Russische Sportler bei Olympia: Einladung für Schleichwege
Die Bedingungen des IOC für die Teilnahme an Olympia sind vage. Fest steht, dass Sporterfolge politisch instrumentalisiert werden können.
IOC-Chef Bach empfiehlt die Wiederzulassung russischer und belarussischer SportlerInnen Foto: Denis Balibouse/reuters
Der Zerfall des internationalen Sportsystems steht auf dem Spiel, hatte der oberste Sportfunktionär Thomas Bach gewarnt. Die nun formulierte Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Sportler:innen aus Russland und Belarus wieder zu den Wettkämpfen zulassen, verhindert diesen Zerfall nicht, sie dokumentiert ihn. Es ist der untaugliche Versuch, die Welt des Sports nachträglich zu vakuumieren, um sie vor den zersetzenden Einflüssen der politischen Realität zu schützen.
In den Laborräumen des IOC hat man sich überlegt, wie man die Vorzeigeathleten der brutalen Invasionsmacht Russland möglichst unbeschadet in die olympische Fantasiewelt des friedlichen Miteinanders transferieren kann, wo sie im Wettstreit mit ukrainischen Konkurrenten bestenfalls noch die verbindende Kraft des Sports symbolisieren sollen.
Die Bedingungen, die man dafür ausformuliert hat, sind gewiss weitgehender, als viele zuvor gedacht haben. Um als neutraler Athlet zugelassen zu werden, müssen Belaruss:innen und Russen nicht nur auf nationale Fahnen, Hymnen und Teamwettbewerbe verzichten. Mitmachen dürfen sie lediglich, wenn sie den Krieg nicht „aktiv“ unterstützen und nicht beim belarussischen oder russischen Militär „unter Vertrag stehen“.
Nach jetzigem Stand wäre damit die große Mehrheit der russischen Olympiakandidat:innen ausgeschlossen. Doch wer definiert, was aktive Unterstützung heißt? Wie wird das mit welchem Aufwand überprüft? Und ist der Ausschluss von Militärangehörigen nur eine formale Klausel fürs gute olympische Gewissen, die durch einen kurzfristigen Eintritt in einen vorgeblichen Zivilberuf fix ausgehebelt werden kann?
Eine nationale Angelegenheit
Derart unscharfe Voraussetzungen klären wenig, sie sind vielmehr eine Einladung für Schleichwege und weitere Debatten. Und sie sind ein Ergebnis der auch im internationalen Sport bestehenden weltweiten Uneinigkeit darüber, wie auf Russlands Invasion reagiert werden soll. Das Grundproblem der IOC-Empfehlung besteht darin, dass der olympische Sport sich der polarisierten politischen Lage nicht entziehen kann, indem er das Individuum und seine Rechte in den Mittelpunkt rückt.
Der internationale Sport ist schon immer ein Instrument nationaler Selbstvergewisserung gewesen. Medaillen werden als Währung nationaler Stärke gelesen. Sport ist eine nationale Angelegenheit. Per Gremienbeschluss kann man ihn zwar zur Privatangelegenheit umetikettieren, nur hilft das wenig. Die politische Instrumentalisierung russischer Sporterfolge lässt sich nicht verhindern.
Selbst das IOC scheint von seiner eigenen Empfehlung nicht überzeugt zu sein. Ausdrücklich wies man daraufhin, dass dadurch noch keine Vorentscheidung darüber getroffen worden sei, ob Sportler:innen aus Russland und Belarus an den Olympischen Spielen 2024 in Paris teilnehmen können. Man werde erst einmal die Umsetzungen der vorgeschlagenen Maßnahmen beobachten und diese dann bewerten. Die Tür wurde also ein Stück weit unter dem Verweis geöffnet, dass sie vielleicht gleich wieder zugeschlagen wird. Die Zerrissenheit im internationalen Sport könnte kaum größer sein.
Russische Sportler bei Olympia: Einladung für Schleichwege
Die Bedingungen des IOC für die Teilnahme an Olympia sind vage. Fest steht, dass Sporterfolge politisch instrumentalisiert werden können.
IOC-Chef Bach empfiehlt die Wiederzulassung russischer und belarussischer SportlerInnen Foto: Denis Balibouse/reuters
Der Zerfall des internationalen Sportsystems steht auf dem Spiel, hatte der oberste Sportfunktionär Thomas Bach gewarnt. Die nun formulierte Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Sportler:innen aus Russland und Belarus wieder zu den Wettkämpfen zulassen, verhindert diesen Zerfall nicht, sie dokumentiert ihn. Es ist der untaugliche Versuch, die Welt des Sports nachträglich zu vakuumieren, um sie vor den zersetzenden Einflüssen der politischen Realität zu schützen.
In den Laborräumen des IOC hat man sich überlegt, wie man die Vorzeigeathleten der brutalen Invasionsmacht Russland möglichst unbeschadet in die olympische Fantasiewelt des friedlichen Miteinanders transferieren kann, wo sie im Wettstreit mit ukrainischen Konkurrenten bestenfalls noch die verbindende Kraft des Sports symbolisieren sollen.
Die Bedingungen, die man dafür ausformuliert hat, sind gewiss weitgehender, als viele zuvor gedacht haben. Um als neutraler Athlet zugelassen zu werden, müssen Belaruss:innen und Russen nicht nur auf nationale Fahnen, Hymnen und Teamwettbewerbe verzichten. Mitmachen dürfen sie lediglich, wenn sie den Krieg nicht „aktiv“ unterstützen und nicht beim belarussischen oder russischen Militär „unter Vertrag stehen“.
Nach jetzigem Stand wäre damit die große Mehrheit der russischen Olympiakandidat:innen ausgeschlossen. Doch wer definiert, was aktive Unterstützung heißt? Wie wird das mit welchem Aufwand überprüft? Und ist der Ausschluss von Militärangehörigen nur eine formale Klausel fürs gute olympische Gewissen, die durch einen kurzfristigen Eintritt in einen vorgeblichen Zivilberuf fix ausgehebelt werden kann?
Eine nationale Angelegenheit
Derart unscharfe Voraussetzungen klären wenig, sie sind vielmehr eine Einladung für Schleichwege und weitere Debatten. Und sie sind ein Ergebnis der auch im internationalen Sport bestehenden weltweiten Uneinigkeit darüber, wie auf Russlands Invasion reagiert werden soll. Das Grundproblem der IOC-Empfehlung besteht darin, dass der olympische Sport sich der polarisierten politischen Lage nicht entziehen kann, indem er das Individuum und seine Rechte in den Mittelpunkt rückt.
Der internationale Sport ist schon immer ein Instrument nationaler Selbstvergewisserung gewesen. Medaillen werden als Währung nationaler Stärke gelesen. Sport ist eine nationale Angelegenheit. Per Gremienbeschluss kann man ihn zwar zur Privatangelegenheit umetikettieren, nur hilft das wenig. Die politische Instrumentalisierung russischer Sporterfolge lässt sich nicht verhindern.
Selbst das IOC scheint von seiner eigenen Empfehlung nicht überzeugt zu sein. Ausdrücklich wies man daraufhin, dass dadurch noch keine Vorentscheidung darüber getroffen worden sei, ob Sportler:innen aus Russland und Belarus an den Olympischen Spielen 2024 in Paris teilnehmen können. Man werde erst einmal die Umsetzungen der vorgeschlagenen Maßnahmen beobachten und diese dann bewerten. Die Tür wurde also ein Stück weit unter dem Verweis geöffnet, dass sie vielleicht gleich wieder zugeschlagen wird. Die Zerrissenheit im internationalen Sport könnte kaum größer sein.
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kommentar von
Johannes Kopp
taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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