: Signal gegen Femizide
Gerichtsurteile sollen die „geschlechtsbezogenen“ Motive einer Straftat künftig besser würdigen. Doch die juristische Definition von Gewalt gegen Frauen ist komplex, sagen Expert*innen
Von Selma Hornbacher-Schönleber
Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag kommt es tatsächlich zur Tötung. Das ergab eine Auswertung des Bundeskriminalamtes. Oft werden solche Fälle in der Öffentlichkeit aber noch verharmlosend als Beziehungstat, Eifersuchts- oder Ehedrama bezeichnet. Doch die Stimmen, die auf die sexistischen Muster hinter solchen Taten hinweisen, werden lauter. Und immer häufiger fällt der Begriff „Femizid“ – Frauentötung. Jetzt soll sich das auch im Strafgesetzbuch wiederfinden.
„Das Ausmaß frauenfeindlicher Gewalt in der Bundesrepublik ist erschütternd“, sagt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Er plant eine Reform von §46 des Strafgesetzbuchs, das die Strafzumessung für die Tatperson regelt und Faktoren nennt, die ausdrücklich im Strafmaß zu beachten sind. Diesem Katalog sollen nun „geschlechtsbezogene“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe hinzugefügt werden, um ein Signal gegen geschlechtsspezifische Gewalt senden.
Am häufigsten kommen Femizide im Zusammenhang mit Trennungen vor, meist wenn das Opfer den Täter verlassen will. Aber ist jede Tötung einer Frau durch ihren (Ex-)Partner schon ein Femizid? Barbara Havliza (CDU), Justizministerin Niedersachsens, sieht das nicht so und fordert eine klarere juristische Definition – schließlich drohten bei Mord unabhängig vom Geschlecht des Opfers lebenslange Haftstrafen.
„Man muss das Muster sehen, das solchen Taten zugrunde liegt.“ Jara Streuer vom deutschen Juristinnenbund hat zum Thema Femizid promoviert und weiß: Femizide sind in der Praxis nicht immer leicht nachzuweisen. Denn Täter – oder seltener Täter*innen – sagen in der Regel nicht ausdrücklich, sie hätten ihr Opfer aus Frauenfeindlichkeit getötet.
Der Geschlechtsbezug der Tötung sei nicht nur ein subjektives Merkmal, also ein bestimmter Vorsatz bei der Tat, sagt Streuer. Vielmehr lägen Femiziden geschlechtsbezogene Rollenerwartungen und Vorstellungen von Ungleichwertigkeit zugrunde. Oft argumentierten Täter etwa so: „Weil ich sie nicht haben konnte, soll sie keiner haben.“ Dies sei nicht nur Ausdruck von Eifersucht, sondern eines zutiefst misogynen Besitz- und Machtdenkens, so Streuer. „Das wird in der Rechtsprechung oft nicht erkannt.“ Ein gesamtgesellschaftlicher Bewusstseinswandel, besonders aber in der Strafverfolgung und Rechtsprechung, sei deshalb unerlässlich.
Misogynie liegt aber nicht nur in den Tatmotiven einzelner Täter*innen, sondern ist strukturell angelegt. Gerade mehrfach marginalisierte Menschen wie Frauen auf der Flucht oder mit Behinderung sind besonders gefährdet. Sofia Heuser vom Bündnis „Feministischer Streik“ spricht deshalb von „Feminizid“.
Der Begriff stammt von der Anthropologin Marcela Lagarde und soll das strukturelle Versagen des Staates, Frauen zu schützen, aufzeigen. Patriarchale Rollenerwartungen, ökonomische Abhängigkeit, mangelnde Sensibilisierung von Strafverfolgungsbehörden, unterfinanzierte Frauenhäuser und Beratungsstellen – auch Sofia Heuser betont, dass es der gesellschaftliche Kontext sei, der dieses Ausmaß an geschlechtsspezifischer Gewalt ermöglicht. „Letztendlich kann patriarchale Gewalt uns töten und die gesellschaftlichen Strukturen lassen es zu.“
Fatma Karakas-Dogan, Uni Bremen
„Ein großes Problem ist, dass Gewalt gegen Frauen oft im häuslichen Kontext stattfindet“, erklärt Fatma Karakas-Dogan, Juristin an der Uni Bremen. Die private Sphäre sei rechtlich aber kaum zu durchdringen: Betroffene müssen ihnen nahestehende Täter*innen anklagen und riskieren damit die Unterstützung ihres sozialen Umfeldes. Dass Behörden das Problem oft nicht ernst nähmen oder sogar tolerierten, komme erschwerend hinzu. „Gewalt gegen Frauen bleibt oft unsichtbar, deshalb kann das System fortbestehen.“ Strafrecht sei kein sinnvolles Instrument, um geschlechtsbezogene Gewalt zu verhindern. Prävention aber müsse oberstes Ziel sein. „Strafrecht ist das letzte Mittel.“
Im juristischen Kontext muss man zwischen einem Straftatbestand und einer strafrechtlichen Definition unterscheiden. Jara Streuer plädiert für letztere Option, denn im deutschen Recht bestehe keine Rechtslücke bezüglich Tötungsdelikten. Ein juristisches Verständnis für die Dynamiken geschlechtsbezogener Tötungen hält sie für wichtig: Zu oft bleibe diese Motivation unerkannt, zu selten werde damit Misogynie in der Rechtsprechung erfasst.
Für Streuer ist die von Bundesjustizminister Buschmann geplante Reform das, „was wir vom Juristinnenbund für sinnvoll halten“. Die Regelung sensibilisiere nicht nur für den Geschlechtsbezug bei Tötungsdelikten, sondern auch bei anderen Straftaten wie Körperverletzung oder Beleidigung. Auch Sofia Heuser begrüßt die Ergänzung, sieht aber weiteren Handlungsbedarf: „Das macht noch nicht die strukturelle Dimension sichtbar.“ Dies könne nur ein eigener Straftatbestand leisten.
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