Deutsch­tür­k:in­nen vor der Stichwahl: Demokratie fördern durch Einbürgern

Viele frühere Gastarbeiter:innen sind heute eingebürgert. Sie dürfen in der Türkei nicht mehr wählen, aber in Deutschland - und sind meist liberal.

Deutsche und türkische Flagge an einer Moschee in Offenbach Foto: Michael Probst/ap

Werden die Türkinnen und Türken in Deutschland am Sonntag bei der Stichwahl dafür sorgen, dass der amtierende Präsident Recep Tayyip Erdoğan an der Macht bleibt? Man könnte es vermuten, schaut man auf das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahl: 65 Prozent der sogenannten Deutsch­tür­k:in­nen haben vor knapp zwei Wochen für Erdoğan und seine AKP gestimmt und nur 33 Prozent für seinen Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu.

Sehr zugespitzt könnte man formulieren: Die Deutsch­tür­k:in­nen wählen in der Mehrheit rechtsnational. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die türkische Community hierzulande ist mittlerweile politisch viel diverser, als es das aktuelle Wahlergebnis in der Türkei widerspiegelt – auch wenn es den Rückhalt für den Autokraten Erdoğan durch Deutsch­tür­k:in­nen nach wie vor gibt. Auch das hat Gründe: Jene Menschen, die in den 1950er und 1960er Jahren als Gast­ar­bei­te­r:in­nen nach Deutschland kamen, stammten häufig vom Land und waren stärker als ihre Landsleute aus den Städ­te­n konservativ-traditionell geprägt, religiöser, weniger politisiert. In Köln, Duisburg, Recklinghausen angekommen – das Ruhrgebiet zog vor allem wegen der dort angesiedelten Kohle- und Stahlindustrie –, mussten sie schmerzlich erfahren, dass sie hierzulande gar nicht so willkommen waren, wie ihnen suggeriert worden war. Möglicherweise war es die Kombination aus Traditionalismus und unerfüllter Hoffnung auf ein besseres Leben, die sie konservativ wählen ließ. Diese Haltung wird zudem bis heute von großen Moscheeverbänden wie Ditib und Millî Görüş und ihren wortstarken Chefs gestützt.

Doch vieles hat sich verändert. Von den in den 50er und 60er Jahren angeworbenen Gast­ar­bei­te­r:in­nen sind einige in die Türkei zurückgegangen, von den hier gebliebenen etwa 3 Millionen Frauen, Männern und ihren Kindern ist mittlerweile die Hälfte eingebürgert. Sie dürfen in der Türkei nicht mehr wählen – nun aber in Deutschland. Und sie sind vielfach liberaler, politisierter und urbaner eingestellt und geben vor allem der SPD ihre Stimme.

Ein Grund dafür ist, das ergeben Meinungsumfragen, das Erleben, in Deutschland endlich einigermaßen ernst genommen und mit einer Migrationsbiographie akzeptiert zu werden. Das trifft freilich nicht auf alle Mi­gran­t:in­nen zu und unterscheidet sich auch stark nach der Region, in der die Menschen leben. Doch ein Fazit könnte sein: Wer sich hierzulande eine demokratischere Türkei wünscht, muss Einbürgerung fördern und ermöglichen.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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