Kampf um Bachmut: Ein Kessel voll Ruinen
Nach zehn Monaten Kampf meldet Russland die Einnahme von Bachmut. Ukrainische Beobachter dementieren. Die russischen Truppen säßen in der Falle.
„Wladimir Putin beglückwünscht die Wagner-Sturmtruppen und alle Soldaten der russischen Streitkräfte, die diesen bei der Operation zur Befreiung von Artemowsk die notwendige Unterstützung und Flankendeckung gewährt haben“, meldet der Pressedienst des Kreml triumphal.
Bachmut, das in Russland noch immer Artemowsk heißt, sei eingenommen, berichteten auch das russische Verteidigungsministerium, der Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, sowie Denis Puschilin, Chef der von Moskau annektierten „Volksrepublik“ Donezk.
Und kurz schien es am Sonntagvormittag, als würde die Ukraine die Einnahme von Bachmut durch Russland bestätigen. So hatten westliche Medien berichtet, der im japanischen Hiroshima weilende Präsident Wolodimir Selenski habe den Verlust von Bachmut eingestanden.
Nein, hieß es wenig später von Selenskis Pressesprecher Serhiy Nikiforow, das sei ein Missverständnis gewesen. Auch das ukrainische Verteidigungsministerium dementiert eine Einnahme von Bachmut. Die Kämpfe in der Stadt gingen weiter, so Serhiy Cherevatyy, ein Sprecher der östlichen Einheiten der ukrainischen Streitkräfte, gegenüber Reuters.
Wer hat nun wen eingekesselt?
Folgt man der Darstellung des ukrainischen Verteidigungsministeriums, drohen die in Bachmut kämpfenden russischen Einheiten in einen ukrainischen Kessel zu geraten. Das Portal nv.ua zitiert dazu die stellvertretende Verteidigungsministerin Ganna Maljar: „Unsere Truppen haben die Stadt halb umzingelt. Das versetzt uns in die Lage, die Besatzer zu vernichten. Daher muss sich der Feind in dem Teil der Stadt, den er kontrolliert, verteidigen“, heißt es in einer Erklärung.
Die Stadt selbst, so der Sprecher Serhiy Cherevatyy, sei durch die russischen Angriffe praktisch vollständig zerstört worden. Und so könne Russland, so Cherevatyy gegenüber dem staatlichen Portal Suspilnyy, weder militärisch noch politisch einen Nutzen ziehen.
Noch drastischer schätzt der ukrainische Telegram-Kanal „Charkow 1654“ die Lage ein. Die ukrainischen Truppen hätten praktisch alle wichtigen Höhen eingenommen, die Russen befänden sich am geografisch tiefsten Punkt. Und damit werde jede ihrer Bewegungen selbstmörderisch. Die ukrainischen Streitkräfte würden also zwangsläufig in Bachmut die Oberhand gewinnen, so die Einschätzung des Telegram-Kanals.
Zu einer ganz anderen Einschätzung kommt die Journalistin Ekaterina Wolkowa in der russischen gazeta.ru. Ukrainische Einheiten, die nicht mehr rechtzeitig aus dem Westen der Stadt hätten fliehen können, so Wolkowa unter Berufung auf russische Militärblogger, würden sich in den Ruinen zerstörter Häuser verstecken. Sie seien von einer Einkesselung bedroht.
Dem Erdboden gleichgemacht
Seit zehn Monaten wird um Bachmut gekämpft. Seit Ende Februar, als die Lage für die Verteidiger der Stadt immer schwieriger wurde, war laut BBC von einem möglichen Rückzug der ukrainischen Streitkräfte die Rede. Die Russen seien immer mehr über den Norden der Stadt vorgerückt, hätten fast alle Versorgungswege abgeschnitten.
Im März hatte die russische Armee die ukrainischen Streitkräfte von Süden her unter Druck gesetzt, im April waren sie im Stadtzentrum angelangt. Durch die russischen Bomben- und Artillerieangriffe sei die Stadt weitgehend dem Erdboden gleichgemacht worden, so BBC.
Die russischen Geländegewinne in Bachmut gehen auf das Konto der russischen Söldnertruppe Wagner. Und die wollen sich am 25. Mai zurückziehen, so zitiert das russische Portal rbc.ru dessen Chef Jewgeni Prigoschin, und die Stadt, oder das, was von ihr übriggeblieben ist, dem russischen Militär übergeben. Im russischen Verteidigungsministerium, so rbc.ru, habe man auf diese Ankündigung noch nicht reagiert.
Prigoschin und seine Kämpfer haben sich mit der Schlacht um Bachmut einen Namen gemacht. Und das ist für die Machthabenden in Russland, analysiert der ukrainische Telegram-Kanal „Politika Strany“, eine Herausforderung. Viele Russen sähen in Prigoschin „mehr Putin als bei Putin selbst“. Und deswegen, so „Politika Strany“, strebe Prigoschin auf Dauer mehr an als die Kontrolle über das Verteidigungsministerium.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung