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Retter: Eduard Vigneron, Pierre Marie, Charles Bouy, Charles Thouron und vermutlich François Pinot (v.l.)

Judenverfolgung in der Nazi-ZeitWiderstand in Uniform

18. Juli 1942 im französischen Nancy: Alle Juden sollen verhaftet werden. Doch sieben Polizisten machen nicht mit, sie warnen die Menschen frühzeitig.

E ine Internetsuche mit den Stichworten „Nancy“ und „Policiers“ vermittelt nicht den Eindruck, dass die Polizei im französischen Nancy von internen Problemen verschont geblieben wäre – erst Mitte Mai wurden sieben Beamte einer Einheit wegen Mobbing von KollegInnen inklusive rassistischer Beleidigungen zu Bewährungsstrafen verurteilt und vom Dienst suspendiert. Und doch hat die Polizei in der lothringischen Stadt westlich von Straßburg etwas ganz Besonderes zu bieten – eine Geschichte von Zivilcourage und erfolgreichem Widerstand, der nur durch die mutige Entschlossenheit möglich war, die sieben Polizisten vor 80 Jahren unter Beweis stellten.

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Mitte Juli 1942 wollen die Nationalsozialisten in mehreren besetzten Ländern Nordwesteuropas Massenverhaftungen von Juden vornehmen und Zehntausende Menschen mit dem Zug in die Vernichtungslager in Osteuropa schaffen. Im besetzten Teil Frankreichs sind die deutschen Behörden für diese als „Operation Frühlingswind“ bekannten Razzien auf die einheimische Polizei angewiesen. Den Besatzern selbst stehen nur wenige Ordnungskräfte zur Verfügung, sie verfügen über schlechte Ortskenntnisse und sie wissen, dass sie leicht feindselige Reaktionen der Bevölkerung provozieren können.

Das für die französische Polizei in ganz Frankreich zuständige Vichy-Regime in der unbesetzten Zone akzeptiert schließlich die „Bitte“ der Deutschen, die Verhaftungen vorzunehmen, und sieht darin eine Chance, mehr Befugnisse zu erhalten. Man handelt lediglich aus, dass keine Franzosen, sondern ausschließlich staatenlose und ausländische Juden deportiert werden sollen.

In Nancy, deren Umgebung von Bergbau und Stahlindustrie geprägt ist, hat sich seit den 1920er Jahren eine Gruppe osteuropäischer, überwiegend polnischer Juden angesiedelt – zum Unwillen vieler der meist bürgerlichen, unauffällig lebenden jüdischen Franzosen in der Stadt. Die Neuankömmlinge gehören eher zur Arbeiterklasse. Sie sprechen Jiddisch, ihre Kleidung, ihre Religiosität, ihr Benehmen und auch ihre politische Orientierung fallen auf. Einige von ihnen nehmen sogar am Spanischen Bürgerkrieg teil.

Beamte, die ihre Pflicht erfüllen – und das Gegenteil

Nach damaligem französischem Recht haben sich Ausländer regelmäßig bei der Polizei zu melden, um ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern. Dafür ist innerhalb des zentralen Kommissariats in der Rue de la Visitation die kleine Abteilung der Fremdenpolizei (Service des étrangers) zuständig, die im Erdgeschoss untergebracht ist.

Viele der polnischen Juden, die hier zum Teil seit Jahrzehnten regelmäßig vorbeikommen, sind den sieben hier arbeitenden Polizisten des seit 1940 von Edouard Vigneron und seinem Stellvertreter Pierre Marie geleiteten Service bekannt. Zu manchen existieren freundschaftliche Kontakte.

Francoise Ribert hält in Nancy die Erinnerung an die mutigen Polizisten wach Foto: Christoph Weymann

Die Beamten erfüllten ihre Pflichten. Nicht nur bei Anträgen auf Einbürgerung werden penibel, von der Arbeitsstelle bis zu Vereinsmitgliedschaften, fast alle Lebensumstände der Ausländer erfasst. Auch die vom Vichy-Regime und den Besatzern initiierten Diskriminierungsmaßnahmen setzen die Polizisten, wenn auch zähneknirschend, um. Erst ein paar Wochen zuvor, Anfang Juni 1942, haben sie die „gelben Sterne“ ausgeben müssen und den Anblick der Frauen und Männer, die ihnen weinend gegenüberstanden, kaum ertragen können, wie Pierre Marie später erzählt.

Etwa so müssen sich die Deutschen wohl die Kooperation der Polizisten bei der geplanten Deportationswelle vorgestellt haben: als vielleicht widerwillige, aber garantierte Pflichterfüllung. Die deutschen Behörden gehen auf Nummer sicher. Die Adressen der Jüdinnen und Juden für die Deportationsliste hat sich die Gestapo diskret in der Präfektur besorgt. Die Besatzungsbehörden gehen offenbar davon aus, dass der Fremdenpolizei nichts anderes übrig bleiben werde, als die befohlene Razzia zu unterstützen, zumal sie erst kurzfristig davon erfahren soll. Doch beide Annahmen erweisen sich im Fall von Nancy als falsch.

Als der Chef der Fremdenpolizei in Nancy, Edouard Vigneron, offiziell von der bevorstehenden Razzia informiert wird, wissen er und seine Kollegen schon Bescheid. Sie haben nicht die Absicht, die Deportation einfach geschehen zu lassen. „Wir wussten“, sagte Pierre Marie später zu dem Philosophen Jean-Marie Muller, der 1994 das einzige Buch über die Ereignisse veröffentlicht, „diese Verhaftungen waren für sie der Anfang vom Ende.“

Wir wussten, diese Verhaftungen waren für sie der Anfang vom Ende

Pierre Marie, Polizeibeamter, nach dem Krieg

Schon vorher haben einige der Polizisten viel riskiert, um bedrohten Menschen zu helfen. Bald nach der deutschen Besetzung der Stadt im Sommer 1940 hat Edouard Vigneron damit begonnen, gemeinsam mit seinem Kollegen Charles Bouy gefälschte Ausweise auszustellen. Zuerst für geflüchtete Kriegsgefangene, für Männer aus dem annektierten Elsass-Lothringen, die nicht zum Dienst in der Wehrmacht verpflichtet werden wollen, zunehmend aber auch für ausländische Juden auf der Flucht – die von den Fälschern oft kurzerhand zu Elsässern „gemacht“ werden, weil sie kein akzentfreies Französisch sprechen.

Polizisten besorgen Ausweise. Versteckt sind Papiere und Stempel im Hasenstall hinter dem Haus von Charles Bouy

Versteckt sind die Papiere – zusammen mit dem nötigen Stempel, den der Polizeibeamte Charles Bouy während eines Vertretungseinsatzes in einem anderen Kommissariat hat mitgehen lassen – im Hasenstall hinter dessen Haus.

Die Razzia von Paris 1942 und die französische Mitverantwortung

Die Razzia von Paris Am 16. und 17. Juli 1942 wurden in Paris 13.152 ausländische Jüdinnen und Juden, darunter etwas mehr als 4.000 Kinder, verhaftet. Die Razzien wurden von der französischen Polizei im Auftrag des NS-Regimes durchgeführt. Die Verfolgten wurden zum Teil in der Radsporthalle Vélodrome d’Hiver zusammengepfercht. Danach kamen sie in mehrere Durchgangslager, bevor sie in Viehwagen nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. An der Aktion waren mindestens 4.500 französische Polizisten beteiligt.

Schwierige Erinnerung Nach der Befreiung blieb die Zustimmung und Beteiligung der französischen Polizei an der Mordaktion ein Tabuthema. Der zuständige Polizeichef von Vichy-Frankreich, René Bousquet, blieb straflos. Die Politik leugnete lange die Mitverantwortung von Franzosen an der Aktion. Erst 1995 gestand der damalige französische Präsident Jacques Chirac die Beteiligung von Franzosen ein und entschuldigte sich. Präsident Emmanuel Macron und seine Premierministerin Élisabeth Borne erinnerten am Sonntag der Ereignisse. Dagegen lehnte die rechtsradikale Marine Le Pen vor fünf Jahren jede französische Verantwortung für die Aktion ab. (taz)

Den anderen Kollegen erzählt Bouy anfangs nichts davon. Deshalb weiß er nicht, dass zwei Kollegen, Pierre Marie und Charles Thouron, ebenfalls an der Herstellung falscher Papiere beteiligt sind.

Die Flics der Fremdenpolizei sehen die Menschen, die sie kontrollieren und einfangen sollen, eher als ihre Schützlinge an und werden so von diesen als Beschützer wahrgenommen. In der Stadt gestrandete polnische Juden wenden sich an die ihnen bekannten Polizisten, um die für ein Leben in der Illegalität nötigen falschen Papiere zu bekommen. Einen jungen Familienvater begleitet Vigneron sogar bis nach Paris, um durch einen Einbruch in dessen versiegelte Wohnung ein paar Sachen zu retten.

Aus der Hauptstadt erreichen den Service dann auch erste Warnungen. Ein Jude aus Nancy, der Augenzeuge der erschütternden Vel-d’Hiv-Razzia geworden ist, in deren Verlauf Tausende Menschen tagelang unter entsetzlichen Umständen ins Winter-Radstadion beim Eiffelturm eingesperrt werden, meldet sich telefonisch bei Pierre Marie, der seine Kollegen informiert. Damit ist klar, dass auch in Lothringen mit einer solchen Massenverhaftung gerechnet werden muss. Die sieben Polizisten beschließen, sich bereitzuhalten und einzugreifen, falls es so weit kommen sollte.

Die Warnung vor der Razzia

Am Morgen des 18. Juli 1942 erfährt Edouard Vigneron unter der Hand aus der Präfektur, dass am nächsten Tag ausländische und staatenlose Juden verhaftet werden sollen. Die Polizisten haben einen Tag Zeit, um die Menschen zu warnen. Sie verfügen über ein Register, aus dem sie sich die Adressen heraussuchen können. Kurz darauf gehen sechs der Männer in Zivil durch die Stadt und klappern die Häuser der jüdischen Familien ab, die auf der Deportationsliste stehen.

Juli 1942: Razzia gegen Juden in Paris Foto: Antoine Gyori/Corbis/getty

Nur Vigneron bleibt im Büro, falls jemand kommt oder Vorgesetzte auftauchen sollten. Die anderen Beamten schärfen den bedrohten Menschen ein, auf keinen Fall die Nacht zu Hause zu verbringen und die Warnung weiterzugeben.

Viele Familien werden spontan von nichtjüdischen Nachbarn oder Geschäftspartnern aufgenommen, andere finden Zuflucht in den Kellern der umliegenden Häuser. Eine Gruppe von fünf Menschen weiß sich keinen Rat und klopft schließlich weinend an die Tür von Charles Bouy. Der Polizist ist nicht zu Hause, aber seine Frau lässt die Leute ins Haus, wo sie acht Tage bleiben werden.

Als die Verhaftungstrupps am nächsten Morgen um fünf Uhr früh ausschwärmen, finden sie fast nur noch leere Wohnungen vor. Die Warnungen scheinen alle erreicht zu haben. Nur glauben manche der Betroffenen, für sie gelte eine Ausnahme – sie sind trotz allem nicht geflohen. Diese Hoffnungen zerschlagen sich bitter, denn es werden nicht nur Männer aus Osteuropa gesucht, sondern alle Juden ohne französische Staatsangehörigkeit, also auch Frauen und Kinder. In einem Fall schützt das Attest eines Mannes zwar ihn und seine Frau, aber die sechzehnjährige Tochter wird mitgenommen.

Wie viele Menschen an diesem Tag verschleppt werden, ist nicht ganz klar. Pierre Marie hält es später für möglich, dass die deutsche Polizei die verlassenen Wohnungen überwachte und auch in den Tagen danach Leute gefangen nahm, die noch irgendetwas holen wollten.

Die Listen eines Transports in das Sammellager Drancy bei Paris vier Tage nach der Razzia dokumentieren die Deportation von 11 Männern und 21 Frauen. Fünfzehn Kinder werden der jüdischen Gemeinde übergeben und drei Monate später, nachdem in Berlin entschieden worden ist, auch Kinder in den Osten zu deportieren, abgeholt, „um sie wieder mit ihren Eltern zusammenzubringen“, wie die Deutschen erklären. Doch von den Eltern ist zu diesem Zeitpunkt mit einer einzigen Ausnahme niemand mehr am Leben. Und auch die Kinder werden unmittelbar nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz am 6. November vergast. Nur zwei Schwestern, deren Vater sich in Kriegsgefangenschaft befindet, deportiert man nicht von Drancy in den Osten. Ihre Mutter, die sich auf diesen Schutz verlassen hat, ist schon im Juli verschleppt worden.

Ein solches Schicksal hatten die deutschen Planer der Razzia für mehr als 350 Menschen aus Nancy und der Umgebung vorgesehen. Über 300 von ihnen können sich dank des Eingreifens der Polizisten retten. Diese tun auch in den Tagen und Wochen danach alles, was sie können.

Die Hilfe der Polizisten geht weiter

Zwei Jungs, die nichtsahnend am 20. Juli aus den Vogesen zurückkehren, werden am Bahnhof abgefangen und in das Versteck ihrer Eltern gebracht. Zwei Tage später werden sie wie viele andere mit falschen Papieren versorgt – und sicherheitshalber wieder zum Bahnhof begleitet, wo die Polizisten ihnen sogar die Fahrkarten in die unbesetzte Zone Frankreichs besorgen. Der Altmetallhändler und Fuhrunternehmer Szaja Rubinowicz kann mit seinem Lastwagen andere verfolgte Juden in den Süden bringen.

Seine Enkelin, die Geologin, Autorin und Lokalhistorikerin Françoise Ribert, die für den Verein Association des Amis de la Fondation pour la Mémoire de la Déportation Führungen auf den Spuren der Razzien in Nancy anbietet, hat in Archiven Unterlagen gefunden, die zeigen, dass ihr Großvater, sogar nachdem er selbst in die Gegend von Valence geflohen war, regelmäßig bis 1944 nach Nancy fuhr und Leute in die unbesetzte Zone mitnehmen konnte. Während der Razzia hatte er sich in seinem Lager in der Nähe versteckt und dort anderen Menschen einen Unterschlupf ermöglicht.

Nach dem offensichtlichen Scheitern der Verhaftungsaktion am 19. Juli in Nancy haben die Deutschen bald die französische Polizei in Verdacht. Der Kommandant der Sicherheitspolizei von Nancy kommt persönlich ins Zentralkommissariat und droht dem Polizeichef, Kommissar Coissard, er werde alle dafür verantwortlichen Mitarbeiter verhaften lassen. Coissard bleibt ruhig und schafft es, den Deutschen zu beschwichtigen – mit dem Argument, die Juden hätten wohl von den Verhaftungen in Paris erfahren und sich vorsorglich versteckt.

Einen Monat später wird Edouard Vigneron von der Gestapo verhaftet. Ein Schneider aus Nancy, der an der Grenze zur unbesetzten Zone bei einer Kontrolle aufgefallen ist, hat zugegeben, die falschen Papiere vom Chef der Fremdenpolizei erhalten zu haben. Vigneron wird ins Gefängnis Charles III. neben dem Bahnhof gebracht und später zu einer Haftstrafe von drei Monaten verurteilt. Das Urteil fällt auch deshalb so milde aus, weil seine Kollegen Bouy und Marie im letzten Moment einen Umschlag voller gefälschter Ausweise aus seiner Schublade verschwinden lassen können. Außerdem fürchten die deutschen Behörden wohl einen Aufstand bei der französischen Polizei. Sie verlangen aber die Entlassung Vignerons, der er durch einen Antrag auf Pensionierung aus Gesundheitsgründen entgeht. Mitte 1943 wird Vigneron noch einmal verhaftet, weil er falsche Papiere für einen Widerstandskämpfer auf der Flucht organisiert hat, aber nach drei Monaten Haft im Gestapogefängnis Fresnes ohne Anklage freigelassen.

Der gescheiterten Razzia folgen auch in Nancy andere, die seit dem Frühjahr 1944 auch gegen französische Jüdinnen und Juden gerichtet sind und aus Sicht der Nazis „erfolgreicher“ verlaufen, weil die französische Polizei nicht mehr vorab informiert wird. Insgesamt werden etwa 1.500 aus Nancy stammende Jüdinnen und Juden deportiert, darunter Hunderte, die kurz vor dem deutschen Einmarsch in den Süden des Landes geflohen oder evakuiert worden sind. Fast 1.300 von ihnen überleben die Verfolgung nicht.

Ehrung nach der Befreiung

Nach der Befreiung wird Edouard Vigneron rehabilitiert und rückwirkend befördert. Bei den zurückgekehrten Überlebenden ist er zeitlebens ein gern gesehener Gast, der bei manchen zur Familie gehört. In den ersten Nachkriegsjahren erhalten die an der Rettungsaktion beteiligten Polizisten verschiedene Auszeichnungen. Vigneron bekommt 1945 einen englischen Orden und wird später zum Ritter der Ehrenlegion ernannt.

Auch Pierre Marie wird für seine Unterstützung des Widerstands mehrfach dekoriert. 1982 vergibt die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an Pierre Marie und die Witwe des 1972 verstorbenen Edouard Vigneron die Auszeichnung als „Gerechte unter den Völkern“.

Später tun sich Republik und Polizei schwer, das Eingreifen der sieben Polizisten zu würdigen. In der heutigen Polizeizentrale von Nancy (Hôtel de Police) zögert man lange, offiziell einen Akt des Ungehorsams zu würdigen. Eine Gedenktafel wird zunächst nur intern aufgehängt. Auch vor der Einweihung einer entsprechenden Tafel außen am Gebäude zum 70. Jahrestag 2012 habe es solche Bedenken noch gegeben, sagt der Präsident der jüdischen Gemeinde, Alain Lefebvre. Namentlich erwähnt werden dort nur die fünf Kollegen, die von Yad Vashem als „Gerechte“ ausgezeichnet wurden. Die beiden anderen hätten später mit den Deutschen kollaboriert, sagt Lefebvre.

„Da müssen wir was machen!“

Inzwischen habe sich die Haltung der Polizei vollkommen verändert, sagt Lefebvre. In den Polizeischulen werde der Widerstand von Edouard Vigneron und den anderen heute als Beispiel genutzt, wenn es um die Gewissensbildung der Beamten geht. Und in diesem Jahr sei es zum ersten Mal die Polizei gewesen, die ihn wegen des 80. Jahrestages angerufen habe: „Da müssen wir was machen!“

So fand am Sonntag vor dem Hôtel de Police wieder eine Gedenkveranstaltung statt. Ende September soll zudem ein Weiterbildungskongress mit den Historikern Jacques Sémelin und Laurent Joly stattfinden. Schon vor 20 Jahren ist nahe dem Gefängnis der erste „Platz der Gerechten“ in Frankreich entstanden. Die Rede zur Einweihung hielt damals eine Frau, die als Siebzehnjährige in demselben Zug nach Auschwitz deportiert worden war, mit dem auch der Rabbiner und andere französische Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Nancy verschleppt wurden – die Politikerin Simone Veil.

Die Rektorin der nahe gelegenen Schule wünschte sich, dass die SchülerInnen mehrerer Klassen Recherchen über die früheren jüdischen Bewohner der Gegend machen, sich künstlerisch mit der Geschichte der Gerechten in Nancy beschäftigen und eine Ausstellung gestalten. Diese SchülerInnen stammen aus 48 Ländern, darunter einigen, in denen die Sensibilität für die Leidensgeschichte von Juden nicht sonderlich ausgeprägt ist. Auch die Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen war deshalb ein Thema.

„Am Anfang dachten die Lehrer, dass es nicht klappen würde“, sagt Alain Lefebvre, der Präsident der jüdischen Gemeinde. Doch das zweijährige Projekt erwies sich als erfolgreich. Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund besitzen eine Verbindung zu den polnischen Juden von 1942 – es war spannend für sie zu sehen, wie Ausländer früher hier gelebt haben. So wie es aussieht, könnte die Geschichte der sieben Polizisten noch viel Gutes bewirken. „C’est une belle histoire humaine!“, sagt Françoise Ribert, die Enkelin des Widerstandskämpfers Szaja Rubinowicz.

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7 Kommentare

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  • Bon Flics.



    Jede Aktion egal von wem - die dem NS-Regime und der ethnischen Säuberung Widerstand bot ist zu Ehren und zu gedenken. Sollte NIE vergessen werden.

    Ich finde es absolut verständlich wenn durch Druck von allen Seiten - vom ganzen Umfeld mancher am Ende doch noch einknickt - duldet oder schweigt.

    Man sieht es aktuell ja in Russland wie selbst die Intelligentesten - doktriniert und manipulativ gesteuert werden.



    Kritik oder Anpassung ist so einfach wenn man selber fast keine Angst haben muss - nicht selber betroffen ist - oder den Weg des geringsten widerstandes in bequemlichkeit findet oder sucht.

  • Und nie! vergessen: große Teile der AfD in Deutschland würden heute so etwas (Deportationen) auch gerne wieder mit Außländer*innen und anders denkenden tun!

  • Ein ganz wichtiger Text. Vielen Dank dafür und bitte mehr davon. Nur solche Geschichten, positive Erinnerungsgeschichten, bewahren nicht nur vor dem Vergessen, sondern vor allem daran, das Tabuzonen von Anhängern des völkischen Denkens wie Alexander Gauland mit seinem „Fliegenschiss der Geschichte” geschliffen werden. Das gilt aber auch für die postkoloniale und identitätspolitische Linke, die immer wieder antisemitische Narrative bedient, weil sie nicht in der Lage ist, zwischen Israelkritik und Israelfeindlichkeit zu unterscheiden.

    Ich schreibe diese Zeilen als durch einen jüdischen Nennonkel gesägter aktiver Angehöriger gegen das Vergessen, der bei der Aktion Sühnezeichen bei der Gräberpflege in Auschwitz in den 80ern die Anfänge der Aufarbeitung erlebte wie auch die Seilschaften von Tätern und Behörden in den 90ern, wenn es galt, historische Forschung, die das Ansehen der Stadt aus ihrer Sicht beschmutzen musste, zu verhindern.

    Das Beispiel mit dem Erinnerungsschild in der Öffentlichkeit der Polizei in Nancy zeigt, wie schwer es Behörden und offiziellen Vertretern des Staates immer noch fällt, Aufarbeitung und Erinnern als Chance zu begreifen. Es geschieht eigentlich zu spät, denn nur lokales Storytelling wird das Erzählen der Überlebenden des Naziterrors ersetzen können, wenn es diese Überlebenden nicht mehr gibt.

    Solche Artikel sind mithin der wichtigste Beitrag, sich der Erinnerung zu stellen. Die Geschichte von Nancy zeigt ja auch, dass die meisten Polizisten Mitläufer waren - sonst würde die Ausnahme nicht derart gewürdigt.

    Erinnern heißt nicht zwischen positiven und negativen Geschichten zu unterscheiden. Erinnern heißt Lehren aus der Geschichte zu erzählen. Dabei ist es einerlei, ob die Orte Nancy oder Dachau heißen. Beide Orte gemahnen.

  • Also wenn zwei der sieben später mit Nazis zusammengearbeitet haben...? Muss man die auch ehren?

    • @Wonneproppen:

      Kommt darauf an, wie die Zusammenarbeit aussah.

      • @rero:

        Für die Versorgung mit Papieren, für die Warnungen etc. kann man sie doch ruhig ehren. Wenn man nur denen eine Medaille umhängen wollte, die unter dem Druck der Verhältnisse, aus Angst um ihre Angehörigen oder auch um Angst um ihr eigenes Leben nie eingeknickt sind, dann bleiben wohl nicht viele übrig.



        Solch reine Helden sind wir Menschen eher selten.

        • @Django:

          Würde ich auch so unterschreiben.

          Wenn die beiden später Spaß an Massenmorden gefunden haben, würde ich sie eher weglassen.

          Letzteres kann ich mir aber nicht vorstellen.