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Ausschuss debattiert über MesserangriffKeine Hinweise auf Islamismus

Hamburger Staatsräte verteidigen in Kiel den Umgang mit dem Messerattentäter von Brokstedt. Er sei umfänglich psychiatrisch betreut worden.

Der Tatort im Bahnhof Brokstedt Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Kiel taz | Über den späteren Messer-Attentäter von Brokstedt, Ibrahim A., haben die Hamburger Behörden das Nachbarbundesland Schleswig-Holstein nach eigener Darstellung regelmäßig informiert. Wie der Hamburger Justiz-Staatsrat Holger Schatz vor dem Kieler Innen- und Justizausschuss zudem sagte, sei eine etwaige islamistische Gesinnung von Ibrahim A. in der Haft nicht erkennbar gewesen.

Der staatenlose Palästinenser Ibrahim A. hatte am 25. Januar in einer Regionalbahn von Kiel nach Hamburg zwei Menschen erstochen und weitere zum Teil lebensgefährlich verletzt. A. war erst eine Woche zuvor in Hamburg aus einer einjährigen Untersuchungshaft entlassen worden. Er musste sofort entlassen werden, weil die U-Haft bereits so lange wie eine höchstens zu erwartende Strafhaft gedauert hatte. Wellen schlägt der Fall auch, weil A. seit seiner Einreise 2014 eine Reihe weiterer Straftaten begangen hat, aber nicht abgeschoben werden konnte.

Staatsrat Schatz wies Vorwürfe zurück, der psychologisch auffällige A. sei in der Untersuchungshaft unzureichend betreut worden. 16 Mal sei er von externen Psychiatern aufgesucht worden, zuletzt kurz vor seiner Entlassung. Dabei habe der Psychiater festgestellt, dass A. weder sich selbst noch andere gefährde.

„Nicht als außerordentliches Vorkommnis mitgeteilt“

Schatz erläuterte auch, warum die islamistischen Äußerungen A.s unter der Wahrnehmungsschwelle der Behörde blieben. Zwei oder drei Sätze seien in einem Wahrnehmungsbogen erfasst worden, mit dem sich die Justizbediensteten von Schicht zu Schicht untereinander informierten. Sie seien „nicht als außerordentliches Vorkommnis mitgeteilt“, sondern in die Beschimpfungen eingeordnet worden, die A. regelmäßig äußerte.

Zudem habe A.s Verhalten in der Haft keine Indizien für eine islamistische Radikalisierung geliefert. Der Staatsrat bezeichnete die Frage, wann welche Information zwischen den Ländern ausgetauscht worden sei, als „nicht so erheblich“. Schatz wies aber darauf hin, dass Hamburg die Kieler Ausländerbehörde gleich nach A.s Inhaftierung per Mail informiert und erst nach mehrfachem Nachfragen eine Antwort erhalten habe. Auch über das weitere Verfahren, etwa dass A. gegen seine Verurteilung in Berufung ging, habe Hamburg informiert.

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12 Kommentare

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  • Dazu die Recherche des NDR:



    www.ndr.de/nachric...,brokstedt208.html

  • "Dabei habe der Psychiater festgestellt, dass A. weder sich selbst noch andere gefährde."

    Der Satz erinnert an das Lied "Die Wissenschaft hat festgestellt, festgestellt, festgestellt". "Festgestellt" hat der Psychiater gar nichts. Er hat etwas prognostiziert. Und das hat sich, wie so viele Prognosen, als falsch herausgestellt.

  • In anderen Medien ist zu lesen, dass der Täter sich mit A. Amri verglichen hat.

  • Alle reden sich raus! Kein Politiker oder keiner der Staatsräte hat den Mumm zu sagen "Wir haben hier Fehler gemacht! Ich stehe dafür gerade!"

    Erbärmlich - einfach nur erbärmlich!

    Und alles hat mit Sicherheit keine Konsequenzen 😡🤢

  • Die "... islamistischen Äußerungen A.s..." blieben "... unter der Wahrnehmungsschwelle der Behörde [...] Zwei oder drei Sätze seien in einem Wahrnehmungsbogen erfasst worden..." Was denn Nu? Äußerungen, die unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben, wurden im Wahrnehmungsbogen erfasst? Also wurden sie wahrgenommen? Oder wurden sie wahrgenommen aber nicht wahrgenommen? Kann das jemand erklären?

    • @Klaus Kuckuck:

      Hier wird mit unterschiedlichen Definitionen von „Wahrnehmung“ gearbeitet.

      In dem Wahrnehmungsbogen schreiben die JVA-Bediensteten offenbar rein, was sie so erleben. „Wahrnehmung“ im alltäglichen Sinne. Das ist für sie sinnvoll.

      Bei der „Wahrnehmungsschwelle“ geht es hingegen darum, ab wann eine Behörde anfängt, zu agieren bzw. anfängt, darüber nachzudenken, ob sie Maßnahmen trifft.

      „Dabei habe der Psychiater festgestellt, dass A. weder sich selbst noch andere gefährde.“



      Der Satz dürfte falsch konstruiert sein. Es ist untypisch, dass ein Psychiater sagt: “Der Mann ist nicht gefährlich.“

      Ein Psychiater erkennt Anhaltspunkte für eine Fremd- oder Eigengefährdung oder eben nicht.

      Was von den Äußerungen von Ibrahim A. in Artikeln zu lesen ist, ist nicht wirklich aussagekräftig.

      Ohne Fremd- oder Eigengefährdung haben die Behörden aber keine Rechtsgrundlage, über Zwangsmaßnahmen nachzudenken.

      Und natürlich verlässt so jemand dann auch die JVA.

      Wenn Sie Ihre Psychose als Privatvergnügen betreiben, dürfen Sie in diesem Land das.

      Schon die Weitergabe von Aufzeichnungen oder Berichten eines auffälligen Verhaltens ist dann möglicherweise datenschutzrechtlich nicht zulässig.

      • @rero:

        Danke für die umfassende Aufklärung. Jetzt bleibt die Frage: Gibt es für die Ausführungen hinsichtlich erlebter/alltäglicher Wahrnehmung vs. behördlicher Wahrnehmung eine seriöse Quelle, so ne Art Diensterlass, oder haben Sie sich das selbst erschlossen?



        Des Weiteren werfen ihre Ausführungen die Frage auf, ob sich eine Psychose, aus welcher sich erhebliche Gefahren für andere Menschen ergeben, als Privatvergnügen einordnen lässt. Falls Sie dazu wieder mehr wissen, dieses Mal bitte mit Hinweis auf die Vorschriftenlage. Danke

        • @Klaus Kuckuck:

          Zu 1.:



          Einen Diensterlass, was eine Wahrnehmung ist? Wohl eher nicht.

          Die "Wahrnehmungsschwelle" ergibt sich aus dem Verwaltungsrecht. Darauf wird sich ja bezogen.

          Ich habe damit einige Jahre beruflich zu tun gehabt.

          Zu 2.:



          Sobald Ihre Psychose Fremd- oder Eigengefährdung bedeutet, sind Sie raus aus dem Privatvergnügen.

          Jedes Bundesland hat ein eigenes Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und ein eigenes PsychKG.

          Inhaltlich sind sie sehr ähnlich.

          Viel Spaß bei der Lektüre.

          • @rero:

            Soso, aus dem Verwaltungsrecht. Wo lässt sich diese Wahrnehmungsschwellenverordnung denn genau nachlesen? Quellenangabe bitte. Oder haben Sie sich das am Ende alles ausgedacht?



            Wie kamen Sie noch mal auf Ihre Psychose? Hatte das irgendwas mit dem Fall zu tun?

            • @Klaus Kuckuck:

              Lesen Sie sich die Verwaltungsverfahrensgesetze der verschiedenen Bundesländer einfach durch.

              Vielleicht lesen Sie den Artikel noch mal?



              Das hilft Ihnen weiter zu erkennen, was eine Psychose mit dem Fall zu tun hat.

  • Ok, und was heißt das jetzt? Ändern diese Erkenntnisse irgendetwas an diesem Fall oder an grundsätzlichen Erwägungen?

  • Was sollten wir auch schon in diesem Streit erwarten.



    Da sind Straftäter, würdig einer Gefängnisstrafe, und "psychiatrisch" wurde alles "korrekt abgehandelt".