Long Covid ist nicht schnell vorbei: „Alles gut?“ Nein, genauso scheiße!

Die Tochter der Kolumnistin ist seit Monaten so krank, dass sie nur liegen kann. Das wollen viele Leute nicht hören und erwarten Besserung von ihr.

Ein Kind in einem Schlafsack im Liegerollstuhl

Olivia in ihrem Liegerollstuhl Foto: Privat

Die Frage, die unsere Tochter Olivia am häufigsten gehört und am meisten frustriert hat, seitdem sie an Long Covid erkrankt ist, ist die nach ihrem Befinden. Die fleißigste „Geht es Dir heute endlich etwas besser?“-Fragerin war zuallererst ich. Jeden Morgen hoffte ich, sie könnte bald wieder in die Schule und ich also arbeiten. Doch Olivia konnte nicht liefern.

Bald mochte ich „Geht es Olivia denn jetzt langsam mal besser?“ selber nicht mehr hören. Und als ich in den Reaktionen der anderen meine eigene Fassungslosigkeit der vergangenen Monate wieder erkannte, bekam ich eine leise Ahnung, wie belastend es für Olivia sein musste, dauerhaft die Erwartungen ihres Umfeldes zu enttäuschen.

Es soll ja immer „Alles gut“ sein. Was für eine ätzende Floskel! Ob zur Begrüßung oder wenn jemand heulend auf dem Schulhof im Dreck liegt – „Alles gut?“ geht anscheinend immer. Auch mein Mann und ich benutzen es regelmäßig in Situationen, in denen offensichtlich nicht alles gut ist. Wenn mein Mann Heimwerkertourette hat und ich Hilfe anbiete, bedeutet „Alles gut“: Geh’ mir nicht auf den Sack!

Wenn ich demonstrativ mit viel zu vielen Sachen in der Hand durchs Haus hetze, dabei mein Telefon noch unterm Kinn, weil endlich die Krankenkasse zurückgerufen hat und Matthias fragt: „Alles gut?“, patze ich auch: „Alles gut“ zurück. Bei mir bedeutet es dann, dass ich kaum glauben kann, dass man echt kein Kinderkrankengeld für ein Kind über 12 Jahre bekommt, egal wie schwer oder lange es krank ist und dass sich Matthias bitte schuldig fühlen soll, weil ich aufräume.

Was fühlt eine 13-Jährige, wenn die Freundinnen am Telefon ständig „Na, wie geht’s? Alles gut?“ fragen, obwohl sie seit Monaten nicht aufstehen kann?

Ihr Bruder stellt keine blöden Fragen

Bei Olivias zweitem längeren Krankenhausaufenthalt ist dann auf jeden Fall ihr „Wie geht es Dir heute?“-Fass übergelaufen. Jeden Tag wurde es ihr von der Früh-, Spät- und der Nachtschicht entgegen geschrien. Olivia antwortete bald nur noch „schlecht wie immer“. Ein Fakt, den aber anscheinend selbst Profis schwer akzeptieren können. Olivia musste erleben, wie man ihr Leid systematisch ignorierte oder zu relativieren versuchte.

Jede dritte Krankenschwester hatte angeblich selbst Long Covid und wusste genau, wie Olivia sich fühlte ­– bettlägerig war allerdings keine von ihnen. Wenn Olivia dann zum tausendsten Mal ihre Erschöpfung beschrieb oder auf einer Skala von 1-10 einordnete, bekam sie zu hören, sich schlapp zu fühlen sei immerhin besser, als keinen Geruchs- oder Geschmackssinn zu haben oder dass es sicher bald vorbeigehen würde. Dabei waren wir ja nun gerade im Krankenhaus, weil es nicht vorbeiging. Es war eine schreckliche Erfahrung, an einem Ort, von dem wir uns verzweifelt Hilfe erhofft hatten, weder ernst genommen noch behandelt zu werden.

Olivias Bruder Willi stellt zum Glück nie blöde Fragen. Wenn er darf, legt er sich einfach zu ihr ins Pflegebett und nimmt sie in den Arm. Und für alle anderen ist die „Wie geht es Dir?“-Frage bei uns Zuhause verboten. Von Olivias Freundinnen sind ihr diejenigen tollen Mädels geblieben, die es aushalten auf „Alles gut?“ dauerhaft die Antwort „Nee, alles immer noch scheiße“ zu hören.

Und ganz unter uns: Ein bisschen besser geht es Olivia mittlerweile. Gestern konnten wir zum ersten Mal mit ihr im Liegerollstuhl zum Eiswagen vor der Tür und sie hat das Eis selbst gehalten! Mit enormem Einsatz vieler guter Menschen hat uns ein Arzt gefunden, der bereit war, Olivia zu behandeln. Doch selbst mit ihm will Olivia keinesfalls darüber sprechen, wie es ihr geht. Zu groß ist ihre Angst, die Welt könnte meinen, es sei wieder „Alles gut“ – denn das ist es nicht. Und sie muss auch gar nichts sagen. Es reicht, sie lächeln zu sehen.

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Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

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