Anthropologin über Feminismus in Iran: „Sie politisieren unseren Lippenstift“

Viele Iranerinnen unterstützten 1979 die Revolution, heute unterdrückt sie das Regime. Mode war und ist Teil des Widerstands, sagt die Anthropologin Homa Hoodfar.

2 Frauen gehen auf der Straße, sie haben das Kopftuch abgelegt, halten einen Getränkebecher ind er Hand

Straßenszenen in Teheran Anfang Oktober Foto: Vahid Sahemi/ap

taz: Im Jahr 1979 unterstützten viele Frauen die Revolution, die das Regime hervorgebracht hat, das sie jetzt unterdrückt. Warum?

Homa Hoodfar: Damals ging es vielen Menschen vor allem um die Freiheit der Gedanken. Natürlich waren manche, so wie ich, auch um die Rechte der Frauen besorgt. Aber die Mehrheit sagte: Wenn wir erst einmal die Demokratie haben, wird auch das gelöst werden. Die Generation meiner Eltern hat uns gewarnt, dass diese Revolution – nicht am Anfang, aber in ihrem weiteren Verlauf – immer religiöser werden würde. Und dass in einem religiösen System Frauen und Minderheiten niemals die gleichen Rechte haben werden wie die Männer der ethnischen und religiösen Mehrheit.

ist eine kanadisch-iranische Anthro­pologin und forscht an der Concordia-Universität Montreal zu Kultur und Gender in Westasien. Während eines Aufenthalts in Iran 2016 wurde sie verhaftet und saß 112 Tage im Evin-Gefängnis ein.

Warum wurden diese Warnungen von den Massen nicht gehört?

Viele glaubten damals nicht, dass Iran eine islamische Republik werden würde. Das Regime des Schahs war während des Kalten Krieges ein Teil des westlichen Blocks. Gleichzeitig waren wir Nachbarn eines kommunistischen Landes. Das Regime des Schahs hat das genutzt, um uns zu ängstigen: Sie sagten uns, dass Kommunisten weder an Privateigentum noch an Gott und die Wichtigkeit der Familie glaubten. Das ging vielen nahe: Die Familie ist eine Institution in Iran. Als die Revolution begann, bestand sie vor allem aus Studenten und der städtischen Mittelschicht. Das Regime sagte: Das sind Kommunisten. Also mussten die Demonstranten der Öffentlichkeit vermitteln, dass sie eben keine Kommunisten waren, sondern lediglich für Demokratie kämpften.

Das Tragen des Kopftuchs war eine Möglichkeit, genau das zu tun. Ich hatte sogar jüdische Freundinnen, die anfingen, es zu tragen, wenn sie zu den Demonstrationen gingen. Der Hidschab war ein Symbol: Wenn du ihn trägst, kannst du kein Kommunist sein. Als meine Freundinnen später ihre Kopftücher wieder ablegen wollten, sagten die Anführer der Revolution: Wenn ihr das tut, brecht ihr die Einheit, die wir nach außen hin darstellen müssen. Viele Frauen fügten sich – zum Wohle der gesamten Revolution.

Wann haben die iranischen Frauen zum ersten Mal gemerkt, dass sie betrogen worden waren?

Als Ruhollah Chomeini an die Macht kam, hob er Gesetze auf, die Frauen schützen sollten, und nahm ihnen Rechte, die sie in langem Kampf errungen hatten. Am Tag nachdem Chomeini verkündete, dass die Verschleierung nun Pflicht sei – am 8. März 1979, dem Internationalen Frauentag – fand in Teheran eine spontane Demonstration statt. Normalerweise hätte das kaum Beachtung gefunden, außer bei einigen elitären, gebildeten Feministinnen. Aber diese Demonstration wurde riesig.

Viele männliche Linke und Liberale verweigerten ihre Unterstützung. Frauen waren die erste Gruppe, die sich der Islamischen Republik entgegenstellte, gegen sie protestierte – und das zu einem Zeitpunkt, als das Regime offiziell noch gar nicht die Macht ergriffen hatte. Sie verstanden: Wenn ein Regime genau den Frauen, die für seine Existenz gekämpft haben, grundlegende Entscheidung über sich selbst versagt, ist das keine gute Nachricht – und es werden Schlimmere folgen. Genau das geschah auch.

Der Aufstand der Frauen geriet im Laufe der Zeit etwas ins Stocken.

Selbst diejenigen, die Chomeini unterstützten, wollten nicht wirklich ein islamisches Regime, wollten nicht, dass die Scharia zum Gesetz des Landes wird. Doch dann überfiel Irak den Iran. Wenn es eine Bedrohung von außen gibt, kommen die Menschen zusammen. Sie sagten: Erst bekämpfen wir den Feind und dann kümmern wir uns ums Interne. Chomeini sagte: Krieg ist ein Segen. Deshalb wollte er auch nicht, dass er endet, selbst nachdem Iran all sein vom Irak besetztes Land zurückerobert hatte. Denn Chomeini wusste: Solange der Krieg weitergeht, ist ihm und dem Regime die Macht sicher.

Es gab aber auch Frauen, die das Regime aus Überzeugung unterstützt haben.

Chomeini hat sich an religiöse Frauen gewandt und gesagt: Wir brauchen euch, wir verlassen uns auf euch. Einerseits zwangen sie Frauen zurück in ihre Häuser und die Arme ihrer Familien. Gleichzeitig brauchte das Regime die Unterstützung von Frauen. Ich kehrte 1981 nach Iran zurück, nachdem ich mein Studium im Ausland beendet hatte. Am Tag des Geburtstags des Propheten – ein Feiertag im Islam – gab es eine Demonstration religiöser Frauen.

Sie war so riesig, dass ich entgegen der Marschrichtung lief und erst nach zwei Stunden das Ende des Demonstrationszugs erreichte. Und während ich daran vorbeilief, sah ich viele traditionelle Frauen, die noch nie in ihrem Leben eine politische Rolle gespielt hatten. Wir, die Modernisten, hatten nie daran gedacht, mit ihnen zu reden. Aber Chomeini gab ihnen ein Gefühl der Wichtigkeit. Die Familien dieser Frauen hatten sie immer an der kurzen Leine gehalten, im Namen der Religion, der Kultur, der Ehre. Auf einmal konnten sie zu Demonstrationen gehen, durften arbeiten, Freiwilligendienste ausüben – sie hatten mehr Freiheit als vorher.

Die persönlichen Lebensentscheidungen von Frauen wurden dadurch politisch.

Ja, etwa auch in Bezug auf ihr Aussehen: 1991 wollte ich mir einen Manteau kaufen – eine Art Mantel, den viele Frauen trugen, anstelle eines langen, dunklen Umhangs namens Tschadoor, den das Regime als ideale Bekleidung darstellte. Da ich nicht in Iran lebte und eine Farbe wollte, die zu allen Gelegenheiten passt, entschied ich mich für einen schwarzen. Die junge Angestellte weigerte sich, ihn mir zu verkaufen. Sie sagte: Wenn du Schwarz trägst, dann müssen wir alle Schwarz tragen.

Dieser Text wurde finanziert von der taz Panter Stiftung als Teil einer Beilage zur Frauenrevolution in Iran.

Nach einer langen Debatte über Politik und Frauenrechte verkaufte sie mir einen glänzenden, leuchtend grünen Manteau aus Satin. Er war lang und saß locker, aber fiel schon aus großer Entfernung auf. Aber da Grün die Farbe des Islams ist, konnte die Sittenpolizei nichts dagegen sagen. Ich erinnere mich auch, wie meine Freundinnen vorschlugen, mir die Haare zu färben – wie sie selbst es taten. Ich sagte ihnen, das sei nicht mein Stil. Doch sie lachten und sagten: Das ist nicht der Punkt. Haarfarbe könne das Regime nicht einfach abwischen.

In vielen Gesprächen sagten mir iranische Frauen, dass sie sich eigentlich nicht für Politik interessierten, einfach nur leben wollten. Das Regime politisierte unseren Lippenstift, unsere Haare, die Farben, die wir trugen. So wurde unser Aussehen zu einer alltäglichen Form des Widerstands. Wir waren Hidschabis, weil wir es sein mussten – aber wir waren nicht die Hidschabis, die das Regime wollte.

In der westlichen Berichterstattung wird oft hervorgehoben, dass iranische Frauen – trotz der strengen Regeln, die ihnen aufgezwungen wurden – einen eigenen Stil bewahrt haben.

Sich in einer Weise zu präsentieren, die den Ideen des Regimes widerspricht, ohne ein einziges Wort zu sagen, war eine sehr deutliche Art, Opposition zu demonstrieren. Während der Demonstrationen im Jahr 2009 wurde das auch wichtig, weil es in den westlichen Medien kaum Sympathie für die Iraner und Iranerinnen gab. Viele konnten nicht zwischen dem Volk und dem Regime unterscheiden.

Doch die Bilder von den Demonstrationen, auf denen Frauen auf ihre eigene, individuelle Weise verschleiert waren, änderten diese Auffassung. Im Jahr 2009 hofften viele Iraner und Iranerinnen noch, dass das Regime auf ihre Forderungen eingeht und von innen heraus reformiert werden könnte. Sie forderten faire und transparente Wahlen, eine Reform der Verfassung und der Gesetze – nicht zwangsläufig dessen Sturz. Doch nach 2009 starb diese Hoffnung.

Hat das Regime mit der Zeit auch die Unterstützung der religiösen Frauen verloren, die Sie vorhin erwähnt haben?

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Mann, der an der Revolution teilgenommen hat. Er war traditionell, religiös und ging jeden Freitag in die Moschee. Er sagte: Vor der Revolution hatten wir nichts. Wir hatten weder Geld noch Perspektive, aber wir hatten Gott. Nach der Revolution haben wir immer noch nichts, und wir haben nicht einmal mehr die Moscheen und Gott an unserer Seite. Viele religiöse Menschen in Iran sind der Meinung, dass der einzige Weg zur Rettung des Islams eine säkulare Regierung ist – weil es für Politiker so einfach ist, Religion für ihre Zwecke zu missbrauchen.

Vor allem Frauen wurden sich unter diesem religiösen Regime ihrer Rechte stärker bewusst. Genau das geschah und geschieht auch in Afghanistan unter den Taliban: Sie schlossen Schulen für Mädchen, hinderten Frauen daran, arbeiten zu gehen – das politisierte sie und machte den Afghaninnen ihr Frausein erst bewusst. Wenn man Menschen unterdrückt und ihnen Rechte wegnimmt, die sie für selbstverständlich halten, fangen sie an, Fragen zu stellen.

Glauben Sie, dass die Revolution der Frauen dieses Mal erfolgreich sein könnte?

Es gibt eine große Solidarität: zwischen jungen und alten Frauen, verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen. Das gibt den Demonstrierenden Kraft. Sowohl Männer als auch Frauen fordern: Jin, Jiyan, Azadî – Frau, Leben, Freiheit. Männer in Iran haben erkannt: In diesem System haben sie Privilegien, aber auch sie sind nicht wirklich frei. Eine Revolution hat viele Ebenen: die Veränderung der Gesellschaft – der für mich wichtigste Aspekt – ist in Iran bereits gelungen. Der Wechsel des politischen Systems mag länger dauern, aber dieses Regime hat seine moralische Autorität verloren. Und es kann sich nicht ewig halten, allein durch Gewalt.

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