Razzia vor Bundestagswahl: Nächste Ohrfeige für Staatsanwälte

Versuchte die Staatsanwaltschaft Osnabrück vor der Bundestagswahl 2021 Olaf Scholz zu schaden? Ein neues Urteil liefert weitere Indizien dafür.

Portrait

Olaf Scholz, damals Bundesfinanzminister Foto: Thomas Trutschel/imago

OSNABRÜCK taz | Dass eine Staatsanwaltschaft auf der Anklagebank sitzt, ist nichts Alltägliches. Vor allem nicht, wenn die Klägerin das Bundesjustizministerium (BMJV) ist. Am Mittwoch war es so, vor der 1. Kammer des Verwaltungs­gerichts Osnabrück. Und was in Sitzungssaal 2 verhandelt und entschieden wurde, hat es in sich, auch politisch.

Der Grund der Verhandlung ist brisant: Mediale Äußerungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück zu Lasten des BMJV im Zusammenhang mit einer Razzia im Finanzministerium. Und das womöglich, um zugunsten der Union Einfluss auf die Bundestagswahl 2021 zu nehmen.

Ulrich Schwenke, der Präsident des Verwaltungsgerichts Osnabrück und Leiter der Verhandlung, bemüht sich sichtlich, für Entspannung zu sorgen. Trotzdem wird es teils hitzig im Saal. Und schon nach wenigen Augenblicken zeichnet sich ab: Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ist in schwerster Bedrängnis. Das Ganze sei „unglücklich gelaufen“, räumt ihr Verteidiger ein, mehr­fach, kleinlaut. Es hilft ihm nichts. Am Ende ist klar: Das Ministerium siegt, auf ganzer Linie.

Es geht um den 9. September 2021. An diesem Tag, um 9 Uhr morgens, rückt die Staatsanwaltschaft Osnabrück in Berlin an, bei den Bundesministerien für Justiz und Finanzen, für eine Durchsuchung. Schwenke sagt „mit schwerem Geschütz“ sei das geschehen.

„Unwahre Tatsachenbehauptungen“

Besonders pikant ist der Zeitpunkt der Razzia: Sie fand kurz vor der Bundestagswahl statt, obwohl die Beschlüsse des Amtsgerichts Osnabrück, auf denen sie fußt, schon seit Anfang August vorlagen. Beide Ministerien waren SPD-geführt, das Finanzministerium durch Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Die Entscheider in Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Osnabrück stehen der CDU nahe. Auch das Niedersächsische Justizministerium ist CDU-geführt. Es hatte, ergab die Verhandlung, im Vorab Kenntnis von der rechtswidrigen Presseinformation. Politisches Kalkül?

Hintergrund der Razzia war eine seit Anfang 2020 laufende Ermittlung wegen des Verdachts auf Strafvereitelung im Amt bei der Zollkriminalamts-Spezialeinheit „Financial Intelligence Unit“ (FIU), die zum Finanzministerium gehört. Die Ministerien sind dabei nur Dritte, sie sind nicht beschuldigt. Sie signalisierten Kooperationsbereitschaft. Das normale behördliche Auskunftser­suchen war damals noch nicht ausgeschöpft. Es bestand keine Gefahr des Beweismittelverlustes, keine Gefahr der Verdunklung, zumal die Staatsanwaltschaft vieles von dem, was sie hier suchen wollte, längst in den Akten hatte. Trotzdem fuhren die Osnabrücker zur Razzia vor.

Und genau zu diesem Zeitpunkt beginnt das Presserechts-Problem, um das es in Saal 2 geht und das alles andere als die Petitesse ist, als das es auf den ersten Blick erscheint. Denn zeitgleich zur Ankunft vor den Ministerien gibt die Osnabrücker Staatsanwaltschaft eine Presseinformation heraus. Die suggeriert nicht zuletzt, die Durchsuchung sei schon gelaufen. Fakt ist aber: Es kommt gar nicht zur Durchsuchung. Die Ministerien, auch das der Justiz, geben alles Verlangte freiwillig heraus.

Ferner steht in der Presseerklärung, Ziel der Durchsuchungen sei es, herauszufinden „ob und gegebenenfalls inwieweit die Leitung sowie Verantwortliche der Ministerien sowie vorgesetzte Dienststellen in Entscheidungen der FIU eingebunden waren“. Es werde der Eindruck erweckt, so dazu das Gericht, als werde auch gegen leitende Verantwortliche im Ministerium wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt ermittelt. Das sei nicht der Fall gewesen.

Dabei gehe die Presseinformation „auch über den Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses hinaus“. Das Gericht wertet die Presseinformation in Teilen als rechtswidrig; sie enthalte „unwahre Tatsachenbehauptungen“.

Rechtswidrig sei auch die unwahre Tatsachenbehauptung der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, veröffentlicht am Folgetag: „So groß ist unser Vertrauen nicht, dass wir glauben, sie würden uns alles freiwillig herausgeben.“ Diese Aussage lege den Schluß nahe, das Ministerium verweigere die Amtshilfe. Das sei aber „schlicht falsch“. Das Gericht kommt hier dem Antrag der Klage nach und untersagt es der Staatsanwaltschaft, den „Spiegel“-Satz zu wiederholen und zu verbreiten. Insgesamt wertet es: Die Äußerungen der Staatsanwaltschaft hätten das Ansehen des BMJV geschädigt, die Behörde in ihrer Funktion beeinträchtigt.

Eine harte Niederlage für die Staatsanwaltschaft gegen das BMJV. Es ist nicht die erste. Anfang Februar 2022 hatte das Landgericht Osnabrück den Durchsuchungsbeschluss für die Diensträume des BMJV als „unverhältnismäßig“ aufgehoben.

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