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Lebensmittellieferdienst GorillasKein Profit und unbeliebt

Gorillas geht erneut gegen Betriebsratswahlen vor – könnte aber bald von Getir übernommen werden. Dabei ist die Branche eine reine Spekulationsblase.

Widerständige Beschäftigte: Lärmdemo am Gorillas-Hauptquartier vor einem Jahr Foto: Golejewski/AdoraPress

Berlin taz | Beim Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas gibt es mal wieder Ärger um betriebliche Mitbestimmung. Das Berliner Start-up versucht erneut, Betriebsratswahlen zu verhindern. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr, als gegen den Widerstand von Gorillas eine Mit­ar­bei­te­r*in­nen­ver­tre­tung gewählt wurde, hat das Unternehmen damit vor Gericht bislang Erfolg.

In insgesamt vier „Warehouses“ in Schöneberg, Friedenau, Moabit und Treptow hatte der vom berlinweiten Betriebsrat eingesetzte Wahlvorstand zu Wahlen aufgerufen. Die wurden nötig, weil der Betriebsrat nach Weggängen zu wenige Mitglieder hat. Weil das Unternehmen – mutmaßlich, um die Gründung des Betriebsrats zu verhindern – 2021 ein Franchise-Modell für seine Lagerhäuser eingeführt hat, sollte nun jedes der rund 20 Lager einen eigenen Betriebsrat bekommen.

Auf Antrag von Gorillas hat das Landesarbeitsgericht zwei der geplanten Wahlen jedoch in letzter Minute gestoppt. Die Begründung: Der Wahlvorstand sei falsch besetzt, zu den Wahlen in den Warehouses könnten nur deren Angestellte aufrufen. Wohl um einer erneuten Niederlage vor Gericht am Mittwoch zuvorzukommen, sagte der Wahlvorstand daraufhin auch die beiden anderen Wahlen ab. Nach taz-Informationen wurden bereits fünf neue Wahlvorstände bestellt und mit der Durchführung einer neuen Wahl beauftragt.

Gorillas betont gegenüber der taz, den Prozess der Betriebsratsbildung zu jedem Zeitpunkt „vollumfänglich unterstützt“ zu haben. Im Sinne einer „rechtlich einwandfreien Vertretung“ der Interessen der Mit­ar­bei­te­r*in­nen habe man sich jedoch gezwungen gesehen, gegen die geplanten, „illegalen Wahlbestrebungen vorzugehen“.

Für Verdi ist das Vorgehen des wegen schlechter Arbeitsbedingungen umstrittenen Unternehmens ein neuer Versuch des Union Busting. „Ziel ist, Mitbestimmung zu verhindern oder kleinzuhalten“, so Gewerkschaftssekretärin Franziska Foullong zur taz.

Gorillas verliert Marktanteile

Die widerständigen Ar­bei­te­r*in­nen sind nicht das einzige Problem, mit dem das Gorillas-Management derzeit zu kämpfen hat. Laut Medienberichten steht der einstige Pionier der europäischen Lieferdienst-Branche, der 2020 in Berlin gegründet wurde, vor der Übernahme durch seinen türkischen Konkurrenten Getir. Beide Unternehmen wollten dies auf taz-Anfrage jedoch nicht kommentieren.

Gorillas hat nach anfänglich rasantem Wachstum in Berlin immer mehr Marktanteile verloren – wovon vor allem Flink und Getir profitieren. Weil immer weniger Geld von Investoren fließt und diese schwarze Zahlen sehen wollten, entließ Gorillas Mitte des Jahres Hunderte Mit­ar­bei­te­r*in­nen und verlagerte den Fokus von „Hyperwachstum“ auf „Profitabilität“.

Das Geschäftsmodell funktioniert nicht, egal ob bei Getir oder bei Gorillas

Otto Strecker, Ökonom

Der Experte für Lebensmittelmarketing Otto Strecker geht davon aus, dass Profit in der Lebensmittel-Lieferbranche überhaupt nicht möglich ist. „Das Geschäftsmodell funktioniert nicht, egal ob bei Getir oder bei Gorillas“, sagt der Vorstand der AFC Consulting Group AG der taz. Das Versprechen, für eine Lieferpauschale von 1,80 Euro in wenigen Minuten zur Haustür zu liefern, sei nicht gewinnbringend umzusetzen.

„Profit in der Branche gar nicht möglich“

Anders als bei Unternehmen wie Uber oder Lieferando handle es sich nicht um reine Vermittlerdienste, erklärt Strecker. „Die Firmen haben Kosten für Lager, Kuriere, Waren. Und die sind höher als das, was sie auf dem Markt dafür bekommen.“ Laut Strecker müssten die Start-ups fünf bis sechs Euro Liefergebühren verlangen, um profitabel zu sein. „Die Kunden sind nicht bereit, das zu zahlen“, sagt Strecker, in der derzeitigen Krise schon gar nicht.

Die Übernahme von Gorillas durch Getir wäre dem Experten zufolge also nicht die lang erwartete Marktkonsolidierung, bei der sich am Ende nur ein Anbieter durchsetzt, sondern ein Scheitern des gesamten Modells. Im Prinzip handle es sich um eine Spekulationsblase: „Die Anteile an den Firmen werden von einem Investor zum nächsten weitergereicht. Die Preise orientieren sich dabei an den Wachstumsraten. Auf das Ergebnis, also ob am Ende Gewinn gemacht wird, guckt keiner.“

Da es sich im Prinzip um eine Abwärtsspirale handle, bringe sich Getir mit einer Übernahme in eine schwierige Position. „Den Letzten, der investiert, beißen die Hunde“, glaubt Strecker.

Für die Beschäftigten dürfte es am Ende egal sein, welches Unternehmen sie schlecht bezahlt. „Bei Flink und Getir sind die Arbeitsbedingungen auch nicht besser als bei Gorillas“, sagt Arbeitsrechtsanwalt Martin Bechert der taz. Schließlich betrieben alle Liefer-Start-ups massives Union Busting.

Sonderstaatsanwaltschaft gegen Union Busting geplant

Um das zu verhindern, soll in Berlin eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft gegründet werden. Laut Senatsjustizverwaltung gab es in den vergangenen zehn Jahren 38 Ermittlungsverfahren wegen Ver- oder Behinderung betrieblicher Mitbestimmung. „Daraus ist keine einzige Anklage hervorgegangen“, kritisiert der arbeitspolitische Sprecher der Linken, Damiano Valgolio. Er hofft: Wenn mehr Fälle vor Gericht gebracht werden, steigt auch die Anzeigenbereitschaft.

„Das bringt gar nichts“, glaubt Rechtsanwalt Bechert. Solange Union Busting kein Offizialdelikt sei, bei dem die Staatsanwaltschaft von sich aus aktiv wird, sondern die Anzeigenden die Verstöße nachweisen müssen, ändere sich nichts. Zumal es bei der Staatsanwaltschaft bereits eine spezialisierte Abteilung gibt – allerdings bearbeitet sie aufgrund der wenigen Anzeigen andere Fälle.

Derzeit berät der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses über die Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft, danach geht es zur Abstimmung ins Plenum. Auf Bundesebene will die Ampel laut der SPD-Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe im ersten Halbjahr 2023 eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes verabschieden. „Im Zuge dessen werden wir die Behinderung der betrieblichen Mitbestimmung zum Offizialdelikt machen“, so Kiziltepe. „Wir als Politik müssen den Ar­beit­neh­me­r*in­nen in ihren betrieblichen Konflikten mehr Hilfestellung geben.“

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12 Kommentare

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  • Supermärkte und andere Geschäfte des stationären Einzelhandels brauchen viel mehr Energie und Fläche, als die Lager solcher Lieferdienste, bei ersteren kommen die Waren meist per Privat-PKW ins Haus des Endkunden, bei letzteren per Fahrrad. Dadurch könnten auch noch viel mehr Menschen auf ein eigenes Auto verzichten. Aus Klimaschutzpespektive sind solche Lieferdienste der richtige Weg und besser als jeder Bioladen.



    Hier ist die Politik gefragt. Man muss schauen, wie die Strukturen und Kosten so geändert werden können, dass sich Lieferdienste am Markt gegen den stationären Einzelhandel durchsetzen können, ohne das das auf Kodten der Arbeitnehmer bei diesen Diensten geht.

  • Ich vermute, dass hier spätestens 2024 das Licht aus geht, ohne Übernahme durch Getir sogar schon eher. Der Betriebsrat oder die, die sich dafür halten, sollten den Kollegen also mal reinen Wein einschenken. Wäre man zynisch könnte man sagen, dass hier Verteilung von oben nach unten gelebt wurde, den Investoren werden zumindest für den dt. Markt mit seiner LEH-Struktur nie einen Cent sehen.

    • @unbedeutend:

      Diese ganze Thematik finde ich eh seltsam. Einerseits fordern die Fahrer von Gorillas und Co., mit Unterstützung der Gewerkschaften, mehr Lohn und einen Betriebsrat. Gleichzeitig rufen die Fahrer medienwirksam dazu auf, nicht bei Gorillas zu bestellen wegen den schlechten Arbeitsbedingungen. Wer aber ihren Lohn zahlen soll wenn die Kunden wegbleiben bleibt unklar.

  • Die Mitarbeiter haben mittlerweile keine Sympathien mehr bei mir gut: Verkehrsregeln gelten für die nicht und die Fahrer (auch der anderen Dienste) gefährden unablässig massiv Fußgänger und andere Radfahrer.



    Das ist Ganze ist ein Zocker-Scheme, mit dem nur Investorengelder verbrannt werden und das nur negative Effekte auf das Gemeinwohl hat, ähnlich wie bei den E-Scootern oder Airbnb.



    Das Unerträgliche an dieser Gesellschaft und vor allem an Berlin ist die totale Ignoranz, wenn sich technologische Projekte als ökonomisch, sozial und ökologisch kontraproduktiv erweisen, im Sinne wirtschaftlicher Interessen lässt man die Firmen einfach weiter gewähren. Warum wirft man die nicht wieder aus den Städten, in anderen Ländern geht so etwas doch auch?



    Dabie geht es hier um eine Firma, die inerhalb ihres absurden 10-Minuten-Lifer-Versprechens vermutlich hauptsächlich Chips und Six-Packs ausliefert und nicht das Olivenöl, das man leider beim letzten Einkauf vergessen hat.

  • Wenn ich das richtig lese gehen bei den unrentablen Lieferdiensten eh bald die Lichter aus. Was bringt da noch eine Betriebsratsgründung? Was bringen verbesserte Arbeitsbedingungen bei einem Unternehmen das laut Autor und Experten eh keine Zukunft hat. Macht irgendwie keinen Sinn.

  • Radfahren auf dem Gehweg gebührenpflichtig verwarnen und das Geschäft ist in einer Woche tot.

    • @WernerS:

      Guter Witz.

      Dafür bräuchten Sie in Berlin ein paar tausend Angestellte vom Ordnungsamt oder Polizisten.

      Jeder Depp fährt hier mit dem Rad auf dem Bürgersteig.

      • @Jim Hawkins:

        Das liegt am verdammten Kopfsteinpflaster...

  • Kann man nicht auf lächerliche Kunstworte wie "Union Busting" verzichten ?



    Gemeint ist doch wohl die widerrechtliche Sabotage einer Betriebsratsbildung.

    Außerdem ist doch nicht das das Hauptproblem der Mitarbeiter.



    Sondern daß sie in einer Spekulationsblase arbeiten und die Arbeitsplätze eigentlich keine Zukunft haben.

    • @Don Geraldo:

      "Union Busting" ist ein Fachbegriff aus den USA, der erstmals 1999 verwendet wurde. Bitte gern geschen.

    • @Don Geraldo:

      ... und wenn sie platzt die letzten Geschäfte der Nahversorgung pleite sind.