piwik no script img

Politik und MedienDas Gefühl, mitspielen zu können

Wie nah dürfen sich Politik und Journalismus sein? Vorwürfe gegen NDR-Journalist*innen haben diese Frage über ein komplexes Verhältnis aktualisiert.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit mitreisenden Journalist*innen: Wer sagt wem, wo es langgeht? Foto: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

D er Parteienproporz bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten ist eines der Grundübel unseres Systems. Solange ich Journalist bin, bleibe ich parteilos.“ Gesagt hat diesen Satz Claus Richter, ZDF-Journalist und bis 2014 Leiter des Politmagazins „Frontal 21“. Richter ist so etwas wie journalistisches Urgestein, fast noch aus der Zeit des „Internationalen Frühschoppens“ von Werner Höfer, bei dem geraucht, getrunken und gesiezt wurde. Gesagt hat er diesen Satz auch schon 1986, als es noch richtig schlimm war bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten, was den politischen Einfluss anging.

Aber hat sich daran etwas geändert? Der Blick zum NDR nach Kiel scheint zu sagen: Och, nö, nicht wirklich. Das Online­medium Business Insider und danach der Stern hatten berichtet, dass es bei der Politikberichterstattung im Kieler Landesfunkhaus eine Art „politischen Filter“ durch die Vorgesetzten geben könnte. Dabei ging es beispielsweise um ein Interview mit dem ehemaligen schleswig-holsteinischen Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU), das ein NDR-Journalist habe führen wollen, was seine Vorgesetzten aber wegen angeblicher Nähe zum mit Grote im Clinch liegenden Ministerpräsidenten Daniel Günther (ebenfalls CDU) abgelehnt hätten. Beim rbb geht es zwar weniger um den Vorwurf direkter politischer Einfluss- oder Rücksichtnahme, doch auch dort spielen politisch gut vernetzte alte Westberliner Seilschaften eine Rolle.

Natürlich verlaufen heute die Gemengelagen anders. Geraucht wird deutlich weniger, dafür sehr viel mehr geduzt. „Familia­rity breeds contempt“, sinngemäß „Vertrautheit schafft Verachtung“, sagte schon mein alter Schulrektor. Oder sorgt für Gefälligkeiten, falsche Rücksichtnahme und ein ganz merkwürdiges Gemeinschaftsgefühl. Das muss und soll jetzt nicht das Duzen verteufeln, aber es deutet auf etwas hin, was immer öfter fehlt – professionelle, nicht rein formale Distanz.

Politik und Medien sind zwei Seiten einer Medaille, lautet eine andere Binse im politischen Schwafelgeschäft. Und wie immer ist bei aller gebotenen Verachtung was Wahres dran. Zwei Seiten, das bedeutet Gegensatz oder zumindest eben Distanz, Abstand, nicht eins sein mit dem politischen Apparat. Dumm nur, dass der mit seinen Triggern den medialen Erregungsmustern so furchtbar ähnelt. Und so geraten die Rollen zwar nicht formal, aber informell schon mal ziemlich durcheinander.

Ähnliche Systeme der Versuchung

Ein paar Jahre nach dem Richter-Spruch, ab 1998, moderierte Sabine Christiansen ihre gleichnamige Sendung. Von diesem Schock hat sich der politisch-mediale Komplex nie mehr wirklich erholt. Denn hier saßen plötzlich Po­li­ti­ke­r*in­nen und Jour­na­lis­t*in­nen zusammen und wähnten sich auf Augenhöhe – was erst mal gar nichts aussagt. Doch sie wähnten sich auch auf funktional gleich laufenden Bahnen. Da gefiel sich plötzlich der Stern-Mann Uli Jörges in der Rolle des Ersatzkanzlers und merkte gar nicht, dass er seinen journalistischen Tanzbereich nicht nur verlassen, sondern eigentlich sogar verraten hatte.

„Die Politiker suchen und organisieren die Gefolgschaft von Journalisten“, dieser Satz stammt auch von Jörges. Dem wollte er immer etwas entgegensetzen. Doch es geht eben, wie der Journalist Jürgen Leinemann nach den Erfahrungen der „Bonner Republik“ bei der Ankunft im „Raumschiff Berlin“ konstatierte, nicht um Inhalt, sondern um Betrieb und Macht. Dieser vermeintlichen Macht des Großjournalisten, der der Politik sagt, wo es langgeht, war Jörges zumindest zeitweise verfallen.

Leinemann wusste, wovon er schrieb. Selten hat jemand den politischen Betrieb so schonungslos seziert wie der Spiegel-Mann, der in seinem Buch „Höhenrausch“ 2004 auf die so banale wie erschütternde Erkenntnis „Politiker tun sich schwer mit dem richtigen ­Leben“ stieß. Und der gerade nicht verhehlte, dass es zahlreichen Jour­na­lis­t*in­nen mindestens genauso geht. Vor allem, wenn sie so nah dran an ebendieser Politik sind, dass sie das Gefühl haben, mitspielen zu können oder gar zu dürfen. Leinemann, der mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder befreundet und per Du war, machte auch gar keinen Hehl aus seiner Nähe zum Objekt der Begierde. Doch er reflektierte das stets mit kritischer Distanz.

„Sind es denn wirklich nur die Politiker, die ihre enormen Möglichkeiten auskosten, sich selbst zu bestätigen? Und behaupten nur sie, dass die vielen Privilegien, die notwendiger- und erfreulicherweise ihr Berufsleben begleiten, nichts anderes seien als quasi unvermeidliche Zugaben zur hehren Gemeinwohl-Aufgabe?“, fragte Leinemann 2005 bei seiner Rede zur „Lage des Journalismus“ bei der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche (Offenlegung: Ich bin da Mitglied und war auch mal im Vorstand. Wie übrigens auch Julia Stein vom NDR-Landesfunkhaus Kiel.)

„Ich tickte wie die meisten politischen Karrieristen“, noch so ein Satz von Leinemann, der vielen anderen aus seiner (unserer!) Zunft wohl nicht so locker über die Lippen käme. Doch Mitspielen war Leinemanns Sache nicht. Auch wenn er bis zuletzt dabei war. Aber wie lässt sich journalistische Distanz halten, wenn sich die Systeme der Versuchung so ähneln?

Jour­na­lis­t*in­nen sind kein Neutrum

Angelsächsische Medien – ich fürchte, wir reden jetzt überwiegend von der Ära vor Trump – sind schon formal etwas konsequenter aufgestellt. Die Trennung von Nachricht und Meinung ist dort stärker. Eine Vermischung findet nicht statt oder ist zumindest verpönt. Vor rund zehn Jahren weilte eine Kollegin der Washington Post bei der taz. Meine Bitte, auf der Medienseite etwas über den ersten Pulitzer-Preis für ein Online­angebot namens Politico zu schrei­ben und das Ganze einzuordnen und zu bewerten, lehnte sie ab. „I cannot possibly do editorial“ – ich kann doch kein Meinungsstück schreiben –, lautete die Antwort der Reporterin, die für eine ihrer Recherchen 2008 selbst mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet worden war. Andere gehen noch weiter. Beziehungsweise gar nicht erst wählen.

„Es mag merkwürdig erscheinen, nicht an Wahlen teilzunehmen oder die eigene politische Präferenz nicht transparent zu machen. Das stimmt aber nicht. Wer Jour­na­lis­t*in wird, gibt zu einem gewissen Grad seine Mitwirkung in der Öffentlichkeit auf, denn Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut des Journalismus“, argumentierte schon 2008 Alicia C. Shepard vom öffentlich-rechtlichen National Public Radio (NPR) in den USA. Und Leonard Downie Jr., bis 2008 Chefredakteur der Washington Post, erklärte „Ich habe zu wählen aufgehört, als ich zum Hauptentscheider darüber wurde, was in der Zeitung erscheint.“

Aber ergibt das Sinn? Nein, und es ist sogar gefährlich. Ich möchte keine politischen Analysen oder Reportagen von Jour­na­lis­t*in­nen lesen, die von sich behaupten, sie wären ein politisches Neutrum. Denn das gibt es schlicht nicht. Ich möchte aber wissen – oder zumindest erahnen können –, wie jemand politisch tickt. Wenn das transparent gemacht wird, lassen sich auch die Auswirkungen auf die Berichterstattung fair einpreisen. Alles andere ist wie der Glaube an die Unbefleckte Empfängnis.

Das heißt nicht, dass einzelne Jour­na­lis­t*in­nen oder ganze Redaktionen mit der Politik kungeln sollen. Das Leben – und erst recht das Verhältnis von Politik und Medien – bleibt nun mal komplex. Oder, um es mit Jürgen Leinemann zu sagen: „Die krasse Realität ist für niemanden uneingeschränkt erfreulich.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Hallo,



    > „ ... Angelsächsische Medien ... sind schon formal etwas konsequenter aufgestellt. Die Trennung von Nachricht und Meinung ist dort stärker. Eine Vermischung findet nicht statt oder ist zumindest verpönt. ... Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut des Journalismus“.



    > „ ... Ich habe zu wählen aufgehört, als ich zum Hauptentscheider darüber wurde, was in der Zeitung erscheint.“

    Wie verträgt sich das mit der Einstellung von U.Winkelmann und B. Junge, die am 03.11.2020 auf der Website journalist.de [ 1 ] so zitiert wurden: „ ... Wo die Grenze zwischen Aktivismus und Journalismus verläuft, muß in allen Themenfeldern ständig neu verhandelt werden ...“ ?

    [ 1 ] www.journalist.de/...fault-340ceb6a9a-1

    Es wäre schön, eine Antwort zu bekommen.



    Erwartungsvoller Gruß,



    Thomas Dräger, D-67098

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Mitspielen. Jaja. Medienkonzerne. Typen wie Döpfner möchten ja gern Sponsor, Vereinspräsident und Trainer sein, der die Mannschaft aufstellt. Mittel-Stürmer sowieso.

  • Danke.

    Ja Jürgen Leinemann. Zwei Jahre jünger als Christian Ströbele.



    Unvergessen - wie er aufspießte - daß Helmut Kohl als Kanzler! täglich! geschlagene drei Stunden bis in den letzten CDU-Ortsverein telefonierte!



    & =>



    “…für einen Willy Brandt - einen Helmut Schmidt undenkbar!“



    Ob er da schon die Nase am Kohl-Bimbes-Verfassungsbruch-System - Architekt der taz-Demokratie-Freund “Schäuble ist Chefinnensache“ “Na Mahlzeit!“ Lovando •



    Koa Ahnung nich! Aber jedem Montag/Spiegeltag-Leser war klar “Da ist was faul im Staate Dänemark“ •



    Befreundet mit Gerd “Acker“ zu Gazprom! Mach Bosse. But.



    “Für die ARD lieferte er gemeinsam mit Michael Wech das Film-Porträt „Gerhard Schröder – Kanzlerjahre“, das begleitend zur Buchveröffentlichung des Altkanzlers ausgestrahlt wurde.“ wiki



    & dazu - fein - klug - differenziert =>



    www.tagesspiegel.d...chter-1395604.html



    “War sein legendärer Ausbruch in der Elefantenrunde nach der Wahl ein Beispiel von – wie Sie es in ihrem Buch nennen – „Höhenrausch“?



    Ja und nein. Es war eine Art Erschöpfungseuphorie. Der war total fertig und total aufgedreht. Müntefering erzählt das im Film sehr eindrucksvoll: Wie die am Samstag noch gedacht haben, es ist alles vorbei und am Sonntag plötzlich gleich- auf waren. Dazu kam, dass er sich tierisch über die Medien, vor allem über das ZDF, geärgert hatte …



    … und über den „Spiegel“.



    Über den „Spiegel“ hat er sich schon länger geärgert, wie alle Kanzler.



    & Däh! =>



    “Schröder und Sie waren auch mal dick befreundet. 1994 kam es zum Bruch, als Sie im Kreise der niedersächsischen Toskanafraktion eine seiner Wahlkampfreden kritisierten. Was ist der Film für Sie persönlich: ein Nachruf, eine Abrechnung?“



    & souverän =>



    “Die Rekapitulation einer Zeit, die ich als sehr aufregend erlebt habe. Für mich ging es um die Frage: Wie verändert sich ein Mensch, den man gut kennt, wenn er in ein Amt kommt, das er nicht kennt? Am Ende hat ihn das Amt mehr verändert, als er das Amt.…ff

    • @Lowandorder:

      Liggers. Kann mich gut an die Wutausbrüche - speziell der Bas-Sax sozialdemokratischen Kolleginnen drob erinnern.



      &



      Damit wären wir beim Wählen etc



      Vorweg - wer glaubt ZWEIMAL wählen zu dürfen & das auch tut! Nicht wahr Herr di Lorenzo - kann natürlich nur in einer abgehalfterten spießbürgerlichen Fischeinwickelgazette sein schmähliches Dasein fristen - quasi Theo Sommer light



      Zur Sache - & über den Tellerrand hinaus!



      Nichtwählen - keine Parteizugehörigkeit - Embedded - Duzfreundschaften etc



      Instrumentarien Verwerfungen - aus einer never-ending-Story der Grenzziehung zwischen Kontrolle & Macht.



      Kanadische Richter dürfen keiner Partei angehören - die Mütter & Väter sahen das anders. But. Kaffeekränzchen Karlsruhe Regierung (“…wenn doch die Opposition dabei ist?!“ “Isse ja gerade nicht!“ “Waas? Mit dem Supreme Court - undenkbar!“) mE. glatter Verfassungsverstoß.



      & Däh zB =>



      Schleswig-Holstein? "Der Blick zum NDR nach Kiel scheint zu sagen: Och, nö, nicht wirklich. Das Online­medium Business Insider und danach der Stern hatten berichtet, dass es bei der Politikberichterstattung im Kieler Landesfunkhaus eine Art „politischen Filter“ durch die Vorgesetzten geben könnte.…“ Ach was? © Vagel Bülow



      & kann Justiz auch - remember -



      taz.de/Geiselnahme...-Luebeck/!5019291/



      “ Bereits am Vortag hatte sich der Landtag mit der Geiselnahme und ihren Folgen beschäftigt. Anlass war der Versuch hochrangiger RichterInnen, eine Solidaritätsadresse für Spoorendonk zu organisieren. Das scheiterte, weil andere Gerichtspräsidenten nicht mitspielen wollten.



      Den Ideengebern, dem Präsidenten des Verfassungs- und der Präsidentin des Oberlandesgerichts, drohen möglicherweise Disziplinarstrafen.“



      Wie lief das Gespräch in etwa - meines Weggefährten mit einem der Beteiligten



      “Hörmal - du sollst sie kontrollieren!“



      ”Das kann ich trennen!“ - “Glaubst auch nur du!“

      kurz - That’s the point •

  • Der Rundfunkstaatsvertrag weiß Genaueres:

    "Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags



    die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Mei-



    nungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen"