Haftbefehl des IStGH: Kommt Putin vor Gericht?
Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehl gegen Putin erlassen. Doch bislang wurde in Den Haag noch nie ein Präsident im Amt verurteilt.
Gemäß Artikel 8 des Römischen Statuts, das die Arbeit des IStGH regelt, gilt dies als ein Kriegsverbrechen, für das das Weltgericht zuständig ist. Im Wortlaut ist von „rechtswidriger Vertreibung oder Überführung“ die Rede sowie von „Vertreibung oder Überführung der Gesamtheit oder eines Teils der Bevölkerung des besetzten Gebiets innerhalb desselben oder aus diesem Gebiet“.
Die beiden Gesuchten hätten, so der IStGH, diese Verbrechen gemäß Artikel 25 des Römischen Statuts „selbst, gemeinschaftlich mit einem anderen oder durch einen anderen“ begangen. Putin wird darüber hinaus „Vorgesetztenverantwortung“ durch Unterlassen zur Last gelegt, gemäß einer Klausel von Artikel 28 über „Verbrechen, die von Untergebenen unter seiner tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Untergebenen auszuüben“.
Es geht also um die Duldung von Verbrechen, die er hätte verhindern können.
Ohne die Begriffe der Vorgesetztenverantwortung sowie der gemeinschaftlich begangenen Straftat, genannt „Joint Criminal Enterprise“, wären internationale Kriegsverbrecherprozesse gar nicht möglich. Denn vor internationale Gerichte kommen in der Regel nie direkte Täter, also einfache Soldaten. Das Völkerstrafrecht setzt in der Tradition der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse ganz oben an, bei den Verantwortungsträgern, die Verbrechen planen und anordnen.
Doch beim Versuch, diese „großen Fische“ zu packen, ist der IStGH schon mehrmals gescheitert. Sowohl Laurent Gbagbo, ehemals Präsident der Elfenbeinküste, als auch Jean-Pierre Bemba, ehemals Rebellenchef und später Vizepräsident in der Demokratischen Republik Kongo, verließen Den Haag als freie Männer. Zwar waren die Verbrechen, für die sie laut Anklage Verantwortung trugen, unstrittig – aber ihre strafrechtliche Verantwortung dafür, ob durch Anordnung oder durch Unterlassen einer gegenteiligen Anordnung, war letztlich nicht nachweisbar.
Liberias ehemaliger Präsident Charles Taylor wurde vor einem Sondertribunal zu Sierra Leone zwar schuldig gesprochen, aber lediglich wegen „Beihilfe“ zu Kriegsverbrechen.
Warum nicht Butscha?
Noch nie ist es gelungen, einen amtierenden oder ehemaligen Staatschef wegen der unter seiner Ägide verübten Verbrechen nach den Prinzipien des Völkerstrafrechts zu verurteilen – auch nicht in Ruanda, Kambodscha oder Jugoslawien.
Das ist wohl auch ein Grund, wieso der Haftbefehl gegen Putin zunächst auf ein Kriegsverbrechen beschränkt bleibt, das auf den ersten Blick wenig zentral erscheint: die Kinderverschleppung und nicht etwa das Massaker in Butscha. Die Kinderverschleppung aus der Ukraine fußt auf präsidialen Dekreten und Anordnungen, so ist eine Zuordnung zum russischen Präsidenten und zu seiner Kinderbeauftragten offenbar möglich.
Bei Verbrechen des russischen Militärs wie in Butscha müssten hingegen konkrete Taten auf konkrete Befehle zurückgeführt werden, um strafrechtliche Verantwortung festzustellen. Zivilen Amtsträgern wie Putin militärische Befehle zuzuordnen, gelingt meist nicht.
Um weiterzugehen, müsste man Putin den Krieg als solchen vorwerfen. Hierauf zielen Überlegungen, Putin wegen Völkermords anzuklagen oder ein Sondertribunal zum Angriffskrieg einzurichten. Behauptet der Kreml nicht gern, die „Spezialoperation“ in der Ukraine verlaufe „nach Plan“?
Das Schuldbekenntnis existiert also. Fehlt nur die Anklage. Und natürlich der Beklagte. Den Haag hätte seinen Haftbefehl gegen Putin wohl nie öffentlich gemacht, wenn es ernsthaft damit rechnete, seiner habhaft werden zu können.
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