte man sie in den Tarif des öffentlichen Dienstes eingruppieren und „Poollösungen“ etablieren, wie sie die Erich-Kästner-Schule ausprobiert.

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