Transfeindlichkeit an Universität: Angst vor Meinungsfreiheit

Nach der Absage eines umstrittenen Gendervortrags findet an der Berliner Humboldt-Universität eine Diskussionsrunde statt – leider zum falschen Thema.

2 Menschen mit Umhängen aus Regenbogenfarben sind von hinten zu sehen in einer Gruppe

Studierende demonstrieren gegen den Vortrag von Marie-Luise Vollbrecht Foto: Christophe Gateau/dpa

Eine renommierte Universität sollte es stören, wenn das Bundesverfassungsgericht ihr in puncto Gleichstellung Vorgaben machen muss. Wie im Jahr 2017. Da urteilte Karlsruhe, dass die beiden Optionen „männlich“ und „weiblich“ nicht mehr ausreichen, um das Geschlecht von Personen zu erfassen. Für Menschen, die sich als trans, inter oder nicht-binär identifizieren, war das ein Meilenstein.

Endlich durften sie sich offiziell einem dritten (oder keinem) Geschlecht zuordnen. Die meisten Universitäten interessierte das damals wenig. Auch anderthalb Jahre nach dem Urteil hatte nur ein Fünftel der deutschen Universitäten ihre Immatrikulationsunterlagen überarbeitet. Die Humboldt-Universität zu Berlin gehörte nicht dazu.

Bei der erregten Debatte, in deren Zentrum die Exzellenz-Uni seit Tagen steht, lässt sich etwas Ähnliches beobachten: Für die (wahren) Betroffenen zeigt die HU wenig Sensibilität. Auch nur nach einem Impuls von außen. Die Diskus­sionsveranstaltung, die dort am Mittwoch stattfindet, bestätigt den Eindruck.

„Sicherheitsgründe“

Die Biologin Marie-Luise Vollbrecht sollte Anfang Juli im Rahmen der „Langen Nacht der Wissenschaften“ an der HU einen Vortrag mit dem Titel „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ halten.

Weil ein Teil der Studierendenschaft zu Protesten aufrief, sagte die Unileitung den Vortrag aus Sicherheitsgründen ab. Seither wird vor allem über Wissenschaftsfreiheit geredet, die gefährdet sei. Und über angeblich in­tolerante Studierende, die Unliebsames wegcanceln. Selbst die Bundesbildungsministerin schaltete sich mahnend in die Diskussion ein.

Dass Studierende der HU pro­testieren, ist keine Cancel-Culture. Der Vortrag wurde von der Uni abgesagt, nicht von jemandem verhindert

Worüber bislang kaum gesprochen wird: Warum ausgerechnet eine Expertin für die Regeneration von Gehirnzellen bei Fischen zum Verhältnis zwischen Geschlecht und Gender beim Menschen sprechen sollte. Die wenige Wochen zuvor als Co-Autorin in einem Gastbeitritt in der Welt mit wenig wissenschaftlichen Thesen („Wie ARD und ZDF unsere Kinder indoktrinieren“) aufgefallen ist. Selbst Springer-Chef Mathias Döpfner bezeichnete den Beitrag als „intolerant, herablassend und ressentimentgeladen“ und „wissenschaftlich bestenfalls grob einseitig“. Was Vollbrechts Auftritt bei der Langen Nacht noch fragwürdiger macht, ist das diesjährige Motto der Veranstaltung – Wissenschaft als Antwort auf Fake News, Verschwörungstheorien und fatale Irrtümer.

Unverhohlene Transfeindlichkeit

Hinzukommt, dass eine Geschlechterforschung, die bei eindeutiger Binarität stehen bleibt, nicht mehr zeitgemäß ist. Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass die so genannten Geschlechtschromosomen XX und XY weder das äußere Geschlecht noch die geschlechtliche Selbstwahrnehmung eines Menschen eindeutig festlegen. Weil solche Erkenntnisse auch bei ZDF & Co vorgestellt werden, unterstellt Vollbrecht den Öffentlich-Rechtlichen Indoktrination.

Zu den fachlichen Fragezeichen kommen die unverhohlen transfeindlichen Äußerungen. Nach der Absage ihres HU-Vortrages stempelte Vollbrecht – erneut in der Welt – die Trans-Bewegung als „Hype“ ab, warnte vor Vergewaltigungen, sollten „selbsterklärte“ Transfrauen in geschützte Frauenräume eindringen, und bezeichnete das dritte Geschlecht als „juristische Fiktion“. Von den transfeindlichen Äußerungen Voll­brechts hat sich mittlerweile auch die HU distanziert.

Es ist eine berechtigte Frage, ob die Biologin für einen Vortrag zum Thema Gender geeignet ist. Dass Studierende der HU sie stellen, ist keine Cancel-Culture. Der Vortrag wurde von der Uni abgesagt, nicht von jemanden gestört oder verhindert. Dennoch hat die HU mit ihrer Entscheidung diesen Eindruck erweckt. Das ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Erstens, weil die Absage dem Narrativ antiemanzipatorischer Kreise in die Hände spielt, wonach öffentliche Räume wie Hochschulen von einer kleinen ideologieverblendeten Minderheit dominiert und terrorisiert würden.

Zweitens, weil die HU-Leitung aus einem berechtigten Wunsch nach öffentlicher Debatte um die fachliche Eignung einer Wissenschaftlerin gleich ein unmittelbares Sicherheitsrisiko gemacht hat. Das ist mindestens unsensibel gegenüber denen, die wegen ihrer geschlechtlichen Identität tatsächlich Ausgrenzung, Ablehnung oder Anfeindungen erfahren.

Gefahren für trans Personen

Womit wir bei der anfänglichen Beobachtung sind – für viele Hochschulen hat ein diskriminierungsfreier Raum offenbar keine Priorität.

Zu diesem Schluss kommt auch die Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen. In einem aktuellen Bericht stellt sie fest, dass „Trans*Personen einem spezifischen und erhöhten Risiko für sexualisierte Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt“ sind – und fordert die Unis auf, eine bessere diskrimierungsfreie Infrastruktur zu schaffen.

Paneldiskussion

Dass die HU hier nicht sehr weit ist, kritisieren Studierende seit Jahren. So erlauben andere Unis trans Personen schon länger, bei internen Unterlagen ihre Vornamen zu ändern, um nicht dauernd falsch angesprochen zu werden. An der HU ist das auch nach einem fast zweijährigem Aushandlungsprozess nicht möglich.

Die Uni muss dringend darüber reden, wie sie die Gleichbehandlung aller Studierenden sicherstellen kann. Einen besseren Anlass als den Wirbel um den Anti-Gender-Vortrag hätte sie sich nicht wünschen können. Doch an der Paneldiskussion am Donnerstagabend geht es nicht um den Umgang mit trans Personen – sondern um den Umgang mit Wissenschaftsfreiheit. Neben vier HU-Professor:innen und der Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sind auch zwei Personen aus der queeren Community eingeladen.

Marie-Luise Vollbrecht hat ihre Teilnahme abgesagt. Sie hält ihren Vortrag auch am Donnerstag – in einem Kilometer entfernten HU-Gebäude. So holt die umstrittene Biologin ihren umstritten Vortrag nach, ohne dass es zum Austausch mit ihren Kri­ti­ke­r:in­nen kommt. Die Ver­tre­te­r:in­nen der queeren Community dürfen sich gegenüber den HU-Honoritäten zur Meinungsfreiheit bekennen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.