Ein Opfer war einen Monat alt

Jüngst aufgedeckter Missbrauchs­fall in Wermelskirchen verstört

Von Simone Schmollack

„Ich bin erschüttert und fassungslos. Ein solches Ausmaß an menschenverachtender Brutalität und gefühlloser Gleichgültigkeit ist mir noch nicht begegnet, und so etwas habe ich mir auch nicht vorstellen können“, sagte der Kölner Polizeipräsident Falk Schnabel, als er am Montag über einen weiteren Fall sexuellen Missbrauchs berichtete. Ein Mann aus Wermelskirchen soll mindestens zwölf Kinder, zehn Jungen und zwei Mädchen, sexuell missbraucht haben. Die Hälfte der Kinder sei nicht älter als drei Jahre gewesen. Unter den Opfern sollen fünf Säuglinge sein, darunter ein gerade einmal einen Monat altes Baby, und auch Kinder mit Behinderung.

Der 44-Jährige habe sich, so die Er­mitt­le­r:in­nen, als Babysitter angeboten und war dann mit den Kindern in den Wohnungen der Eltern. Manche Kinder soll der Mann nur ein oder zwei Mal betreut haben, andere Kinder bis zu drei Jahre lang. Die Taten sollen zwischen 2005 und 2019 stattgefunden haben. Darüber hinaus hat die Polizei gewaltige Datenmengen sichergestellt: etwa 3,5 Millionen Bilder und 1,5 Millionen Videos, insgesamt 32 Terabyte Daten.

Der Tatverdächtige habe keinem Pädophilenring angehört, soll aber Verbindungen zum sogenannten Missbrauchsskandal in Münster von 2020 haben. Zwar reiht sich der Wermelskirchener Fall in eine „Serie“ von Missbrauchsfällen in Nordrhein-Westfalen ein, aber solche Fälle gibt es deutschlandweit. Erst am Montag präsentierte der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, die aktuellen Zahlen zu sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Demnach sind in Deutschland im Jahr 2021 mehr als 17.700 Kinder und Jugendliche Opfer sexualisierter Gewalt geworden. Die Zahl steigt seit Jahren. Auch weil die Gesellschaft mittlerweile sensibilisierter gegenüber Gewalt an Kindern ist. Zudem verfügt die Polizei über bessere Ermittlungsmethoden. Um Täter schneller und effizienter zu überführen und die Datenmengen im Netz effektiver auszuwerten, testet Niedersachsen gerade eine Software, die Bildmaterial sichtet und auswertet, sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstagmorgen dem Deutschlandfunk. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz könnten laut dem SPD-Politiker mehrere hundert Terabyte im Jahr überprüft werden.

Er­mitt­le­r:in­nen beklagen neben den Datenmengen vor allem die fehlende Vorratsdatenspeicherung. So kommen sie nicht an die Personen hinter IP-Adressen, die Aufschluss über die Tä­te­r:in­nen geben könnten. Viele Hinweise zu Missbrauch und Kinderpornografie im Netz kommen aus den USA. Bis die Informationen hierzulande ankommen und ausgewertet werden können, vergehen mehrere Tage. Verbindungsdaten werden aber nicht länger als sieben Tage gespeichert.

Die Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus begrüßt den Vorschlag der EU-Kommission für ein EU-Zentrum zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt. Das Zentrum soll unter anderem digitale Dienste in ihrem Kampf gegen Missbrauch im Netz unterstützen und Präventionshilfen anbieten. Konkret heißt das, dass die Anbieter das Missbrauchsrisiko, dem ihre Dienste ausgesetzt sind, selbstständig überwachen, bewerten und mindern müssen. Entsprechende Inhalte müssen demnach umgehend gelöscht und die Fälle gemeldet werden.

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