Die Wut der Opfer wächst

Über den Täter, der in einer Grundschule in Texas 19 Kinder erschoss, ist noch wenig bekannt. Die Debatte über US-Waffengesetze wird schärfer

Entsetzen unter Angehörigen und Umstehenden und die Frage: Wie oft noch? Foto: Marco Bello/reuters

Aus New York Eva Oer

Stolz steht Elihana Cruz Torres, 10, im Trikot da, den Softballschläger über die rechte Schulter gelegt. Lexi Rubio, ebenfalls 10, legt den Kopf schief, während sie in die Kamera grinst. José Flores strahlt auf dem Foto, in den Händen hält er eine Urkunde für gute Noten.

Drei von 19 Kindern, die am Mittwoch nicht mehr von ihrer Grundschule nach Hause kamen. Ihre Fotos und die anderer Opfer tauchen am Tag nach dem Massaker in der texanischen Kleinstadt Uvalde auf, bei dem ein erst 18-jähriger Mann die Robb Elementary School stürmte und neben den Schü­le­r*in­nen auch zwei Lehrerinnen erschoss.

Nach und nach gelangen am Mittwoch mehr Details zur Katastrophe an die Öffentlichkeit. Schreckliche Details wie dieses: Medienberichten zufolge mussten verzweifelte Eltern beim Warten auf Nachricht von ihren Kindern DNA-Proben abgeben, damit die Opfer überhaupt identifiziert werden konnten.

Uvalde hat rund 16.000 Ein­woh­ner*in­nen, liegt etwa 34 Kilometer von Mexiko entfernt und ist Heimatort des oscarprämierten Schauspielers Matthew ­McConaughey – und ab jetzt für immer verknüpft mit dem Schul­amok­lauf, der in den USA die bislang zweitmeisten Todesopfer forderte. Nur in der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown, Connecticut, waren 2012 mit 20 Schü­le­r*in­nen und sechs Erwachsenen mehr Menschen gestorben.

Und wieder einmal flammt der Streit über strengere Waffengesetze auf. „Wann in Gottes Namen werden wir der Waffenlobby die Stirn bieten?“, hatte der demokratische Präsident Joe Biden schon am Dienstagabend im Weißen Haus gefragt.

Der Täter von Uvalde, von der Polizei als Salvador R. identifiziert, hatte im März zwei Waffen und passende Munition ganz einfach im Geschäft gekauft – eines der Sturmgewehre direkt am Tag nach seinem 18. Geburtstag, heißt es. „Die Vorstellung, dass ein 18-Jähriger in ein Geschäft gehen und Kriegswaffen kaufen kann, die zum Töten entwickelt und vermarktet werden, ist einfach falsch“, sagte Präsident Biden am Mittwoch. Er sei „angewidert und müde“. Ein Bier in der Bar darf man in den USA erst mit 21 Jahren bestellen.

Der Streit über schärfere Gesetze eskalierte auch auf einer Pressekonferenz am Mittwochnachmittag in Uvalde, wo der republikanische Gouverneur von Texas, Greg ­Abbott, zum Geschehen sprach. Er hatte die Tat als „unerträglich“ und „inakzeptabel“ bezeichnet und den Tatvorgang erklärt: Demnach hatte der Täter zunächst seiner Großmutter ins Gesicht geschossen. Danach sei er, den bisherigen Ermittlungen zufolge, im Auto geflohen und habe dabei einen Unfall in unmittelbarer Nähe der Grundschule gehabt, als er in einen Graben fuhr.

Durch eine Hintertür sei R. dann gegen 11.30 Uhr in die Schule gelangt, wo er sich in einem Klassenzimmer verbarrikadierte und losschoss. Das Blutbad endete nach Angaben eines Polizeivertreters, als ein Team der Border Patrol den Schützen tötete.

Abbott hatte gerade etwa 15 Minuten gesprochen, als sein Widersacher Beto O’Rourke von der Demokratischen Partei nach vorne an die Bühne trat. „Das geht auf Ihre Kappe!“, rief er dem Gouverneur zu, den er im November bei den Gouverneurswahlen ersetzen will. „Sie unternehmen nichts.“ Be­hör­den­ver­tre­te­r*in­nen und Poltiker*innen, die mit Abbott auf dem Podium saßen, reagierten mit Wut und Beschimpfungen. Ein „kranker Scheißkerl“ sei O’Rourke, sagte Uvaldes republikanischer Bürgermeister Don McLaughlin.

Für die Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen ist klar: Mit den laschen Waffengesetzen in Texas hat das Massaker nichts zu tun. Greg Abbott hatte mit Erleichterungen in der Vergangenheit keine Problem: Erst im Juni vergangenen Jahres unterzeichnete er ein Gesetz, mit dem das Tragen von Waffen für Bür­ge­r*in­nen ab 21 Jahren ohne Lizenz in der Öffentlichkeit möglich wurde.

Am Mittwoch pochte Abbott nun darauf, wie unvorhersehbar das Verhalten des Täters gewesen sei. Er habe lediglich 30 Minuten vor Ankunft in der Schule auf Facebook in drei Beiträgen zu posten angefangen, was er vorhabe. Ein Sprecher des Facebook-Mutterkonzerns Meta erklärte allerdings später, es habe sich um private Nachrichten gehandelt.

Medienberichten zufolge hatte R. einer 15-Jährigen in Deutschland Nachrichten geschickt, in denen er über seine Pläne sprach. Die 15-Jährige soll seit Anfang Mai in Kontakt mit dem Schützen gestanden haben, wie der Sender unter Berufung auf Chatprotokolle und ein Gespräch mit dem Teenager aus Frankfurt am Main berichtete. Der Schütze schickte dem Sender zufolge auch Videos von sich an das Mädchen. „Er sah glücklich aus und fühlte sich wohl im Gespräch mit mir“, zitierte CNN das Mädchen. Auch soll der Täter, der ohne Abschluss von der Schule gegangen sein soll, seinen Kol­le­g*in­nen in einem Fast-Food-Restaurant Angst gemacht haben, schreibt die New York Times mit Verweis auf Äußerungen einer Kollegin.

Vorstrafen habe der Täter keine gehabt, mögliche Jugendstrafen seien bisher nicht bekannt, psychische Problem auch nicht, sagte Abbott. Doch genau darauf zielte der Gouverneur: „Jeder, der jemanden erschießt, hat eine psychische Herausforderung, basta“, erklärte er energisch auf eine Frage aus dem Pressepulk. Die Gesetze, nach denen sich ein 18-Jähriger eine Waffe kaufen könne, gebe es seit Jahrzehnten – was sich aber geändert habe, sei die psychische Verfassung der Menschen.

Mit dem Pochen auf bessere Versorgung von psychischen Krankheiten allein wird er die Wut und Trauer von Opfern und Angehörigen kaum stillen können. „Das ist dem, was in Sandy Hook passiert ist, einfach unheimlich ähnlich …“, sagte Nicole Hockley von der Organisation Sandy Hook Promise dem Sender MSNBC. Sie sei seit den Nachrichten über den Amoklauf in einem Schockzustand gewesen. „Es ist, als wäre mein Herz noch einmal aufgerissen worden.“ Hockleys Sohn Dylan war bei dem Attentat auf die Grundschule vor fast zehn Jahren ermordet worden, seitdem hat sie mit anderen Hinterbliebenen die Initiative gegründet, die unter anderem für neue Waffengesetze plädiert.

„Es ist, als wäre mein Herz noch einmal aufgerissen worden“

Nicole Hockley

„Fordern Sie Ihre gewählten Ver­tre­te­r*in­nen auf, jetzt eine vernünftige Gesetzgebung zu verabschieden, mit der die Sicherheit und das Leben von Kindern geschützt wird“, schrieb Hockley in einem Statement mit ihrem Co-Gründer in Reaktion auf das Attentat von Uvalde. „Das kann unter Wahrung des zweiten Verfassungszusatzes geschehen.“

Dieser zweite Verfassungszusatz garantiert das Recht auf Waffenbesitz. Aus dem 18. Jahrhundert stammend, dient er Konservativen in den USA heute noch als Rechtfertigung dafür, jedwede strengeren Regeln vehement abzulehnen.

Viele Be­für­wor­te­r*in­nen von schärferen Gesetzen fordern zum Beispiel, sogenannte Backgroundchecks auszuweiten, also eine genaue Überprüfung der Kun­d*in­nen bei ausnahmslos allen Waffenkäufen anzusetzen. Doch eine entsprechende ­Gesetzesinitiative hatte zwar im März 2021 das Reprä­sen­tan­t*in­nen­haus passiert, im ­Senat ­jedoch sieht es dafür düster aus.

Der Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, brachte am Mittwoch zwar zwei Vorlagen für verschärfte Hintergrundüberprüfungen potenzieller Waffenkäufer ein. Aber er wies direkt darauf hin, dass schon vorangegangene Vorstöße am ehernen Widerstand der Republikaner gescheitert waren. Im Repräsentantenhaus kündigten die Spitzen der Demokraten ebenfalls einen neuen Anlauf für Verschärfungen an, die aber von der Opposition umgehend als zu übergriffig und weitreichend kritisiert wurden.

Während die Kleinstadt Uvalde trauert, will die Waffenlobbyorganisation National Rifle Association (NRA) ausgerechnet im 450 Kilometer entfernten Houston bei ihrem jährlichen Treffen „Freiheit, Schusswaffen und den zweiten Verfassungszusatz“ feiern, wie sie auf ihrer Website angibt. Angekündigte Sprecher bei diesem „Wochenende voller Freiheit für die ganze Familie“ sind Ex-Präsident Donald Trump sowie der texanische Senator Ted Cruz und Gouverneur Abbott.

meinung + diskussion