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Ukrainischer Athlet über IOC und Russland„Sportler sollen keine Killer sein“

Das IOC will russische Athleten wieder zu Wettbewerben zulassen. Der ukrainische Skeletonfahrer Wladyslaw Heraskewytsch kann das nicht nachvollziehen.

Wladyslaw Heraskewytsch bei den Olympischen Spielen von Peking 2022 Foto: USA Today/imago
Andreas Rüttenauer
Interview von Andreas Rüttenauer

taz: Herr Heraskewytsch, was halten Sie von der Entscheidung des IOC, russische Athleten als neutrale Sportler wieder zu internationalen Wettbewerben zuzulassen?

Wladyslaw Heraskewytsch: Ich habe ganz grundsätzliche Probleme mit der Entscheidung. Zwar sind ein paar Bedingungen für den Status eines neutralen Athleten neu formuliert worden …

privat
Im Interview: Wladyslaw Heraskewytsch

24, nahm als erster ukrainischer Skeletonfahrer an den Olympischen Winterspielen 2018 und 2022 teil. In Kyjiw hat er Physik studiert.

… dass Militärangehörige nicht darunterfallen zum Beispiel …

Das ist schon mal ganz gut. Und trotzdem kann so nicht verhindert werden, dass russische Sportler für die russische Propaganda eingespannt werden. Das oberste Ziel muss für mich sein, ukrainische Sportler vor der russischen Propaganda zu schützen. Ukrainer bezahlen mit Menschenleben für das, was mit russischer Propaganda angeheizt wird.

Die Regeln müssten also viel strikter sein?

Ja, wenn der Dienst beim Militär heute endet, kann er dann morgen schon wieder antreten? Und für welchen Zeitraum gelten die Regeln überhaupt? Nur so lange der Wettkampf läuft oder länger? Aber selbst wenn das geregelt ist, können russische Sportler immer noch für die Propaganda benutzt werden.

Wie, glauben Sie, ist die Entscheidung des IOC zustande gekommen?

Es war jedenfalls keine offene Diskussion, die da stattgefunden hat. Alle Treffen und Verhandlungen fanden hinter verschlossenen Türen statt. Niemand weiß, was da genau verhandelt worden ist. Und auch die Anhörung von Athleten aus aller Welt zu Beginn dieser Woche war nicht wirklich eine Diskussion.

Sie haben daran teilgenommen?

Ja, aber wir hatten kaum Zeit, Fragen zu stellen. Einige Sportler wurden unterbrochen. Ihre Mikros wurden stumm geschaltet, einige Fragen wurden einfach nicht beantwortet. Von den 214 Athleten, die bei dem Videomeeting zugeschaltet waren, sind vielleicht 15 zu Wort gekommen. Athletenvertreter aus Afrika und Asien haben fast wortgleiche Statements für die Rückkehr der Russen vorgetragen, statt Fragen zu stellen. Und dann hat sich das Ganze noch umgedreht, als Alexandra Xanthaki plötzlich angefangen hat, uns Fragen zu stellen.

Das ist die Sonderberichterstatterin der UN für Menschenrechte, die es für eine Diskriminierung hält, Sportler auszuschließen, nur weil sie eine bestimmte Staatsangehörigkeit haben.

Sie sollte als Fachfrau doch eigentlich unsere Frage beantworten. Überhaupt war einiges, was sie gesagt hat, ziemlich erschütternd. Sie hat zum Beispiel vorgeschlagen, man solle bei jedem Athleten dokumentieren, ob er wirklich an Kriegsverbrechen oder einem Genozid aktiv beteiligt war. Ein Sportler, der als Soldat an der Front war, trägt für sie erst mal keine Schuld. Für mich ergibt das keinen Sinn. Sportler sollen doch Idole sein und keine Killer. Ich will jedenfalls nicht, dass Killer zu Idolen für kommende Generationen werden. Das kann doch auch nicht im Sinne der olympischen Bewegung sein.

Xanthakis Rechtsgutachten scheint für das IOC große Bedeutung zu haben.

Man kann sich schon fragen, warum nur ihre Einschätzung zählen sollte, warum nicht die Einschätzung von Patricia Wiater zählt, die sie für den Deutschen Olympischen Sportbund erarbeitet hat.

Demnach wäre ein Ausschluss russischer Athleten nicht diskriminierend, wenn man die Menschenrechte der ukrainischen Sportler dagegen abwägt.

Warum orientiert man sich nicht daran? Der UN-Botschafter der Ukraine hat auch noch mal klargestellt, dass es sich beim Gutachten von Alexandra Xanthaki nicht um die Meinung der UN handelt, sondern um ihre persönliche Einschätzung.

Würden Sie denn an Wettkämpfen teilnehmen, zu denen auch Russen zugelassen sind?

Ganz grundsätzlich: ein Boykott kann nicht die Lösung sein. Das wäre eine schlechte Entscheidung für die Ukraine. Wer darunter am meisten zu leiden hätte, wären die ukrainischen Sportler. Aber die leiden ohnehin schon genug. Das kann nicht sein. Außerdem wären wir stumm. Wenn wir nicht an Wettbewerben teilnehmen, können wir nicht mit anderen Sportlern, mit der Welt, mit den Medien sprechen. Wir wären wie in einem Versteck, so als hätten wir aufgegeben.

Und Sie persönlich?

Ich will und kann daran nicht teilnehmen, weil ich auf keinen Fall Teil der russischen Propaganda werden will. Das wäre ein Boykott, ja. Aber wer weiß, vielleicht kommt es ja doch noch zu einem Ausschluss russischer Athleten. Und wenn nicht, kann es sein, dass wir anreisen, nicht starten und vor Ort Aktionen und Proteste organisieren.

Welche Erfahrungen haben Sie vor dem Überfall der Russen auf die Ukraine mit dem IOC gemacht?

Ich habe mich nicht sonderlich mit seiner Politik beschäftigt. Das ist schon lange her, 2016, bei den Olympischen Jugendspielen, habe ich Thomas Bach getroffen. Aber da war ich ja fast noch ein Kind und habe nur an Sport gedacht. Das ist alles.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und wie war das 2022 bei den Spielen in Peking, als Sie das Schild mit der Aufschrift „Kein Krieg in der Ukraine“ hochgehalten haben?

Da ist ein Typ am Eiskanal auf mich zugekommen und hat mich gefragt, was ich damit sagen will. Ich habe dann gesagt, dass das nur eine Botschaft für mein Land ist, für Frieden in der Ukraine. Russland habe ich ja nicht erwähnt. Also war es kein politisches Statement und ich wurde nicht bestraft.

Kurz darauf hat Russland die Ukraine angegriffen. Wo waren Sie am 24. Februar 2022?

Ich war in Kyjiw, meiner Heimatstadt. Ich war dann lange in der Ukraine. Und als ich meine Stiftung gegründet habe, war ich viel in der Ukraine unterwegs. Ich habe ein paar grausame Erfahrungen auf diesen Reisen gemacht. Ich habe diesen Albtraum nicht im Fernsehen, sondern mit meinen eigenen Augen gesehen, zerstörte Häuser und Fabriken. Freunde und Kollegen sind getötet worden. Auch einige Ihrer Kollegen, Journalisten, mit denen ich befreundet war, wurden getötet. Wenn man das sieht, fühlt man sich erst einmal ohnmächtig.

Sie sind dann aktiv geworden und haben die Herasketytsch Charity Foundation gegründet, für die Sie Spenden sammeln.

Der Sport ist für die Menschen da, die sich bei Wettkämpfen zeigen wollen. Er dient dem Image deines Landes. Aber vor allem ist er für die Leute da, für die einfachen Leute aus deinem Land, die dich unterstützen. Für mich ist das eine Möglichkeit, uns für ihre Unterstützung zu bedanken. Wir können Leben retten, wir können ihnen helfen. Wir helfen Leuten, die ihr Haus verloren haben, bei der Unterbringung, wir helfen denen, die es sich nicht leisten können, bei der Beschaffung von Materialien. Und natürlich ist das auch eine Möglichkeit, unsere Verteidiger und ihre Familien zu unterstützen. Das ist unsere Art, Danke zu sagen, dass sie uns ermöglichen, unseren Sport auszuüben.

Bleibt denn überhaupt genug Zeit für den Sport?

Ich bin vor allem als Chef der Stiftung im Einsatz und als Aktivist für die ukrainische Sache. Vor einem Wettkampf stehst du früh am Morgen auf und siehst die Nachrichten und du denkst: das ist doch einfach unfair, das ist doch alles eine große Ungerechtigkeit. Du kannst dich nicht voll auf den Wettkampf fokussieren, weil dir das irgendwie überflüssig vorkommt. Aber gehört zu werden, dazu beizutragen, dass es deinem Land wieder ein bisschen besser geht, das ist nicht überflüssig. Auch nicht, den Leuten, die nicht so genau verfolgen, was gerade in der Ukraine passiert, davon zu erzählen und um Unterstützung zu bitten. Denn auch wenn die Leute nur einen Dollar oder einen Euro spenden, dann kann das schon viel bedeuten.

Sie gehören zu den Sportlern, die selbst für sich sprechen. Immer mehr Athleten äußern sich unabhängig von den Verbänden. Ist das die Zukunft des Sport?

Alles sollte sich um die Sportler drehen. Verbände sollten nur ein Ziel haben: die Athleten zu stärken, es ihnen leichter zu machen. Aber so wie die Strukturen im IOC jetzt sind, wo alles im Verborgenen verhandelt wird, das macht alles nur komplizierter. Die Sportverbände helfen uns nicht, sie nehmen uns nicht wahr, sie hören uns nicht zu. Bei Olympischen Spielen geht es doch nicht um Funktionäre, es geht um Sportler und ihre Auftritte im Wettkampf. Dabei sollten die Sportler unterstützt werden. Und unser Hauptanliegen ist dann, so wie es die olympische Charta will: die Welt zu einem besseren Ort machen, zu einem friedlichen.

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14 Kommentare

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  • Nationalität sagt noch lange nichts über den Charakter aus. Wer das glaubt hat ein ernstes Problem mit sich selber! Ist das nicht so?

  • Vielleicht sollt man die Olympsichen Spiele für die Dauer des Ukraine-Krieges einfach aussetzen. Im Zweiten Weltkrieg gab es auch keine. Und ansonsten kann ich ja jeder Sportler mal Gedanken darüber machen, wie zielführend es ist, über Jahre den gleichen Sport in diesem Ausmaß zu betreiben, da geht es ja auch nur um Geld.

    • @rolf -berlin:

      Wie zielführend ist es denn über Jahre die gleiche Berufstätigkeit in diesem Ausmaß zu betreiben,da geht es ja auch nur um Geld!

    • @rolf -berlin:

      Meine Rede, danke.

  • Die Neutralität des Sports ist eine Farce, seit Jahrzehnten. Der Dilettant und Ignorant Bach weiß offensichtlich nicht, mit welcher Akribie westliche Journalisten russisches Staatsdoping nachgewiesen haben. Von der ehemaligen DDR etc. ganz zu schweigen.

  • Um es ganz klar zu sagen, ich bin immer dagegen SportlerInnen, egal aus welchem Land, daran zu hindern an Olympiaden, Weltmeisterschaften u.ä. teilzunehmen. Aber ich kann auch W. Heraskewytschs Meinung nachvollziehen, teile sie aber nicht. Die Olympiaboykotte in Montreal, Moskau und Los Angeles gingen ja auch nach hinten los. Da hat sich die Politik eingemischt, den Schaden hatten die Aktiven, denn die Allermeisten wollten starten! Und dasselbe gilt auch für Künstlerinnen und Künstler die boykottiert oder entlassen werden.



    Selbst in der NHL werden die russischen Eishockeycracks weiterhin für ihr Können gefeiert, auch ein Alexander Owetschkin.

    • @Andy Krisst:

      Bei der Olympiade treten nur Sportler an, die von ihren nationalen Komitees nominiert werden - als Privatsportler/in kommt man da nicht rein. Und im Falle Russlands kann man getrost davon ausgehen, dass diesmal nur 100% Linientreue in der Mannschaft sein werden.

      • @TheBox:

        Wo ist bitte das Problem? Was hat Sport mit Politik zu tun????

        • @aberKlar Klardoch:

          Alle großen Veranstaltungen, wo sehr viele Menschen aufeinander treffen und viel Geld im Spiel ist, haben was mit Politik zu tun. Wer glaubt, dass der IOC oder seine Olympiade vollkommen unpolitisch seien, lebt in einer Traumwelt.

  • Der ganze Spitzensport besteht ja fast ausschließlich nur aus Polizei und Soldatei, weil sonst Niemand diesen Schwachsinn in seinen Tagesablauf integrieren kann und der olympische Wettkampf sowieso nur nationalem Prestige dient. Bach hat recht, das ist Olympia, nur wir Trotteligen interpretieren da immer etwas Höheres hinein.

    • @Weidle Stefan:

      Das ist in Deutschland so. Die Norweger sind Kindergärtner oder Handwerker. Geht auch.

  • Der IOC ist genauso korrupt wie die FIFA. Da geht es nicht um Moral, sondern Geld. War schon immer so, und wird sich in diesem Falle wohl nicht ändern. Ich werde mir auf jeden Fall nix davon anschauen.

  • Diese IOC-Entscheidung ist inakzeptabel. Deutschland (Herkunftsland Bachs) und Frankreich (Austragungsland der Spiele) sollten Bach auf die Sanktionsliste setzen und ganz offiziell von politischer Seite seinen Rücktritt verlangen. Er ist nicht weniger unmöglich als Schröder.



    Problem sind die völlig verdrehten Argumente. Das IOC sagt ja, Neutralität müsse sein und Sportler dürften nicht allein wegen ihrer Nationalität von der Teilnahme ausgeschlossen werden. Gleichzeitig stellt es Alibi-Bedingungen auf (wie den Ausschluss von Soldaten und die Forderung, die Sportler sollten sich vom Krieg distanzieren). Dabei ist ganz offenkundig, dass diese Bedingungen umgangen werden.



    Natürlich sollten russ. Sportler, die Putin-Russland verlassen wollen oder dort verfolgt werden, weil sie offen gegen den Krieg eintreten, an den Spielen teilnehmen dürfen (ruhig auch gegen die oft etwas nationalistisch-pauschalisierenden Einwände der ukrainischen Wortführer). Aber doch nicht so, wo klar ist, dass die Distanzierung nur zum Schein erfolgt und Putin diese Sportler unterstützt und trotz ihres pro forma inoffiziellen Status als Vertreter Russlands betrachtet. Und noch weniger, wenn das zum Boykott der Spiele durch die Ukrainer führt, wie ja jetzt abzusehen.



    Die einzige wirklich neutrale Lösung wäre, gar keine Spiele zu veranstalten, weil es so nunmal nicht geht. Dann leiden alle Sportler gleichermaßen und der Zorn sollte sich auf Putin richten. Aber sowas fällt Bach nicht ein, da hängt zu viel Geld dran.

  • Ekelhaft von Bach.