Ersatzfreiheitsstrafen in Deutschland: Nur noch ein halber Tag im Knast

Bundesjustizminister Buschmann will Ersatzfreiheitsstrafen halbieren, indem er den Umrechnungsmodus verändert. Diese treffen meistens arme Menschen.

Eine Person vor einer fahrenden Bahn

Bagatelldelikt Schwarzfahren: erste Schritte Richtung softere Strafen Foto: Arne Immanuel Bänsch/dpa

BERLIN taz | Justizminister Marco Buschmann (FDP) will die Ersatzfreiheitsstrafe zurückdrängen. Wichtigste Änderung dabei: Pro Tagessatz einer nicht bezahlten Geldstrafe soll nur noch ein halber Tag Gefängnis vollstreckt werden. Das sieht ein Gesetzentwurf des Justizministeriums vor, der der taz vorliegt.

Die Geldstrafe ist die wichtigste strafrechtliche Sanktion in Deutschland. 86 Prozent aller Strafurteile enthalten eine Geldstrafe. Dabei wird die Höhe sozial gestaffelt. Wer viel verdient, zahlt einen höheren Tagessatz als ein:e Hartz-IV-Empfänger:in. Maßstab für den Tagessatz ist das Netto-Einkommen pro Tag.

Wer seine Geldstrafe nicht bezahlt, muss dann aber doch ins Gefängnis. Diese Ersatzfreiheitsstrafe wirkt vor allem als Druckmittel, damit die Geldstrafe als Sanktion auch durchgesetzt werden kann. Tatsächlich bezahlen rund 90 Prozent der Verurteilten ihre Geldstrafe. Etwa 4 Prozent leisten ersatzweise gemeinnützige Arbeit („Schwitzen statt Sitzen“). 3 Prozent der Verurteilten bezahlen nach Beginn der Ersatzhaft die Strafe doch noch und nur 3 Prozent sitzen die gesamte Ersatzfreiheitsstrafe ab, im Schnitt 38 Tage.

Die Ersatzfreiheitsstrafe trifft vor allem sozial Deklassierte, hat der Journalist Ronen Steinke in seinem Buch „Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich“ dargelegt. Die meisten Ersatzfreiheitsstrafer sind verschuldet, zwei Drittel haben Alkohol- oder andere Drogenprobleme, 40 Prozent kommen aus der Obdachlosigkeit. Bei den Delikten geht es in rund einem Viertel der Fälle um Geldstrafen wegen Fahrens ohne Ticket, ein weiteres Drittel betrifft kleinere Diebstähle und Betrügereien. Hinzu kommen Drogendelikte.

Ampel diskutiert Entkriminalisierung von ticketlosem Fahren

Für Aufsehen sorgte jüngst der „Freiheitsfonds“ des Aktivisten Arne Semsrott, der rund 450.000 Euro Spenden einsammelte und damit für bisher 449 Schwarz­fah­re­r:in­nen die Geldstrafen bezahlte, so dass sie sofort aus der Haft entlassen wurden. Oft hatten Voll­zugs­be­am­t:in­nen den Freiheitsfonds auf Fälle hingewiesen, die ihnen ungerecht erschienen. Die Ampelkoalition will zwar diskutieren, ob das Fahren ohne Ticket (offiziell „Erschleichen von Leistungen“) entkriminalisiert wird. Doch dieses Thema steht erst nächstes Jahr auf Buschmanns Agenda, weil es dann auch um andere umstrittene Delikte gehen soll.

Im konkreten Gesetzentwurf soll zunächst die Ersatzfreiheitsstrafe zurückgedrängt werden, vor allem, indem der Umrechnungsmodus verändert wird. Bisher muss der Verurteilte pro Tagessatz nicht bezahlter Geldstrafe einen Tag ins Gefängnis. Künftig soll dies auf einen halben Tag reduziert werden, weil die Haft Menschen ungleich schwerer belaste als eine Geldstrafe. Bei der Umrechnung der Tagessätze in gemeinnützige Arbeit soll der Schlüssel ebenso halbiert werden. Dies dürfte es den Bundesländern erleichtern, flächendeckend „Schwitzen statt Sitzen“-Projekte anzubieten.

Schärfere Strafen für „geschlechtsspezifische“ Taten

Außerdem soll die Gerichtshilfe ermuntert werden, Personen, denen eine Ersatzfreiheitsstrafe droht, persönlich aufzusuchen, um zum Beispiel über Möglichkeiten der Stundung oder Ratenzahlung zu sprechen. Hier will der Bund aber nur an die Bundesländer appellieren und ihnen keine Vorschriften machen – wobei jeder vermiedene Hafttag den Bundesländern immerhin rund 140 bis 150 Euro einspart.

Der 85-seitige Gesetzentwurf des Justizministeriums, der jetzt in die Ressortabstimmung der Bundesregierung ging, enthält aber nicht nur Vorschläge zum Zurückdrängen der Ersatzfreiheitsstrafe, sondern auch noch andere Projekte. So will Buschmann bei den Regeln über die Strafzumessung ausdrücklich schärfere Strafen vorschreiben, wenn der Täter „geschlechtsspezifische“ Beweggründe und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Ziele verfolgte.

Betreffen könnte die Strafschärfung etwa den Mordversuch an einer Partnerin, die sich trennen wollte, oder die Beleidigung gegenüber einem Mitglied der LGBTQIA-Community. Früher genügte im Gesetz die Vorgabe, dass „menschenverachtende“ Motive strafverschärfend sind, nun werden immer mehr Gruppen ausdrücklich genannt.

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