Sondervermögen der Bundeswehr und die EU: Gefürchtete Alleingänge

Deutschlands Verbündete begrüßen das Bundeswehr-Sondervermögen. Doch es bleibt auch Skepsis und Kritik, weil Berlin zu Sonderwegen neigt.

Ein Hubschrauber der Luftwaffe steht auf einem Feld

Ein Hubschrauber der Bundeswehr mit Hydraulikproblemen auf dem Acker Foto: Luftwaffe/dpa

„Zeitenwende“ ist blitzartig zum sicherheitspolitischen Konzept des Jahres geworden. Die Ankündigung eines Umbruchs in der deutschen Verteidigungsstrategie ist auch im EU-Ausland zu einem urdeutschen politischen Lehnwort geworden, wie einmal „Spitzenkandidat“ oder „Ostpolitik“.

Die klare Haltung der Bundesregierung wurde überwiegend begrüßt, und zwar aus nachvollziehbaren Gründen: Ohne Deutschland ist eine halbwegs funktionierende europäische Verteidigung nicht denkbar, und der desaströse Zustand der Bundeswehr wurde im Ausland meist als Folge des deutschen Sparkurses gesehen.

Zugleich fragen sich viele, wie sich ein Wiederaufbau der Bundeswehr auf das politische Gleichgewicht der EU auswirken wird. Schließlich hat Berlin jahrelang die internationalen Effekte der eigenen Wirtschaftspolitik kleingeredet. Was, wenn Deutschland auch diesmal ohne Rücksicht auf andere europäische Partner handelt? Die Vorstellung ist banal und doch ernüchternd, und zwar genau weil sie anders als die Wiedergeburt des preußischen Militarismus auch teilweise realistisch wirkt.

In Hintergrundgesprächen wird der Frust von Verbündeten offen geäußert, so meinte etwa ein britischer Diplomat in Bezug auf die Causa Iron Dome unverblümt: Die Beschaffung des israelischen Systems zum Schutz gegen Kurzstreckenraketen wäre in erster Linie scheinheiliger Aktionismus gewesen und hätte die Einheit der integrierten Nato-Luftverteidigung gefährdet.

Französisches Misstrauen

Der Kauf stellte sich schließlich als Bild-Dunst heraus (die Bundesrepublik wird das US-israelische Arrow-3-System kaufen), doch das ändere nichts am Gefühl, Berlin handle eher demonstrativ als strategisch, und nur mit innenpolitischem Blick. Dabei ist zu bedenken, dass ein wirksames Upgrade des Raketenschutzes nur in Partnerschaft mit den Anrainerstaaten Russlands vorstellbar ist.

Bei der Ausgabe des 100-Miliarden-Fonds wird es höchstwahrscheinlich zu vielen solcher „Quick Fixes“ kommen – es ist schließlich auch Sinn und Zweck des Sondervermögens, die kaputtgesparte Bundeswehr schnell zu sanieren. Und doch: Im Umgang mit den europäischen Alliierten sind Wahrnehmungen genauso wichtig wie Taten. Unklarheit über die mittelfristige Ausstattung des regulären Verteidigungsetats und andere offene Fragen zur Ausgabenplanung helfen auch nicht, Verdächtigungen einer national-protektionistischen Politik zu widerlegen.

Französische Sicherheitsexperten und Entscheidungsträger sprechen ein solches Risiko auch offen an. Dabei passen die französischen Erwartungen auch zu einer Auffassung der Verteidigungsausgaben als industriepolitisches Instrument. Aus Pariser Sicht ist es überhaupt nicht auszuschließen, dass Deutschland die „Zeitenwende“ als Booster für die ineffiziente deutsche Rüstungsindustrie benutzen will.

Außerdem könnte sich Deutschland von der strategischen Wahl zwischen Paris und Washington im Zweifel freikaufen, wie bei der Beschaffung des Kampfjets F-35. Mitglieder des Verteidigungsausschusses der Assemblée nationale fragen sich, ob eine ertüchtigte deutsche Industrie nicht das ausgehandelte Gleichgewicht in gemeinsamen Projekten wie FCAS infrage stellen würde.

Ambivalente Italiener

Das wäre im Zweifel auf Kosten der französischen Wirtschaft, die bis jetzt den Löwenanteil der Aufträge übernommen hat. Für Unternehmen ist die Zukunft eines konsolidierten europäischen Rüstungsmarkts ein Nullsummenspiel, und der französische Staat wäre nie imstande, mehr als ein paar Milliarden Euro zur Unterstützung von Dassault und anderen Firmen bereitzustellen.

Die italienische Perspektive ist indes ambivalenter. Einerseits befürwortet man ein stärkeres deutsches Engagement, und zwar gerade auch als Gegengewicht zu Paris. Deutsche Investitionen könnten auch neue bilaterale Kooperationsprojekte ermöglichen, vor allem zur Entwicklung neuer Panzermodelle und im Marinebereich. Anderseits fürchtet man sich auch in Italien vor deutschen Alleingängen und einer möglichen Abwertung von EU-Verteidigungsinitiativen.

Das würde Rom auch die nötige politische Deckung für höhere Verteidigungsausgaben wegsprengen. Aktuell steckt Italien in einer Debatte zum Nato-2-Prozent-Ziel, wobei, anders als in Deutschland, die Stärkung von EU-Verteidigungsprojekten ein gemeinsamer Nenner von Befürwortern und Gegnern höherer Rüstungsausgaben ist. Außerdem muss man bedenken, dass in Italien konservative und euroskeptische Sicherheitsexperten die öffentliche Debatte erheblich prägen. Manche reden sogar von einer deutschen „hegemonialen Ambition“ und einem verdeckten Konflikt mit den USA um die Vorherrschaft in Europa.

Die Ängste deutscher Verbündeter

Klar, europäische Skepsis gegenüber der deutschen Zeitenwende basiert auf einem oberflächlichen Verständnis der deutschen Verteidigungspolitik. Konkret gibt es kaum Zweifel, dass sich Deutschland weiter an den zahlreichen bereits bestehenden EU-Verteidigungsprojekten beteiligen wird. Diese Selbstverständlichkeit braucht jedoch auch ein klares, wiederholtes Bekenntnis sowie eine Verpflichtung, einen großen Teil des Wehretats für europäische Projekte einzusetzen.

Eine europäische Perspektive ist besonders nötig. Man bedenke nur, wie wenig die Veröffentlichung des strategischen Kompasses der EU in den deutschen Medien diskutiert wurde. Man kann die Ängste der Verbündeten in dieser gefährlichen Phase nicht ignorieren. Deutsche For­sche­r:in­nen und die Führungsetagen des BMVg müssten proaktiv Partner im EU-Ausland zu diesem Thema ansprechen.

Eine lebhaftere Vernetzung ist ohnehin dringend nötig. Aus- und Aufrüsten ist per se kein Sicherheitskonzept, und ein Mangel an Koordinierung wäre fatal – und zwar nicht nur im Sinne einer Ressourcenverschwendung, sondern auch für die nachhaltige Entwicklung der europäischen Sicherheitsordnung.

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Michelangelo Freyrie forscht zu deutscher Außenpolitik und europäischer Sicherheit. Er studierte an der Universität Bocconi (Mailand) und der Hertie School of Governance in Berlin. Er schreibt für die italienische Tageszeitung „Domani“ und das Nachrichtenportal Linkiesta.

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