„So viel Wirkung konnten wir uns gar nicht vorstellen“

In diesem Jahr gibt es wieder keinen „Tag der Bundeswehr“ in Berlin. Auch ein Erfolg des kreativen Protestes, sagt Klaus-Theodor zu Schlechtenzwerg von der Kampagne „Tag ohne Bundeswehr“

Interview Claudius Prößer

taz: Eure Kampagne heißt „Tag ohne Bundeswehr“ – was hat es damit auf sich?

Klaus Theodor zu Schlechtenzwerg: Die Kampagne ist 2021 gestartet – damals haben wir zum ersten Mal einen Aufruf gegen den „Tag der Bundeswehr“ gemacht, der seit 2015 stattfindet. Dabei veranstaltet die Bundeswehr bundesweit Werbeaktionen, geplant war das auch in Berlin.

Ist das eine Aktion der pazifistischen DFG-VK?

Wir sind ein Kollektiv von rund 20 Leuten in Berlin, an der bundesweiten Aktion 2021 haben sich 15 oder 16 Kollektive beteiligt. Unser Aufruf wurde damals zu unserer Überraschung vom Bundessprecherkreis der DFG-VK unterstützt.

Was war überraschend?

Die DFG-VK ruft selbst regelmäßig zu Aktionen am „Tag der Bundeswehr“ auf, auch dieses Jahr. Allerdings sind die Ak­tions­mittel eher Infostand und Flyer. Das finden wir auch gut und wichtig, und umso schöner finden wir, dass sie auch ein bisschen krawalligere Aktionen wie unsere unterstützen.

Noch gab es keinen „Tag der Bundeswehr“ in Berlin.

2020 scheiterte der erste Versuch wegen der Coronapandemie. Für 2021 haben wir Geld gefundraist und Poster gedruckt, die die Werbung der Bundeswehr leicht abgewandelt haben.

Da standen dann vor Tarnfleck-Hintergrund „Ausbeutung gewaltsam verteidigen“ oder „Jeder Tote ist ein kleiner Schritt zum Weltfrieden“.

Klaus-Theodor zu Schlechtenzwerg

ist der nom de guerre von SprecherInnen der Kampagne „Tag ohne Bundeswehr“ (tob21.noblogs.org).

Genau. Auch 2021 wurde alles wegen Covid abgesagt, trotzdem war unser Adbusting landauf, landab zu sehen. Das hat auf Social Media eingeschlagen und der Bundeswehr die Show gestohlen. In Berlin war die Besonderheit, dass die Bundeswehr ihren Tag mit dem Tegeler Hafenfest zusammenlegen wollte. Der damalige CDU-Bürgermeister, Frank Balzer, hat das mit vorangetrieben. Wir fanden diese Idee besonders schlecht, denn bei so einem Fest laufen der Bundeswehr ja alle möglichen Leute in die Hände. Da gab es aber offenbar schon Risse im Konzept, es war schon beschlossen worden, sich mit der Aktion in die Julius-Leber-Kaserne zurückzuziehen.

Protestiert wurde trotzdem?

Auch 2022 haben Leute rund um das Ministerium in Tiergarten Poster aufgehängt. Aber fiese ChaotInnen haben auch Flyer gedruckt und einen Kommunikationsguerillakrieg vom Zaun gebrochen. Mal erklärte eine „Kriegsministerin Annegret Krupp-Knarrenbauer“, sie wünsche sich noch mehr Protest, weil die Bundeswehr ja auch dafür kämpfe, dass man gegen sie sein könne, mal lehnte Frank Balzer vermeintlich den „Tag der Bundeswehr“ ab, weil er in der Pandemie erkannt habe, dass es viel besser sei, das Gesundheitswesen aufzurüsten.

Im Juni steht der erste „Tag der Bundeswehr“ nach Covid an – aber jetzt ist Berlin wieder nicht auf der Liste.

Ja, das hat uns auch überrascht. Dass wir mit dem bisschen Poster-Protest so viel Wirkung haben würden, konnten wir uns gar nicht vorstellen. Aber wir freuen uns natürlich.

Ihr habt das verhindert?

Politische Veränderungen haben immer mehrere Faktoren. In diesem Fall war die Pandemie auf die Kampfmoral gegangen, und in Tegel gab es nach der zeitweiligen Aus für die CDU im Bürgermeisteramt keine Unterstützung mehr. Wenn dann noch nervige satirische Aktionen dazukommen, kann das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Der Krieg Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs im Jahr 2022 haben 536 Frauen und Männer in Berlin ihren Dienst als Soldaten und Soldatinnen bei der Bundeswehr angetreten. Damit waren es rund 150 mehr als im Jahr davor, wie das Bundesverteidigungsministerium in Berlin mitteilte. 455 Männer und 81 Frauen stellten sich in Berlin 2022 in den Dienst der Bundeswehr. Deutschlandweit begannen 18.775 Menschen ihre Karriere bei der Bundeswehr – davon waren 15.586 Männer und 3.189 Frauen.

Die Jungen Das Vor-Corona-Niveau wurde in Berlin aber noch nicht erreicht: Vor vier Jahren lag die Anzahl der Einstellungen noch bei 679. 2020 und 2021 nahm die Anzahl der Einstellungen ab. Im Vergleich zum Vorjahr 2021 traten außerdem mehr Minderjährige den Dienst bei der Bundeswehr an. Waren es 2021 36 17-Jährige, erhöhte sich die Zahl im Jahr 2022 auf 68. Das Verteidigungsministerium betonte, dass die unter 18-Jährigen keinen Dienst leisten, „der den selbstständigen Gebrauch der Waffe fordern könnte“. (dpa)

Seit Ukrainekrieg und „Zeitenwende“ scheint alles anders zu sein, militärische Gewalt und Aufrüstung genießen neue Legitimation.

Die Stimmung in der Bevölkerung hat das nicht einfacher gemacht. Aber ich denke nach wie vor, dass Aufrüstung es nicht bringt – die ganze Rüstung hat Putin nicht davon abgehalten, in die Ukraine einzumarschieren. Und wenn wir uns nicht lange eingeredet hätten, dass das ein lupenreiner Demokrat ist, und schon vor Jahren gewaltfreie Mittel wie Sanktionen ausgespielt worden wären, hätte eine gute Chance bestanden, dass alles nicht so schlimm kommt. Ich glaube weiter, dass gewaltfreie Mittel ausreichend Druck machen können und Rüstung nicht das ist, was abschreckt.

Lässt sich künftig noch Protest gegen militaristische Werbung organisieren, oder hat sich der Wind gedreht?

Ich fürchte, es wird schwieriger, aber ich fände es schade bis katastrophal, wenn noch mehr Geld in Rüstung verschwendet wird, statt ein Sondervermögen Klimaschutz aufzulegen. Und dass die Stimmung schlechter wird, ist ja kein Anlass, die Hände in den Schoß zu legen.