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Missbrauchsgutachten im Bistum FreiburgJahrelange Vertuschung

Eine externe Kommission hat den sexualisierten Missbrauch im Erzbistum Freiburg analysiert. Auch gegen zwei ehemalige Bischöfe gibt es Vorwürfe.

„Wir haben kein Lob zu verteilen – Eugen Endress bei der Pressekonferenz am Dienstag Foto: Silas Stein/dpa

Berlin taz | „Wir haben kein Lob zu verteilen“, lautete die Zusammenfassung des pensionierten Richters Eugen Endress am Dienstagvormittag. Während der Vorstellung der Ergebnisse des Gutachtens zu sexualisierter Gewalt im Erzbistum Freiburg redete er sich nach ein paar Minuten in Rage. Für Endress scheint das Vorgehen in Freiburg, wie der sexualisierte Missbrauch jahrelang vertuscht wurde, fast absurd.

Er schildert Dinge, die auch schon in anderen Missbrauchsberichten deutlich wurden: Durch Versetzungen wurden beschuldigte Priester jahrelang systematisch von der Institution Kirche geschützt, aber nicht Kinder. Übergriffe und Gewalt wurden von Zuständigen und auch in den Gemeinden bagatellisiert, Beweise über das Wissen des Missbrauchs von Verantwortlichen verschwanden.

Auf den Bericht der unabhängigen Arbeitsgruppe „Machtstrukturen und Aktenanalyse“ warteten Betroffene sexualisierter Gewalt seit Oktober 2022. Eigentlich sollte schon da das Gutachten vorgestellt werden. Wegen rechtlicher Bedenken wurde die Veröffentlichung jedoch auf den April 2023 verschoben. Betroffene kritisierten das als vorgeschobenen Grund und sahen zu wenig Aufklärungswillen.

Diesen Verdacht konnte die Kommission aus externen pensionierten Fachleuten aus Justiz und Kriminalpolizei an diesem Dienstag ausräumen. Aber: Ihr Gutachten enthält starke Vorwürfe insbesondere gegen die ehemaligen Erzbischöfe Oskar Saier, der 2008 gestorben ist, und den noch lebenden Robert Zollitsch. Beide haben während ihrer Amtszeiten im Erzbistum systematisch die Aufklärung von Missbrauch an Kindern verhindert. Zollitsch trifft nach Auffassung der Kommission eine besonders große Verantwortung, da er vor seiner Berufung zum Erzbischof im Jahr 2003 bereits 30 Jahre lang als Personalreferent im Bistum tätig war. Von 2008 bis März 2014 war er außerdem Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

Protokolle verschwanden „wegen Umzug“

Im Gutachten hat die Kommission 24 Fälle sexuellen Missbrauchs im Erzbistum exemplarisch analysiert. Im Rahmen der im September 2018 veröffentlichten MHG-Studie wurden im Erzbistum Freiburg von 1964 bis Ende 2015 190 Menschen der sexualisierten Gewalt beschuldigt, mindestens 442 Betroffene wurden genannt. Diese Zahlen korrigierte die Kommission nun auf mindestens 540 Betroffene und 250 nachweislich beschuldigte Priester. Die Dunkelziffer wird wie bei bereits anderen veröffentlichten Gutachten zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche deutlich höher geschätzt.

Seit Februar 2019 hatte die Kommission 180 Personen befragt, darunter 20 Betroffene sexualisierter Gewalt. Außerdem hätten sie sämtliche Protokolle von Gremiensitzungen ausgewertet, die ihnen der amtierende Freiburger Erzbischof Stephan Burger zur Verfügung stellen konnte.

Allerdings: Für viele Jahre des untersuchten Zeitraums von 1978 und 2014 gebe es kaum Akten oder sehr unvollständig geführte Akten, bemängelte Endress. Manche seien „wegen Umzugs“ verschwunden. Über beschuldigte Priester, die plötzlich „zur Ruhe gesetzt“ wurden, gibt es keinerlei Vermerk zu den Gründen. In anderen Bereichen, etwa bei finanziellen Angelegenheiten der Gemeinden, wurde hingegen viel verschriftlicht. Nur bei Vorwürfen des Missbrauchs an Kindern gibt es keine Dokumentation: „Da war der Kuli anscheinend leer“, sagte Endress. „Was den Umgang mit dem Schriftgut angeht, muss ein einvernehmliches Handeln zwischen Erzbischof Oskar Saier und seinem Personalreferenten Robert Zollitisch bestanden haben.“

Saier war von 1978 bis 2002 der 13. Erzbischof des Erzbistums Freiburg. Ihm attestiert die Kommission eine „bewusste Ignoranz“ beim Umgang mit beschuldigten Klerikern. „Im Grunde genommen wollte er über all das nichts wissen“, schildert Endress. Er habe in seiner Amtszeit das Leitbild „Über meine Priester lasse ich nichts kommen“ gehabt. Die Betroffenen hätten für diesen Bischof offensichtlich keine Rolle gespielt. Wichtig war nur der Schutz der Kirche, so Endress.

Die Kommission legte dar, dass sexualisierte Gewalt durch Verantwortliche jahrelang bagatellisiert wurde und Druck auch durch Gemeinden auf Menschen entstand, die auf Missbrauchstäter aufmerksam machten.

Besonders eindrücklich sei für die Kommission auch gewesen, dass Alt-Erzbischof Robert Zollitsch einen Priester, der einvernehmlich Sex mit erwachsenen Frauen hatte, aufgrund des Verstoßes gegen das Zölibat nach dem kanonischen Recht verurteilen ließ. Kindesmissbrauch von Priestern ahndete er während seiner Amtszeit nicht. Das Gutachten schildert etwa detailliert einen Fall eines mehrfach beschuldigten Priesters. Dieser habe in einem Gespräch mit Zollitsch gesagt „Das merkt doch so ein kleiner Junge nicht, wenn man ihm in die Hose fasst.“ Die einzige Reaktion des ehemaligen Erzbischofes sei daraufhin gewesen, dass er dem Priester geraten habe, einen Kontakt zu einer Psychologin aufzunehmen.

Kritik an den Vorgängern

Auch Erzbischof Stephan Burger räumte nach der Veröffentlichung ein, Fehler gemacht zu haben, und kritisierte das Verhalten seiner Vorgänger. „Es macht mich fassungslos, dass beide wider besseres Wissen so handelten“, sagte Burger. Der Erzbischof selbst kündigte keine personellen Konsequenzen an, über mögliche kirchenrechtliche Folgen für seinen Vorgänger Zollitsch müsse in Rom entschieden werden. Burger ist einer der Bischöfe, der sich in den Abstimmungen zu Reformtexten im Rahmen des Synodalen Wegs, etwa zur Öffnung des Zölibats für Priester, enthalten hat.

Das Erzbistum Freiburg ist das drittgrößte Bistum in Deutschland und zahlte bislang 3,1 Millionen Euro Entschädigungszahlungen an Betroffene sexualisierter Gewalt.

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10 Kommentare

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  • @Perkele



    Die kath. Kirche hat ihren Ruf bereits verloren, es ist doch bereits seit längerem zu spät, spätestens seit den unzähligen Morden an indigenen Kindern in Kanada!



    Zu lange werkelt die kath. Kirche an diesen Verfahren zur vermeintlichen Aufklärung herum, die Ausreden oder das vermeintliche Unvermögen bzgl. eines so wichtigen Themas sind schon lange nicht mehr vermittelbar.



    Wie wichtig dies psychologisch für die Opfer ist, muss allen seit mind. 20 Jahren bekannt sein.



    Diese Verzögerungstaktik unter fadenscheinigen Gründen, in Kombination zur Wehemenz der Kirchenvertreter, unbedingt die staatsanwaltschaftliche Aufklärung zu vermeiden, die eigene Sachaufklärungen der Öffentlichkeit hingegen willkürlich zu vorzuenthalten, ist aussagefähig genug.



    Mir drängt sich der Eindruck auf, dass das Ziel ist, die Verjährungsfristen auszusitzen, oder abzuwarten bis sich das Thema biologisch durch Tot erledigt.



    Dann kann man mit Verjährung argumentieren, dass man nicht mehr ermitteln/bestrafen müsse.



    All die Jahre war es doch ein offenes Geheimnis, dass die für Kinder gefährlichen Häuser "angekreuzt" sind. Das Thema wurde auch gesellschaftlich bagatellisiert, wahrscheinlich auch desswegen, weil die Menschheit von je her ein Bedürfnis nach Glauben, Lebenssinn, Spiritualität, höheren Werten und Moralinstanz hat.



    Dies perfide auszunutzen und dies dann ekelhaft zu decken, ist Missbrauch an der Menschheit.



    Den Papst interessiert nicht sehr, welche Probleme die Deutschen mit diesen Missständen hat, er konzentriert sich lieber auf die Regionen in der das Christentum wächst, und nicht die, in der es schrumpft.



    Soll den Menschen in Entwicklungsländern, die ggf. nicht so aufgeklärt sind, oder mit schwierigeren Nöten zu tun haben, das selbe widerfahren?

  • Kann irgendjemand erklären, warum von diesen unzähligen kirchlichen Kinderschändlern noch nie einer im Knast gelandet ist?

    • @Karin Pewe:

      In einer -sollte man meinen- aufgeklärten, demokratischen Gesellschaft hat sich jeder an die mehrheitlich beschlossenen Gesetze zu halten. Für die Kirche gilt das freilich nicht. Dieses mittelalterliche Konstrukt für Machterhaltung und Gier ist ein Staat im Staate. Leider wird sowas immer noch von vielen Politikern aller Couleur ignoriert.

      • @Perkele:

        Selbstverständlich hat die Kirche sich auch an Gesetze zu halten. Nur besagen Gesetze das es keine Pflicht gibt begangene Straftaten anzuzeigen. Nur wenn jemand erfährt das eine schwere Straftat geplant ist, ist er zur Anzeige verpflichtet. ausserdem gibt es Verjährungsfristen. auch diese gelten nicht nur speziell für Kirchen. Wenn jemand einen Pfarrer wegen aktuellen Straftaten anzeigt wird dieser genauso behandelt wie jeder andere auch.

        Es ist also ganz schlimm was da passiert ist, aber die Justiz, Staatsanwälte, Strafgerichte kennen keine Sonderrechte für kirchliche Straftäter.

        • @Dortmunder:

          Hat die Kirche nicht sogar ein eigenes Arbeitsrecht? Ist es keine Sonderregelung, die Straftäter insofern schützt, als man sie nicht anzeigen MUSS? Das ist im richtigen Leben ganz anders...

  • Ab wann gilt eine Vereinigung eigendlich als kriminellte Vereinigung ?

    • @Bolzkopf:

      Lieber Bolzkopf,



      Ab dem Tag, an dem die Einrichtung, in der die meisten Vergewaltigungen und Kindesmissbrauche verboten wird, die Familie, da sind es immerhin 75% aller Fälle.



      Dass die Fälle in der Kirche so schlimm sind liegt nicht an der Zahl, diese ist im Vergleich zu Sportvereinen verschwindend gering.



      Die Kirche hat den Anspruch den Christlichen Glauben zu verkünden und zu vertreten. Dieser verbietet Gewalt aber radikal. Christen waren die ersten, die den selbstverständlichen Kindermord und Kindesmissbrauch in der Gesellschaft des Mittelmeerraums und Europa verboten.



      Zollitsch hat hier gegen diese Grundwerte seiner eigenen Religion verstoßen und durch sein Amt hier eine mafiöse Struktur geschaffen. Zudem haben Priester und Bischöfe die Aufgabe von Gottes Güte zu predigen und diese selbst zu leben. Wenn gerade diese Missbrauch verüben ist das für ein gläubiges Kind als würde Gott selbst dieses Verbrechen begehen.



      Das ist der Skandal. Nicht die Kirche.

      • @Goyo:

        Die Kirche wird zum Skandal wenn sie als Organisation Strukturen schafft die die Taten verschleiert, die Täter schützt und die eigene Weste (oder sollte ich sagen Soutane?) sauber hält.

  • Der Mann heißt nicht Oskar Seier sondern Oskar Saier. - Die Dunkelziffer. Da ist alles dunkel, sehr dunkel. Vielleicht sollte man lieber von einem Graubereich sprechen. Oder von der Spitze des Eisbergs ( was passen würde, wenn man die menschliche Eiseskälte bedenkt, mit der diese Verbrechen begangen wurden ) .

  • Die Kirche, insbesondere die katholische Kirche ist zu einer heuchlerischen, bigotten Machtmaschine alter, meist weißer Männer verkommen. Christen sind diese Leute nicht. Es ist so traurig, dass wirklich aufrechte Christen oft in den gleichen Topf mit diesen Heuchlern geworfen werden. Wenn die Kirche, was leider zu befürchten ist, nicht wirklich ehrlich aufräumt, dann verliert sie den letzten Rest von Glaubwürdigkeit. Und das ist gut so. Solch eine Institution gehört zerschlagen, wir brauchen sowas nicht.