Ursula Schröder über die Ukraine: „Frieden ist harte Arbeit“
Die Debatte über die Unterstützung für die Ukraine sei zu sehr auf Waffenlieferungen fokussiert, findet die Politikwissenschaftlerin Ursula Schröder.
taz: Frau Schröder, ein Jahr Zeitenwende. Haben wir zu viel über Panzer und Waffensysteme geredet?
Ursula Schröder: Die Debatte über Panzer war notwendig. Aber wir haben zu viel über Waffensysteme geredet und zu wenig über politische Projekte. Wir müssen über die Einbindung der Ukraine in eine nachhaltige europäische Friedens- und Sicherheitsordnung sprechen.
Was heißt das konkret?
Bis ein Staat der EU beitreten kann, dauert es oft 10 bis 15 Jahre. Es gibt bisher keine Möglichkeit dieses Verfahren wesentlich abzukürzen. Es braucht daher eine politische Zusage, dass der Beitritt der Ukraine ernst genommen wird. Und man müsste den Beitrittsprozess dynamischer gestalten.
Ursula Schröder
ist seit 2017 Wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
Und Nato-Garantien für die Ukraine nach einem Frieden? Herfried Münkler meint, dass diese Garantie nur die Androhung eines Krieges der Nato gegen Russland sein kann – also das, was derzeit alle ausschließen. Wie bewerten Sie das?
Sicherheitsgarantien werden eine der Kernfragen für eine zukünftige Verhandlungslösung sein. Die müssen eine knallharte Unterstützungsgarantie sein. Aber ohne boots on the ground. Die Ukraine muss militärisch in die Lage versetzt werden, sich gegen externe Aggression zu wehren. Der Nato-Artikel 5, die Beistandklausel, ist nicht die einzige mögliche Sicherheitsgarantie. Es gibt einen entsprechenden Artikel in den EU-Verträgen. Der ist sogar härter formuliert als der Artikel 5. Sicherheitsgarantien könnten auch von einem Klub von Staaten ausgehandelt werden, also nicht der Nato, sondern Staaten, die die Ukraine langfristig militärisch und wirtschaftlich unterstützen. Damit die Ukraine als Staat souverän bleibt.
Also Aufrüsten?
Ausrüsten und ausbilden.
Es wird viel diskutiert, ob ein Sieg der Ukraine oder keine Niederlage das Kriegsziel ist. Wie deuten Sie das?
Diese Begriffe helfen nicht weiter. Es geht am Ende um das politische Ziel, die souveräne Ukraine, nicht um das rein militärische Ziel. Die Formel, dass Kiew gewinnen muss, könnte von russischer Seite auch so verstanden werden, dass Russland insgesamt besiegt werden soll. Das wäre gefährlich.
Muss der Westen seine Ziele klarer definieren?
Die Kriegsziele verändern sich im Kriegsverlauf. Das ist normal. Man kann sie nicht kleinteilig definieren. Man kann aber politische Ziele definieren.
Es gab historische Vergleiche, etwa Hitler mit Putin. Ist das nützlich?
Schwierig, weil falsche Ähnlichkeiten vorgegaukelt werden. Ich vergleiche lieber Muster, etwa Friedensabkommen, die funktioniert oder nicht funktioniert haben. Insofern kann man etwas aus der Geschichte lernen. Aber nicht mit Hitler-Analogien.
Werden Kriege in der Regel durch Verhandlungen beendet?
Ja. Nur 20 Prozent der zwischenstaatlichen Kriege im 20. Jahrhundert endeten mit einem Sieg. Das ist also eher unwahrscheinlich. Viele Kriege enden mit Verhandlungen und Friedensabkommen, die aber oft gebrochen werden. Wir müssen uns auch in diesem Fall darauf einstellen, dass es keine schnelle Lösung geben wird. Frieden ist nach Ernst-Otto Czempiels Definition ein Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit. Ein Weg zum Frieden in diesem Krieg bedeutet harte und lange Arbeit.
Wissen wir eigentlich, dass derzeit keine Verhandlungen stattfinden?
Nein. Aber auch die Friedensverhandlungen von Oslo zwischen Israel und der palästinensischen PLO 1993 fanden geheim statt. Das hatte Vorteile für die Vermittlung zwischen den Konfliktparteien. Ich glaube aber nicht, dass es momentan Statusverhandlungen gibt. Die russische Seite ist dazu nicht bereit. Bei künftigen Verhandlungen müssen wir eher Richtung Iran und Atomabkommen denken. Also an eine konzertierte multilaterale Initiative mit einem Set von Staaten unter Beteiligung der Vereinten Nationen. Solche Verhandlungen sind ein hartes und hoch professionelles Geschäft, das gut vorbereitet werden muss.
Verhandlungen lösen den Krieg nicht ab, sondern laufen parallel?
Ja, häufig. Erfolge und Misserfolge auf dem Schlachtfeld beeinflussen massiv die spätere Position in Verhandlungen. Kriege enden nicht einfach mit einem umfassenden, endgültigen Waffenstillstand. Das wahrscheinliche Szenario für die Ukraine ist eine lange währende Konfliktsituation. Weder Krieg noch Frieden, sondern etwas dazwischen. Wir kennen dieses Muster aus anderen Kriegen. Konflikte werden befriedet und brechen wieder aus. Wo einmal Krieg war, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er dort wieder ausbricht, hoch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod