Fossile vs. grüne Inflation: Ökowende treibt Preise kaum

Vor der russischen Invasion diskutierten Volks­wir­t:in­nen über eine „grüne Inflation“. Doch die fossilen Energien sind das eigentliche Problem.

Eine alte Aral-Benzinzapfsäule

Seit der russischen Invasion sind die Benzinpreise stark gestiegen Foto: imago

Greenflation versus Fossil­flation – worum geht es?

Ihren Höhepunkt erreichte die Debatte Mitte Februar. Die hohen Inflationsraten hatten die Öffentlichkeit alarmiert, Wirt­schafts­for­sche­r:in­nen und Po­li­ti­ke­r:in­nen suchten Erklärungen. Populär wurde der Begriff „grüne Inflation“ und mehr noch das entsprechende englische Kofferwort „Greenflation“. Damit gemeint ist, dass die sozial-ökologische Transformation – neben den bekannten Effekten aus der Pandemiebekämpfung und den Lieferengpässen – für einen wesentlichen Teil der Teuerung verantwortlich sein soll. „Das wird ein gewaltiger Kostentreiber für die Wirtschaft und befeuert die Inflation“, machte etwa Hans Werner Sinn Stimmung, Ex- Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo. Ruchir Sharma, Chefanalyst der US-Investmentbank Morgan Stanley, sprach sogar vom „Entgleisen der Klimapolitik“.

Dagegen verwehrte sich etwa Marcel Fratzscher. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sagte: „Der Klimawandel an sich und auch durch ihn ausgelöste Handelskonflikte stellen die größte Bedrohung für die Preisstabilität dar.“ Mauricio Vargas, Finanzexperte der Umweltorganisation Greenpeace, erklärte: „Grüne Technologien spielen nur eine ganz marginale Rolle bei der Preisbildung, das wahre Problem sind die fossilen Energieträger und unsere Abhängigkeit davon.“ Statt von einer „grünen“ müsse man von einer „fossilen Inflation, einer Fossilflation,“ sprechen. Energieexpertin Claudia Kemfert vom DIW geht so weit zu sagen: „Investitionen ins Energiesparen senken Energiekosten. Die Kosten für neue Technologien wie Elektromobilität sinken kontinuierlich; sie wirken also nicht inflationär, sondern allesamt deflationär.“

Was sind die Fakten?

Wenn es um die „grüne Inflation“ geht, werden in der Regel zwei Faktoren genannt: steigende Preise für bestimmte Rohstoffe und der CO2-Preis auf fossile Energieträger. Tatsächlich werden für den Ausbau der Erneuerbaren Energie, für Digitalisierungsmaßnahmen und E-Mobilität diverse Mineralien und Seltene Erden gebraucht, die schon jetzt teuer sind und bei steigender Nachfrage noch teurer werden. Es geht um Kobalt und Lithium für die Batterieproduktion oder Platin und Iridium für die Herstellung von Wasserstoff. Die Boston Consulting Group hat in einer Studie untersucht, welche Preiseffekte ihr Einsatz in acht besonders rohstoffintensiven Branchen hat: Sie sind überschaubar. Ein Auto etwa, das aus grünem Stahl hergestellt wird, ist nur 2 Prozent teurer als eins aus herkömmlichem Stahl. Eine große Unwägbarkeit sind aber geopolitische Entwicklungen, die den Zugang zu den Rohstoffen erschweren oder verteuern können.

Einfacher verhält es sich mit dem CO2-Preis. 2021 kostete der Ausstoß einer Tonne CO2 25 Euro, aktuell 30 Euro, bis 2025 steigt der Preis schrittweise weiter, dann wird neu entschieden. Laut einer Studie der KfW Research trug der CO2-Preis 2021 direkt 0,63 Prozentpunkte zur allgemeinen Inflationsrate bei, für die Jahre bis 2027 rechnen die Au­to­r:in­nen mit einem kumulierten Anteil von 1,49 Prozentpunkten. Nicht eingerechnet ist dabei, dass der CO2-Preis ja auch wirkt, also etwa weniger klimaschädliche Produkte konsumiert und weniger in entsprechende Anlagen investiert wird: Inklusive solcher Rückkopplungseffekte, so die Autor:innen, dürfte der Aufschlag die Teuerungsrate laut KfW bis 2027 lediglich um 0,15 Prozentpunkte erhöhen.

Welchen Einfluss hat der russische Angriff auf die Ukraine auf die Debatte?

Seit dem 24. Februar sind die „Greenflation“-Warner sehr ruhig geworden. Denn jetzt zeigt sich, dass das eigentliche Problem die Abhängigkeit von den fossilen Energien ist – und das nicht nur wegen ihrer Klimaschädlichkeit. Weil die alte Bundesregierung die Energiewende so wenig ambitioniert umgesetzt hat, dass Deutschland weiterhin Öl und Gas importieren muss, können die wenigen Lieferanten – wie Russland – nun die Preise quasi diktieren. Schon 2021 hatte sich der Gaspreis vervierfacht, in der Folge stiegen die Börsenstrompreise, der Einsatz von teurem Kohlestrom wurde attraktiver – und das trieb dann wieder den Preis für CO2-Emissionsrechte nach oben.

Da der Krieg und die Sanktionen gegen Russland noch andere Verwerfungen mit sich bringen, fürchten nicht wenige Öko­no­m:in­nen nun sogar eine Stagflation, also eine hohe Inflation mit gleichzeitiger Rezession – eine womöglich lange andauernde Situation mit vielen Firmenpleiten und Arbeitslosen. Wie schlimm es wird, hängt vom Fortgang des Krieges und den weiteren Sanktionen ab. Einige Öko­no­m:in­nen rechnen mit einer 7 vor dem Komma.

Bei einem vollständigen Öl- und Gas­importstopp aus Russland, warnen Wirtschaftsverbände wie Gesamtmetall, könne die Inflationsrate sogar zweistellig werden. Rudolf Hickel, einer der Gründer der Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik, sagt: „Jetzt haben wir ein Problem, das alle anderen in den Hintergrund drängt.“ Auch Greenpeace-Finanzexperte Vargas findet: „Die fossile Inflation zeigt ihre hässliche Fratze und wir sind ihr ausgeliefert.“ Er plädiert jedoch dafür, die derzeit so offensichtliche Erkenntnis, dass die fossile Abhängigkeit weder für das Klima noch für die Versorgungssicherheit gut ist, zu nutzen. „Wir müssen jetzt den Umbau mit Vehemenz vorantreiben und auf keinen Fall den Braunkohlebergbau oder Atomkraftwerke wieder hochfahren.“

Welche Vorschläge gibt es, um die Inflation in den Griff zu bekommen?

Monetaristen wie Ex-Ifo-Chef Sinn weisen in Richtung der Europäischen Zentralbank als Hüterin der Preisstabilität. Sie fordern ein schnelles Ende der lockeren Geld- und Niedrigzinspolitik, mit der die EZB die Wirtschaft zuletzt in der Euro- und anschließend der Pandemiekrise unterstützt hat. Genau davor warnen aber eher keynesianisch orientierte Ökonomen wie Hickel. „Die EZB kann nichts gegen die Teuerung tun“, sagt er. „Sie kann die Inflation nur über die Geldmenge steuern – wir haben aber aktuell nicht das Problem, dass zu viel Geld unterwegs ist, wir haben eine kosteninduzierte Inflation.“

Eine Kehrtwende in der Zinspolitik würde also hier nichts helfen, dafür aber die Konjunktur abwürgen. Die EZB habe schon „genau das richtige gemacht“, findet Greenpeace-Experte Vargas: Indem sie angekündigt habe, dass sie die Anleiheaufkaufprogramme langsam auslaufen lassen werde, habe sie signalisiert, „dass sie bereit ist, etwas für die Preiswertstabilisierung zu tun“. Wie Hickel hält er es jedoch für wichtig, dass die EZB sich weiterhin in Richtung grüne Geldpolitik orientiere. „Beim Kauf von Firmenanleihen sollte sie klimafeindliche Unternehmen diskriminieren“, sagt Vargas. „Sinnvoll sind auch Risikoabschläge bei der Refinanzierung von klimaschädlichen Konzernen.“

Welche Rolle kommt der Finanz- und Steuerpolitik zu?

Von der Bundesregierung hängt nun viel ab: Sie kann die sozialen Kosten der steigenden Preise abfedern. Dazu liegen eine Reihe Vorschläge auf dem Tisch. Teils würden sie am meisten diejenigen entlasten, die besonders viel konsumieren – wie eine Spritpreisdeckelung, eine höhere Pendlerpauschale oder eine Mehrwertsteuersenkung. Teils sollen sie vor allem Menschen unterstützen, die ohnehin wenig Geld haben, wie eine an Wohngeld gekoppelte Energiezulage. Und teils geht es darum, mit Pro-Kopf-Prämien alle gleichermaßen zu entlasten.

„Vor allem Preissubventionen wie der Tankrabatt oder eine Senkung der Mineralölsteuer ändern jedoch nicht das Energiesystem und sind deshalb zumindest nicht nachhaltig, im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv“, sagt Greenpeace-Experte Vargas. „Dann nämlich, wenn ein hoher Energieverbrauch belohnt wird.“ Er wünscht sich deshalb „einen echten Booster für die Energiewende“, nachdem der Großteil der von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kürzlich versprochenen „200 Milliarden Euro für das Klima“ tatsächlich keine neuen, sondern bereits für den sozial-ökologischen Umbau eingeplante Mittel waren.

Vargas warnt davor, sich vom Umstieg von russischem auf US-amerikanisches Frackinggas zu viel zu versprechen: „Systematisch ändert das nichts. Es ist immer noch klimaschädliche Energie und die Abhängigkeit bleibt – was ist zum Beispiel, wenn sich Fracking durch entsprechenden politischen Willen ernsthaft verteuert?“, sagt Vargas. „Wir sollten also nicht kopflos Kapazitäten und Strukturen aufbauen, die in 5 Jahren wieder überflüssig sind, wo dann aber ein Rückbau extrem schwer durchzusetzen ist.“ Wie auch DIW-Ökonomin Kemfert empfiehlt er, die Energiewende zu beschleunigen – und gleichzeitig Energie zu sparen.

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