piwik no script img

Gesetz zur „Kinderpornografie“Nicht länger die Falschen jagen

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Die echten, harten Fälle sexueller Gewalt an Kindern gibt es zuhauf. Durch die Gesetzesschärfung blockieren nun aber Nicht-Fälle die Ermittler.

Die harten Fälle: Akten im Gerichtssaal vor dem Urteil im Missbrauchskomplex Wermelskirchen Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

U nter Ju­ris­t:in­nen war es von Anfang an umstritten, jetzt soll es erneut reformiert werden: Das Gesetz zu „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte“, das die Große Koalition im Sommer 2020 verschärft hatte, wird nun vermutlich abgeschwächt. Viele An­wäl­t*in­nen und Rich­te­r*in­nen lehnten ein verschärftes Gesetz damals unter anderem mit dem Argument ab, dass die im Gesetzbuch formulierten Strafen ausreichten, der Strafrahmen müsse nur ausgeschöpft werden. Der Grund für die aktuelle Novellierung ist jedoch nicht der unausgeschöpfte Strafrahmen, sondern eine Flut von Verfahren, die Polizei und Gerichte überlasten.

Denn betroffen von der Strafverschärfung sind einer Recherche des Politmagazins Panorama zufolge auch Personen, die weder kinderpornografisches Material besitzen noch es verbreiten, darunter Eltern, Lehrer:innen, Schüler:innen. Etwa eine Mutter, die auf ein Video aufmerksam wird, das in den sozialen Netzwerken der Kinder kursiert und Jugendliche beim Sex zeigt. Sobald die Ermittlungsbehörden davon Kenntnis haben, müssen sie ermitteln und diese Fälle vor Gericht bringen. Eingestellt werden wegen „Nichtigkeit“ dürfen die Fälle nicht – mit der Folge, dass sich Rich­te­r:in­nen und Polizeibeamte die Haare raufen, wenn wieder so ein „Verbrechen“ auf ihrem Tisch landet.

Das war damals – könnte man heute wohlwollend anmerken – von SPD und CDU sicher weder absehbar noch beabsichtigt. Insofern ist eine schärfere Differenzierung im Gesetzestext an dieser Stelle dringend notwendig. Denn die echten, harten Fälle sexueller Gewalt an Kindern gibt es ja nach wie vor. Und die gehören so hart bestraft, wie es das Gesetz vorsieht: je nach Fall mit bis zu 15 Jahren Höchststrafe. Das passiert allerdings nicht allzu häufig, Opfer erleben es vielfach so: Tä­te­r:in­nen erhalten geringe Strafen, viele werden freigesprochen, andere kommen mit einer Bewährungsstrafe davon.

Das ist ein Skandal – und ein schwer zu lösendes Problem: Denn die Beweiskraft bei sexueller Gewalt an Kindern schwächt sich mit jedem Jahr, in dem dieses Verbrechen nicht angezeigt wird, ab.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Sorry Frau Schmollack, aber "weder absehbar noch beabsichtigt" ist sicher nicht richtig.

    Absehbar war nämlich sehr wohl, dass Unbeteiligte bzw. zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort Anwesende in die Mühlen der Justiz geraten. Rufverlust inklusive, selbst nach erwiesener Unschuld.

    Und wenn man sachliche Kritik dermaßen taub in den Wind schlägt, wie damals geschehen, dann kann man m.E. auch von beabsichtigt sprechen.

    Aktuell steht ja das verpflichtende Scannen von Daten, die man auf dem eigenen Smartphone oder in der Cloud aufbewahrt, als mögliche Verpflichtung im Raum, (vorgeblich) um Kindesmissbrauch zu bekämpfen.

    Und auch hier halten sich die Entscheider die Ohren zu, um nicht hören zu müssen, dass die "Medizin" sehr wahrscheinlich mehr Nebenwirkungen als Heileffekte zeigt.

    Da die großen Anbieter dies in ihren Cloud bereits praktizieren, lassen sich die ersten Kollateralschäden bereits besichtigen:

    www.heise.de/hinte...r-aus-7324608.html

    Kindesmissbrauch ist ein besonders strafwürdiges Verbrechen. Deswegen sollte man die Verfolger besser ausstatten. Aber es ist billiger und bei der Wahlbürgerschaft auch sicher gern gesehen, einfach ohne Blick auf die Risiken symbolträchtig an der Gesetzesschraube zu drehen.

  • Natürlich war es für CDU und SPD absehbar; die Kommentatorin schreibt ja selbst, dass davor eindringlich gewarnt wurde.

  • " Eingestellt werden wegen „Nichtigkeit“ dürfen die Fälle nicht. … Das war damals … von SPD und CDU sicher weder absehbar noch beabsichtigt."



    Genau das wurde von allen Experten vorhergesagt, welche die Regierung zu dem Gesetz beraten haben.

    Interessant auch der Kommentar von Udo Vetter im LawBlog.de/archives/2023/03/13/



    "Hauptkritikpunkt ist, dass schon der Besitz eines einzigen strafbaren Bildes zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr führt. … Aufgefallen ist irgendwann auch, dass die Berufsgruppe der Beamten besonders betroffen ist. Bei der nun zwingenden Mindeststrafe müsste ein Beamter entlassen werden, überdies verlöre er seine Pensionsansprüche."

  • Was wirklich ärgerlich an diesem Thema ist: alle Experten einschließlich der Kinderschützer haben genau vor dieser Situation gewarnt. Die damalige Justizministerin hat erst die Verschärfung auch abgelehnt. Man hatte aber offenbar Angst vor Boulevardmedien oder dass irgendeine Partei hier auf populistische Reflexe setzen könnte und hat dennoch die Verschärfung gegen diesen Rat beschlossen.