Protokolle zur Iran-Revolution: Schlafen mit Handy unterm Kissen

Im Exil oder vor Ort, aktiv oder passiv – Frauen erzählen, wie sie die Revolution in Iran aktuell erleben. Fünf persönliche Protokolle.

Ein Post zeigt eine Illustration: Eine Frau schneidet sich die Hand ab, die an ihren Haaren reißt

Weltweiter Protest, wie hier in Berlin: das Abschneiden der Haare wurde zum Symbol Foto: Christian Mang/reuters

„Krieg, kein Straßenkampf“: Jina Amiri schloss sich den Protesten in der Stadt Rascht im Nordwesten des Irans an

Ich komme aus Bandar Anzali, einer kleinen Stadt in Nordiran. Und ich bin lesbisch. Als ich die Aufrufe in den sozialen Medien las, habe ich mich den Protesten in der Stadt Rascht angeschlossen. Gleich am ersten Tag haben die iranischen Streitkräfte versucht, die Proteste aufzulösen. Sie haben Tränengas verwendet – wie immer. Die Proteste wurden an einem Ort von den Milizen aufgelöst und an einem anderen Ort wieder begonnen.

Am zweiten Tag der Proteste waren wir wieder auf der Straße. Schon damals konnte man sehen, dass die Proteste größer und radikaler werden. Auf dem berühmten Platz der Jugend in Rascht, genannt „Sabzeh Meydan“, hatten Jugendliche einen Stuhl aus Holz zerschlagen und zerteilt, um sich mit den Holzstücken zu verteidigen. Ich habe mich ihnen angeschlossen, und wir haben es geschafft, die Milizen ein wenig zurückzudrängen. Ich war erst froh – doch dann sah ich, dass ein Polizeiauto von der anderen Seite kommt.

Ein anderes Mal habe ich erlebt, wie Milizionäre mit schweren Waffen auf Motorrädern in die Menge gefahren sind. Das war kein Straßenkampf mehr, sondern ein Krieg. Die Proteste werden immer radikaler, die Angriffe der Milizen auch. Inzwischen wurde ein Freund von mir ermordet. Ich konnte mich kaum bewegen, als ich die Nachricht bekommen habe. Vor ein paar Tagen haben wir seinen 40. Todestag begangen. Sie können uns nicht mehr zum Schweigen bringen.

Jina Amiri heißt anders. Aus Sorge um ihre Sicherheit möchte sie anonym bleiben.

Protokoll: Mina Khani

„Handy unter dem Kissen“: Noushin Shahgaldi beteiligt sich von Deutschland aus an der Revolution

Den Aufstand in Iran erlebe ich in Hannover. Geboren bin ich in Mashhad, im Nordosten des Landes. Mich beunruhigen die Nachrichten aus Iran so sehr, dass ich kaum schlafen kann. Früher habe ich mein Handy ausgemacht, bevor ich ins Bett gegangen bin. Jetzt schlafe ich mit dem Handy unter dem Kissen, keine Nachricht will ich verpassen.

Dieser Text wurde finanziert von der taz Panter Stiftung als Teil einer Beilage zur Frauenrevolution in Iran.

In den sozialen Medien bin ich ständig unterwegs und verfolge alles, was in Iran passiert. Den Zwangshi­dschab musste auch ich in Iran tragen. Ich habe es gehasst. Auch die Angst vor der Sittenpolizei kenne ich. Ich würde so gerne hinreisen! Ich habe einen 25-jährigen Sohn, der auch in Deutschland lebt. Wenn ich nur ein paar Stunden nichts von ihm höre, werde ich panisch. Ich weiß nicht, was die Mütter der Ermordeten in Iran gerade durchmachen.

Ich bin wegen häuslicher Gewalt – und weil die Gesetze in Iran uns Frauen eher kriminalisieren als in Schutz zu nehmen – nach Deutschland geflüchtet. Von hier aus tue ich alles, was in meiner Macht steht. Ich unterschreibe Petitionen, nehme an allen Demonstrationen teil, etwa an der Großdemo in Berlin am 22. Oktober.

Wer sagt, dass wir in Iran keine politischen Alternativen zum Regime haben, irrt sich. Es gibt unzählige Menschen in und außerhalb des Landes, vor allem aber in den iranischen Gefängnissen, die das Land wieder aufbauen könnten. Sepideh Gholian, Hamed Es­ma­elion, Shirin Ebadi, und Hossein Ronaghi sind nur einige Beispiele. Alles, was ich will, ist, ein freies Iran zu erleben.

Protokoll: Mina Khani

„Kurdistan ist nicht allein“: Arezou Arefi schämt sich für das Regime und ist stolz auf die Proteste

Ich bin in Sanandaj aufgewachsen, der größten kurdischen Stadt in Iran. Die Nachricht, dass Jina Mahsa Amini getötet wurde, sah ich, während ich bei der Arbeit war. Ich habe mich schrecklich gefühlt: Stell dir vor, du bist eine Frau in Iran, eine Kurdin. Du besuchst eine fremde Stadt und die Regierung und ihre Schergen töten dich, weil sie dein Kopftuch für nicht bedeckend genug halten. Ich schämte mich, meinen Arbeitskol­le­g:in­nen zu erzählen, dass in meinem Heimatland eine Frau wegen ihres Kopftuchs getötet wurde – dass mein Land Menschen so behandelt.

Als die Demonstrationen in Iran begannen, änderte sich dieses Gefühl. Viele Jahre habe ich mir den Umsturz der Islamischen Republik gewünscht: dass in Iran demokratische Gesetze gelten. Dass Männer und Frauen gleiche Rechte bekommen. Dass sie Meinungsfreiheit genießen dürfen. Dass Frauen ihre Kleidung selbst aussuchen dürfen. Dass sie nicht wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

Nun haben sich Menschen in ganz Iran zusammengeschlossen, um gegen das Regime zu kämpfen. Meine Heimat Kurdistan hat im Laufe der Zeit so viele Opfer gebracht in diesem Kampf, viele Kur­d:in­nen wurden getötet. Jetzt ist Kurdistan endlich nicht mehr alleine. Ich wäre sehr gerne dort, um mit den Protestierenden in meiner Heimat auf die Straße zu gehen. Aber da ich in Deutschland im Exil lebe, tue ich hier, was ich kann: Ich gehe zu den Demonstrationen und versuche, die Stimme der Menschen meiner Heimat zu sein.

Protokoll: Negin Behkam

„Zwei Söhne verloren“: Talat Imani lebt in Jerusalem und möchte noch einmal ihre alte Heimat sehen

Im Jahr 1985 konnte ich endlich nach Israel ausreisen. Sechs Jahre lang musste ich bis dahin unter dem Druck des Regimes von Ruhollah Chomeini leben. Ich hatte einen Reisepass, trotzdem versuchten sie lange, meine Ausreise zu verhindern. Ich hatte das Gefühl, dass sie nach einem Grund suchten, mich zu verhaften. Zum Schluss warfen sie mir vor, eine Agentin Israels zu sein. Mein Mann musste schließlich ein Dokument unterschreiben, das versicherte, dass ich nach Iran zurückkommen würde – was ich nicht getan habe.

Ich liebe Israel, aber in Iran bin ich geboren und aufgewachsen, ich habe viele Erinnerungen an das Land. Ich war glücklich dort. Ich möchte so gerne noch einmal zurückkehren, obwohl ich dort keine Familienangehörigen mehr und kaum noch Bekannte habe. Ich habe zwei meiner Söhne wegen des Regimes und seiner Verbündeten verloren, einen davon im Krieg gegen Libanon. Hätte ich Iran nicht verlassen müssen, wäre mein Sohn nicht zur israelischen Armee gegangen und wäre nicht in diesem Krieg getötet worden. Den zweiten Sohn habe ich bei einem Terroranschlag verloren.

Ich hoffe, dass der Schah zurückkommt und die Islamische Republik fällt. Ich fühle mit den Muslimen in Iran, sie werden ebenfalls unterdrückt. Ich fühle auch mit den Anhängern des Bahai-Glaubens, die nach der Revolution in großer Zahl ermordet wurden. Ich wünsche mir, dass es Konsequenzen hat, wenn das Regime Jugendliche ermordet. Ich wünsche mir, dass wir eines Tages alle frei sind.

Protokoll: Mina Khani, Lisa Schneider

„Gleichheit, Freiheit“: Tamana Paryani protestierte in Afghanistan gegen die Taliban und fühlt mit den Iranerinnen

Mit jeder Zelle meines Körpers fühle ich mit Frauen in Iran und ihrem Kampf. Den Weg, den die revolutionären iranischen Frauen seit September gewählt haben, bin auch ich gegangen. Als die Taliban die Macht in meiner Heimat übernahmen, initiierte ich das Afghanistan Women’s Civil Rights Movement, um mich mit anderen Frauen im Land zu verbünden und für unsere Rechte zu kämpfen. Ich gründete eine WhatsApp-Gruppe und lud die Frauen ein, die zu dieser Zeit noch in Kabul waren. Gemeinsam wollten wir uns gegen die Gesetze der Taliban, die Frauen unterdrücken, stellen.

Am 7. September 2021 organisierten wir unsere erste Demonstration auf der Straße. Wir zogen in Richtung Zitadelle von Kabul, als wir auf Taliban-Soldaten trafen. Sie schossen auf uns und schlugen uns, um uns zu verängstigen, uns zu zerstreuen. Es war schrecklich. An diesem Tag wurden viele Menschen verletzt, gefangen genommen und für Wochen ins Gefängnis gesteckt. Aber wir riefen weiter: „Menschlichkeit, Gleichheit, Freiheit!“ Unseren Protest gegen den Kopftuchzwang und andere frauenfeindliche Gesetze der Taliban konnten sie nicht brechen.

Am 19. Januar 2022, um Mitternacht, kamen die Taliban zu uns nach Hause, verhafteten mich und meine Schwester. Nach unserer Festnahme gab es keine Proteste mehr, alle waren verängstigt. Die Taliban hatten erreicht, was sie wollten. Im Gefängnis folterten sie mich. Meine Familie bettelte um unsere Freilassung. Nach 26 schrecklichen und dunklen Tagen ließen sie uns gehen, aber wir wurden unter Hausarrest gestellt. Doch unser Protest wird weitergehen. Die Frauen in Afghanistan und in Iran haben einen gemeinsamen Kampf – und das ist der für Freiheit.

Protokoll: Parwana Rahmani

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.