Twitter-Alternativen im Test: Tweet, twee, twe, tw…
Seit dieser Elon-Musk-Sache wollen immer mehr Nutzer:innen Twitter verlassen. Nur wohin? Unsere Autorin hat vier Alternativen getestet.
MASTODON
Gehören Sie zu denen, die sich seit dieser Musk-Sache pflichtschuldig zwei bis drei Mastodon-Erklärtexte durchgelesen haben – sind aber, wenn Sie ehrlich sind, mindestens eine weitere Hiobsbotschaft aus dem Headquarter entfernt, zu wechseln? Wenn Sie an Mastodon denken, fällt Ihnen Open Source ein, irgendwas mit Instanzen, eine Tröte kommt Ihnen in den Sinn? Na dann: Let’s jump right in.
Erstes Hallo
Noch bevor ich ein Profil erstellt habe, soll ich mir einen beliebigen Server suchen. Ich bin nicht ganz sicher, was das bedeutet und frage mich, ob ich es nun mit besagten Instanzen zu tun habe. Die Server sind verteilt auf Kategorien wie „Regional“, „Kunst“ und „Musik“, hoffnungsvoll tippe ich auf „Journalismus“, werde aber enttäuscht: nichts. Mehr versehentlich lande ich bei „freiburg.social“ und klicke mich zunächst durch „Einige Grundregeln“. Keine Verschwörungserzählungen, keine diskriminierende Sprache, nicht Jugendfreies soll ich als solches kennzeichnen und Twitter-Re-tweets bitte auf „ungelistet“ setzen. Cool soweit, aber weder weiß ich, was mit Letzterem gemeint ist, noch wie intensiv und nachhaltig ich mich an die Region Freiburg gebunden habe. Ich sehne mich nach hübsch animierten Erklär-Slides.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Interaktion
Ich bekomme eine Handvoll Accounts vorgeschlagen, die mir eher willkürlich erscheinen. Jan Böhmermann – okay, El Hotzo versteh ich auch noch. Aber Kachelmann-Wetter und das Auswärtige Amt? Das Ministerium ist der internationalste Vorschlag, der mir gemacht wird, und ich ahne, dass das was mit Freiburg zu tun haben könnte. Meine Timeline besteht aus Beiträgen, die in meiner „Umgebung beliebter werden“. Ein Diplom-Linguist namens Christian gibt auf sehr viel mehr als 280 Zeichen einen Abriss seiner Vita, Anne erinnert alle User, sich bitte ein Bild einzustellen, der Bundesbeauftragte für Datenschutz weist auf kostenlose Pixi-Bücher hin und Florian bewirbt seinen anfängertauglichen Lauftreff in, na klar, Freiburg. Generell wird viel ermahnt. Die trendigsten Hashtags sind #reformationstag, #phd und #zdfmagazinroyale. Protestantisch, akademisch, öffentlich-rechtlich. Aufregend!
Look and Feel
Der Mastodon ist eine ausgestorbene Elefantenart. Ein bisschen zu grau, ein bisschen zu schwerfällig, ein bisschen zu leblos ist auch das Design.
Toxizitätsskala
4
***
GENEVA
Dass es an diesem Ort friedlich zugehen soll, gar nach den Maximen des humanitären Völkerrechts, verrät bereits der Name. Das soziale Netzwerk Geneva ist nämlich nicht nach einem Wacholderschnaps benannt, sondern nach der Genfer Konvention. Das kann man overly dramatic finden, vielleicht ein bisschen unangemessen, aber geht es aktuell nicht genau darum? Die Suche nach einem wohligen Refugium für die vom Internet Verwundeten?
Erstes Hallo
Konsequenterweise arbeitet die App viel mit dem Motiv des Zuhauses. Gleich nach dem Download verspricht mir Geneva ein gemütlicher, sicherer Bereich für mich zu sein, ich werde bedeutsame Kontakte knüpfen, mich rundum wohlfühlen. Illustriert wird dieses Versprechen mit einem animierten weiß verputzten Einfamilienhaus, auf das Peace-Zeichen projiziert sind. Geneva scheint ein Ort zu sein, an dem man sich auf die selbstgewählte Kernfamilie rückbesinnt. Wem Filterblasen bisher zu fragil waren, kann es sich hier hinter Backsteinmauern bequem machen. Nach der Registrierung soll ich entweder mit dem Bau meines „eigenen Heims“ beginnen oder „Heime entdecken“. Ich schaue mich also um in der Nachbarschaft.
Interaktion
Die ersten vier Heime, deren Besuch mir vorgeschlagen wird, sind der „Bach Chat“ – „Für Fans der amerikanischen Version des ‚Bachelor‘“, die „Plant Lovers“ – „Für alle, die Pflanzen lieben“, der „Crypto Witch Club“ – „Ein inklusiver Ort für alle, die etwas über Blockchain und Web3 lernen wollen“, und „Sis we on the move“ – „Eine Community, die sich auf gesunde Art und Weise mit dem Thema Fitness auseinandersetzt“. Geneva ist eine Plattform, auf der sich überwiegend Mitglieder der Generation Z aufhalten, überwiegend aus den USA, überwiegend weiblich. Sie wollen sich über Bücher und Filme austauschen, Astrologie und einen „neudefinierten GenZ-Girl-Gang-Feminismus“. Politischer als das wird es erst mal nicht mehr. Unter „Local Non-USA“ finde ich als einzigen deutschen Eintrag die „Stuttgart Friends“. Innerhalb der Gruppen kann man Direktmessages versenden, an Videocalls teilnehmen und hat Einsicht in einen gemeinsamen Veranstaltungskalender.
Look and Feel
Irgendwas zwischen Polly Pocket und Periodentracker-App.
Toxizitätsskala
2
***
COUNTERSOCIAL
„Keine Trolle. Kein Missbrauch. Keine Werbung. Keine Fake-News. Keine Operationen mit ausländischem Einfluss“, heißt es auf CounterSocial noch vor der Registrierung. Letzter Punkt scheint mir etwas holprig übersetzt, generell klingt das ja aber alles erst mal gut. Nach eigenen Angaben hat das Netzwerk 64 Millionen monatliche Besucher:innen.
Erstes Hallo
Ich werde von der App beglückwünscht, nun ein Teil der next generation of social media zu sein, und als „Erdling“ bezeichnet. Schnell wird klar, dass ich besser zur Desktop-Version rüberwechsle. CounterSocial erinnert in seiner Funktionalität an Tweetdeck, das Twitter-Feature für besonders Informationsbedürftige. Der Bildschirm ist aufgeteilt in mehrere Spalten, in die News, Posts von „friends“ und Benachrichtigungen einlaufen.
Interaktion
Wie auch schon auf Mastodon drehen sich die meisten Community-Posts um die „next wave of refugees“, die „Flüchtlingswelle“ von Twitter. Der Administrator schwört die Gemeinschaft darauf ein, dass es zu Verzögerungen bei den Anmeldungen kommen könnte. Manche User versuchen ihre Twitterkontakte wiederzufinden und rufen nach konkreten Personen. „AngieAndCoffee“ beklagt, dass soziale Medien sie zuletzt ausgelaugt hätten, CounterSocial sei sowas wie ihre letzte Hoffnung. „Tanner“ zeigt uns ein drachenartiges Objekt, das er mit seinem 3D-Drucker gebastelt hat. „RodtheSod“ fragt sich, ob man auch deutschsprachige News-Kanäle abonnieren kann. Danke, „RodtheSod“, das frage ich mich auch. Wir bekommen keine Antwort.
Look and Feel
Ganz schön düster und unübersichtlich. Stichprobenartig tippe ich ein paar internationale Twitter-Größen in die Suchleiste ein und finde höchstens Fake-Accounts.
Toxizitätsskala
3
***
DIE KNEIPE NEBENAN
Das soziale Netzwerk Kneipe nebenan befindet sich gleich bei mir um die Ecke. Bevor ich reingehe, halte ich in der Dunkelheit kurz inne. Die Lampen in den Fenstern strahlen mir warmes Licht entgegen.
Erstes Hallo
Angenehm, am Eingang keine Daten abgeben zu müssen, auch der Bestätigungslink via Mail entfällt. Außer mir sind zwei Männer um die 60 und eine Barkeeperin anwesend. Ihre Klarnamen kenne ich nicht, dafür ihre Gesichter. Ich setze mich an den Tresen. Neben mir steht eine Schale mit „Nimm2“-Bonbons. Ich nehme zwei.
Interaktion
Ich bestelle ein Bier und bekomme ein Bier. Und verhalte mich zunächst wie auf Twitter: Dem Spektakel schweigend zuschauen. Die Männer unterhalten sich. Über die Firma lease er gerade einen neuen Wagen, sagt der eine zum anderen. Er habe überlegt, diesmal ein E-Auto zu nehmen. Doch bei ihm in der Nähe seien keine Ladesäulen. Als ein Lied im Radio läuft, zu dem sie in ihrer Jugend getanzt haben, dessen Interpret ihnen aber nicht einfallen will, helfe ich mit Shazam aus. Es ist „Dreams Are Ten A Penny“ von John Kincade. Zum Abschied winken sie mir.
Look and Feel
Es gibt eine Dartscheibe, zwei Spielautomaten, am Wochenende läuft Fußball (Hertha). Auf einem Stehtisch liegt ein Emoji-Kuscheltier, das mit den Herzaugen.
Toxizitätsskala
1
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Krieg gegen die Forschung
Bye-bye, Wissenschaftsfreiheit!
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“