Spaniens Justiz: Nicht demokratisch

Nicht nur in Polen und Ungarn, sondern auch in Spanien wird die Justiz politisch manipuliert. Hier ist die Opposition das Problem.

Portrait von Didier reynders

Hat die spanische Justiz im Blick: der Justizkommissars der Europäischen Union, Didier Reynders Foto: Alexandros Michailidis/hans Lucas/imago

Geht es um Justiz in Europa, schauen alle nach Ungarn und Polen. Dort werden immer mehr demokratische Prinzipien eingeschränkt. Doch es gibt ein weiteres Problemland: Spanien. Die dortige Justiz ist mittlerweile auch ins Blickfeld des Justizkommissars der Europäischen Union, Didier Reynders, gerückt.

Reynders kritisierte auf einem Besuch in Madrid Ende September die völlige Blockade der in der Verfassung vorgesehenen Erneuerung wichtiger Instanzen, darunter die Ernennung von Mitgliedern des Consejo General del Poder Judicial, des Obersten Justizrats (CGPJ) – so etwas wie die Regierung der Richter – und des Verfassungsgerichts durch das spanische Parlament. Seit nunmehr vier Jahren werden diese Institutionen nicht erneuert. Am Montag trat der Präsident des CGPJ, Carlos Lesmes, aus Protest gegen die Situation zurück. Spaniens Justiz steckt in einer nie dagewesenen Krise.

Anders als in Polen und Ungarn ist die Blockade der Justiz nicht der regierenden Linkskoalition aus Sozialisten und Linksalternativen zuzuschreiben, sondern der rechten Opposition der Partido Popular (PP). Sie weigert sich, mit der Regierung eine Neubesetzung auszuhandeln. Die erforderliche Drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament kommt so nicht zustande. Die alten Richter bleiben, und das, obwohl diese immer wieder ihre Ablösung fordern. Der Grund, zumindest der offizielle: Die PP möchte verhindern, dass auch der kleinere Koalitionspartner, die linksalternative Unidas Podemos, ihre Vorschläge machen kann. Diese Partei sei undemokratisch, behauptet die PP, und bricht damit selbst seit nunmehr vier Jahren die Verfassung.

Die Konservativen leben gut mit dieser Blockade. Gegen die PP, die bereits einmal als „korrupte Partei“ verurteilt wurde, laufen zahlreiche weitere Verfahren wegen illegaler Parteienfinanzierung und persönlicher Bereicherung. Viele der Tatbestände datieren aus der Zeit, als José María Aznar und dessen Nachfolger an der Spitze der PP, Mariano Rajoy, Spanien regierten. Je höher in der Justizhierarchie, desto mehr PP-treue Richter. Die Konservativen wollen diese Vormachtstellung durch eine Erneuerung des CGJP nicht verlieren.

Noch immer werden vor allem von den obersten Instanzen Ermittlungen gegen PP-Politiker eingestellt oder milde Urteile gesprochen. Nur ein Beispiel: Bis heute ist für Rich­te­r:in­nen bis hinauf zum Obersten Gerichtshof nicht geklärt, wer denn nun bei einer Auflistung von Schwarzgeldzahlungen des mittlerweile inhaftierten PP-Kassenwarts an PP-Politiker mit dem Eintrag „M. Rajoy“ gemeint sein mag. Dass dabei die Justiz – einer der wichtigsten Pfeiler einer Demokratie – längst den Ruf hat, parteipolitisch und nicht unabhängig zu sein, stört Spaniens Rechte nicht.

Die Justiz, die die PP hinterlassen hat, arbeitet weiter im Dienste der Politik der spanischen Rechten

Der wohl nur zufällig namensverwandte Mariano Rajoy, der vor vier Jahren per Misstrauensvotum durch den Sozialisten Pedro Sánchez als Ministerpräsident abgelöst wurde, nutzte die Justiz, wo immer er konnte, um seine Politik zu machen. So ließ er nach dem Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien vor fünf Jahren weit über eintausend Un­ab­hän­gig­keits­be­für­wor­te­r:in­nen gerichtlich verfolgen. Ein Großteil der Minister der katalanischen Regierung musste wegen Aufstandes vor Gericht und wurde zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt. Etwas, das so in anderen EU-Ländern nicht hätte geschehen können. Sowohl Belgien als auch Schottland und Deutschland weigerten sich Mitangeklagte auszuweisen, die sich rechtzeitig in Exil begeben hatten. Darunter der einstige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont, der heute in Brüssel lebt und Abgeordneter im EU-Parlament ist.

Eben das beschäftigt sich mit einem anderen Skandal aus jenen Jahren. Die Handys von mindestens 65 Un­ab­hän­gig­keits­po­li­ti­ke­r:in­nen und -aktivist:innen wurden mittels der Spionagesoftware Pegasus ausspioniert. Bei mindestens 18 hatte der Geheimdienst – der offiziell gar nicht über die israelische Spyware Pegasus verfügt, so das Verteidigungsministerium – eine richterliche Genehmigung. Während das Europaparlament den Fall zusammen mit anderen Fällen aus Ungarn und Polen untersucht, geschieht in Spanien nichts.

Die Justiz, die die PP hinterlassen hat, arbeitet weiter im Dienste der Politik der spanischen Rechten. Jüngstes Beispiel sind Ermittlungen gegen ein Gründungsmitglied von Podemos. Obwohl die Anschuldigungen der illegalen Finanzierung mit Hilfe Venezuelas jedweder Grundlage entbehren, ermittelt der PP-nahe Richter Manuel García Castellón weiter. Es ist der gleiche Jurist, der dafür sorgte, dass Puigdemonts Nachfolger an der Spitze der katalanischen Regierung, Quim Torra, des Amtes enthoben wurde. Sein Vergehen: Er hatte an seinem Amtssitz ein Transparent in Solidarität mit den verurteilten katalanischen Politikern aufhängen lassen. Gleichzeitig stellte García Castellón Ermittlungen gegen die Generalsekretärin María Dolores Cospedal ein. Sie hatte zu Zeiten Rajoys veranlasst, dass eine Handvoll Polizisten Beweise gegen die Unabhängigkeitsbewegung und Podemos konstruierten.

In Spanien gehört nur je­de:r vierte Richter:in, die sich einem Richterverband anschließen, der einzigen fortschrittlichen Organisation an. Hochgerechnet auf alle Richter und Richterinnen im Land ist dies gar nur je­de:r Zehnte. Der Grund für diese überwältigende konservative Mehrheit sehen viele im Aufnahmeverfahren. Die Rich­te­r:in­nen müssen über 300 Themen praktisch auswendig lernen, um sie dann so gut wie wörtlich wiederzugeben. Um das zu erreichen, sind drei bis vier Jahre mit bis zu zehn Stunden Büffeln täglich notwendig. Weder das Auslegen von Gesetzen noch die Fähigkeit, Tatverhalte umfangreich zu beleuchten und zu bewerten und so zu einem Urteil zu kommen, werden abgefragt. Demokratisch geschulte Rich­te­r:in­nen sehen anders aus.

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Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

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