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Publizist Yannick Haan über das Erben„Ein Großteil erbt gar nichts“

Der Autor und SPD-Politiker Yannick Haan hat genug Geld für eine eigene Wohnung geerbt. Das ist ungerecht, sagt er – und will ein Grunderbe für alle.

Wenn das Bafög nicht reicht: Plakat bei der Bildungsstreik-Demo 2009 in Berlin Foto: Imago/Ipon
Sascha Lübbe
Interview von Sascha Lübbe

wochentaz: Herr Haan, Ihr Buch trägt den Titel „Enterbt uns doch endlich!“ Sie sehen Erben als eines der letzten gesellschaftlichen Tabus, es sei leichter, mit Freun­d:in­nen über den Besuch beim Psychologen zu reden, als darüber, ob und wie viel Geld man erbt. Warum?

Yannick Haan: Das Thema Erben berührt ein Konglomerat an Themen, die wir als Gesellschaft lieber vermeiden: den Tod, den Wert von Familie, Ungerechtigkeit. Und natürlich Geld. Wir reden schon ungern über das Arbeitseinkommen, beim Thema Vermögen wird es noch schwieriger. Es gibt da auch eine gewisse Intransparenz. Wenn man Zahlen zu Reichtum in Deutschland sucht, wie ich es für dieses Buch getan habe, landet man immer bei ungefähren Schätzungen. Armut hingegen ist gut erforscht, weil arme Menschen transparent dem Staat gegenüber leben müssen.

Für Sie selbst war Erben lange kein Thema. Das änderte sich, als Ihre Mutter Ihnen eine größere Summe vererbt hat. Sie sagen, das habe sie von Ihren Freun­d:in­nen entfremdet?

Ja, vorher waren wir alle in einer ähnlichen Situation. Wir hatten Jobs, mit denen wir gut über die Runden gekommen sind, waren aber nicht wirklich vermögend. Durch das Erbe hat sich meine finanzielle Situation plötzlich verändert, obwohl meine berufliche Situation annähernd gleich geblieben war. Ich habe mir von dem Geld eine Eigentumswohnung gekauft, die ich vermiete. Ich habe damit jetzt eine Sicherheit, die ich vorher nicht hatte und die auch in meiner Generation nur wenige haben.

Bild: Marcel Maffei
Im Interview: Yannick Haan

Jahrgang 1986, ist Publizist und Vorsitzender der SPD Berlin-Mitte. Sein Buch „Enterbt uns doch endlich!“ ist im Trabanten-Verlag erschienen.

Sie schreiben im Buch auch über Ihren privilegierten Hintergrund, der Ihnen ein längeres Praktikum in den USA ermöglichte oder schlecht bezahlte Jobs abzulehnen. Hat das Erbe nicht eher Unterschiede verdeutlicht, die ohnehin da waren?

Die Privilegierung war eigentlich die ganze Zeit da, ja. Ich war beispielsweise nicht so gut in der Schule. Meine Eltern konnten es sich aber leisten, mich zu fördern. Dann konnte ich Praktika machen, die richtigen Menschen kennenlernen. So etwas zieht sich durch das ganze Leben, ohne dass es einem immer bewusst ist. Das Erbe kommt dann noch hinzu. Das ist auch das Problem daran: Dass die, die ohnehin privilegiert aufgewachsen sind, noch Geld obendrauf bekommen, ein Großteil der Gesellschaft aber gar nichts erbt. Das ist rückschrittlich.

Dabei hat Erben früher auch gesellschaftlichen Fortschritt bedeutet, schreiben Sie. Wie meinen Sie das?

Das Erbschaftsrecht hat gesellschaftliche Veränderungen sogar angestoßen. Denken Sie an das Erstgeburtsrecht. Früher erbte nur der erstgeborene Sohn, inzwischen erben alle Kinder. Damit wurde die Gleichstellung von Mann und Frau im Erbrecht verankert. Gesellschaftlicher Fortschritt also. Heute hingegen zementiert Erben eher gesellschaftliche Ungleichheiten, etwa zwischen Ost- und Westdeutschland. Wir reden viel über die Angleichung der Löhne, gehen aber nicht an den Kern des Problems: den Umstand, dass in Ostdeutschland kaum Vermögen vorhanden ist. Und das liegt auch am Erben.

In den USA und Großbritannien haben sich zwei Drittel der Superreichen ihren Reichtum selbst erarbeitet, klassische Aufsteiger-Biografien. In Deutschland führen einer Studie zufolge 67 Prozent der Superreichen ihren Reichtum vor allem auf ein Erbe oder Schenkungen zurück. Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?

Das hat zwei Gründe. Zum einen die Wirtschaftsstruktur. Die ist in Deutschland stark von Familienunternehmen geprägt. Die sind oftmals sehr vermögend und geben ihr Vermögen von Generation zu Generation weiter. Der zweite Grund ist die geringe Besteuerung von Vermögen in Deutschland, etwa über die Erbschaftsteuer. Dass Superreiche vor allem übers Erben reich werden, stellt übrigens auch unser Mantra der individuellen Leistung infrage; dieses Versprechen, dass man es mit Leistung finanziell zu etwas bringen kann. Das hat mit der Realität nichts mehr zu tun.

Sie meinen: Egal wie sehr man sich anstrengt, man kommt doch nicht vorwärts? Ist das nicht fatalistisch?

Diese Idee, dass man alles schaffen kann, ist einfach eine Lüge. Deutschland steht in Europa auf einem der hintersten Plätze, wenn es um soziale Mobilität geht. Hinzu kommt eine extreme Vermögensungleichheit. Man sollte sich eingestehen, dass wir ein gesellschaftliches Problem haben. Und dass wir noch viele Probleme haben werden, wenn wir an dieser Situation nichts ändern.

Sie plädieren für ein „Grunderbe“, wie es auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vorschlägt. Eine einmalige Zahlung von 20.000 Euro für jeden. Erhalten soll man das Geld zur Volljährigkeit. Warum gerade dann?

Es ist ein Alter, in dem man wichtige Entscheidungen trifft: Macht man eine Ausbildung, studiert man, gründet man eine Firma? An diesem Punkt die notwendigen Finanzen zu haben, kann den weiteren Lebensweg entscheidend beeinflussen. Ich selbst konnte mich während des Studiums beispielsweise politisch engagieren, ohne noch drei Jobs nebenher machen zu müssen. Natürlich gibt es dafür auch das Bafög. Aber wir sollten uns als Gesellschaft fragen: Wollen wir jungen Menschen in dieser Phase ihres Lebens wirklich Schulden aufbürden? Oder wollen wir ihnen nicht lieber eine Starthilfe geben, die sie ausgeben können?

Soll das Geld frei verfügbar sein?

Zur genauen Ausgestaltung gibt es unterschiedliche Ideen. Das DIW schlägt vor, das Geld an ein Studium oder eine Ausbildung zu knüpfen. Ich hingegen glaube, es sollte komplett bedingungslos sein. Man kann Vertrauen in die Menschen haben, dass sie es vernünftig ausgeben würden. Es würde auch komplizierter und bürokratischer, wenn man es an Bedingungen knüpft. Meine Befürchtung ist, dass dann genau die Menschen davor zurückschrecken würden, es zu beantragen, die es am nötigsten bräuchten.

Finanziert werden soll das „Grunderbe“ über eine Erhöhung der Erbschaftsteuer. Was entgegnen Sie Menschen, die sagen: „Warum sollte ich für mich und meine Kinder etwas aufbauen, wenn der Staat mir wieder einen großen Teil davon nimmt?“

Grundsätzlich ist es ein positiver Gedanke, der nächsten Generation etwas weitergeben zu wollen. Allerdings ist die Vermögensungleichheit in Deutschland inzwischen zu groß. Und sie verstärkt sich immer mehr, wenn wir keine Maßnahmen dagegen ergreifen. Wenn man da beschließt, einen Teil umzuverteilen, ist das für die gesamte Gesellschaft förderlich. Diejenigen, die das Glück haben, eine gute Erbschaft zu bekommen, können das auch gut finanzieren, ohne in den finanziellen Ruin getrieben zu werden. Es ist ein Akt der Solidarität.

Sie haben für Ihr Buch mit der Unternehmerin Paula Schwarz, reiche Erbin des Pharma-Unternehmens Schwarz, gesprochen, die sich für eine gerechtere Vermögensverteilung einsetzt. „Tax me now“, ein Zusammenschluss von Superreichen, fordert, härter besteuert zu werden. Ist da gesellschaftlich was in Bewegung?

Ich finde es gut, wenn reiche Menschen die Vermögensverhältnisse anprangern. Aber man muss das im Verhältnis sehen: Es ist die Ausnahme. Der überwiegende Teil der Superreichen in Deutschland zieht sich komplett zurück, auch aus den Medien. Wo sich hingegen wirklich etwas ändert, ist bei der jüngeren Generation. Vermögende Menschen, die unzufrieden sind mit der Situation und nach Lösungen suchen. Das gibt mir Hoffnung für die Zukunft.

Große Änderungen bei der Erbschaftsteuer finden sich im Koalitionsvertrag nicht. An Sie als SPD-Politiker: Warum?

Was wir in der Politik verlernt haben, auch in der SPD, ist, Steuern wieder als ein Mittel zur gesellschaftlichen Umverteilung zu sehen. Wir haben in den letzten 20 Jahren gesehen, wie sich immer mehr Vermögen gebildet hat und dem einfach zugeschaut. Mehr noch: Wir haben die Steuern so gesenkt, dass Vermögende kaum noch Steuern zahlen. Wir brauchen eine Debatte darüber, wie wir das ändern können. Man sollte sich dabei auch nicht von der FDP und ihrem Mantra „keine Steuererhöhungen“ abspeisen lassen. Es gibt, wie gezeigt, Lösungen. Und die sind auch nicht übermäßig kompliziert.

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