Russenfeindlichkeit in Georgien: Angefeindet und diskriminiert

Immer mehr Rus­s*in­nen verlassen ihr Land und lassen sich in Georgien nieder. Doch häufig werden sie dort skeptisch und ablehnend empfangen.

Menschen stehen mit ukrainischen und georgiscgen Flaggen vor dem Parlament in Tiflis

Solidarität mit Kiew: Demonstration zur Unterstützung der Ukraine am 4. März in Tiflis Foto: dpa

TIFLIS taz | „So etwas gab es noch nie“, sagt Walerija. Sie betreibt ein Familiencafé, dass sich im Zentrum der georgischen Hauptstadt Tiflis befindet. An Wochentagen war es hier immer leer. Doch seit dem Beginn des Angriffskrieges Moskaus gegen die Ukraine drängen sich hier Ankömmlinge aus Russland.

Auch heute gibt es keinen Platz. An einem Tisch sitzen ein Mann, eine Frau und ein Kind. Sie sprechen Russisch, mit einem Moskauer Akzent. Neben ihnen stehen zwei Koffer auf dem Boden.

Seit einige Tagen hat sich das Leben in Tiflis verändert. Vor Banken und Niederlassungen von Mobilfunkanbietern stehen viele Menschen an. Die Nachfrage nach Wohnraum explodiert. Eigentümer von Immobilien berichten, hunderte Menschen, die aus Russland gekommen sind, wollten eine Wohnung mieten – für ein halbes Jahr oder länger.

Doch die Behörden bestreiten, dass es mehr Ankommende gebe. Laut Angaben des georgischen Wirtschaftsministers Lewan Divitaschwili seien seit Jahresbeginn 25.000 Personen gekommen – so viele wie im gleichen Zeitraum 2020 und damit noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie.

Keine kritischen Fragen

Walerija ist Moskauerin und lebt bereits seit sieben Jahren in Tiflis. Sie ist in einer Familie überzeugter Kommunisten aufgewachsen. Sie erinnert sich noch gut daran, dass ihr von Kindheit an beigebracht worden war, keine kritischen Fragen zu stellen. Als sie 18 Jahre alt wurde, begann sie mit ihrem Mann Europa zu bereisen.

„Mir fiel immer stärker auf, dass meine Nachbarn und Bekannten nur die Sätze wiederholten, die im Fernsehen zu hören waren. Und da wurde mir klar: Entweder werde ich genauso oder ich muss weg“, erzählt Walerija. Ein Elternteil ihres Mannes stammt aus Georgien, und da bot sich die Südkaukasusrepublik für eine Flucht geradezu an.

Erst in Tiflis erfuhr sie Genaueres über das Jahr 2008 – als russische Truppen in Georgien einmarschierten und Moskau die Unabhängigkeit der beiden abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien anerkannte. Dennoch fühlte sie sich alsbald zu Hause.

„Was mich hier immer fasziniert hat, ist der Umstand, dass Menschen und Politik nicht in einen Topf geworfen werden. Mir gegenüber haben sich immer alle normal verhalten, menschlich und ohne mir einen Stempel aufzudrücken. Das ist wahnsinnig wertvoll“, sagt sie.

Ein anderes Leben

Doch seit Russland die Ukraine mit Krieg überzieht, hat sich Walerijas Leben verändert. Zum ersten Mal seit sieben Jahren hat sie Angst und fühlt sich unwohl, weil sie Russin ist. Sie persönlich habe noch keine Probleme gehabt, erzählt Walerija. Doch Bekannte von ihr seien in einer Apotheke nicht bedient worden, als die Mitarbeiter mitbekommen hätten, dass sie Rus­s*in­nen seien. Auch viele Wohnungsbesitzer lehnten es ab, an Rus­s*in­nen zu vermieten.

Tata Berija, Menschenrechtlerin aus Batumi, glaubt, dass die Behörden durch ihre Passivität die Welle von Protesten und Aggressionen gegen Menschen aus Russland provoziert hätten.

Georgien hat keine Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Regierungschef Irakli Garibaschwili hatte am 28. Februar erklärt, dass diese Maßnahme sinnlos sei, da sie den Krieg nicht stoppen könne. Georgien liefert der Ukraine auch keine Waffen.

Seit dem 24. Februar versammeln sich tausende Menschen vor dem Parlamentsgebäude im Zentrum von Tiflis. Als Antwort darauf beantragte Georgien, wie zuvor die Ukraine, die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. „Dies ist das Einzige, was die Staatsmacht getan hat, um auf der richtigen Seite der Geschichte zu bleiben“, sagt Tata Berija.

Drei Forderungen

Jetzt erheben die De­mons­tran­t*in­nen drei Forderungen: Die Einführung einer Visapflicht für Russ*innen, ein Verbot russischer Medien und die Schließung des Luftraums für russische Flugzeuge. Ver­tre­te­r*in­nen der Privatwirtschaft erlassen mittlerweile eigenmächtig Vorschriften in Bezug auf russische Bürger*innen. Eine der größten Privatbanken verweigert Rus­s*in­nen die Eröffnung eines Kontos. Eine andere Bank macht dafür die Unterzeichnung eines Dokuments zur Bedingung, das die russische Besatzung verurteilt.

Die Organisation von Tata Berija hilft schon seit Jahren dabei, Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t*in­nen und Jour­na­lis­t*in­nen aus postsowjetischen Staaten herauszuholen.

Am vergangenen Sonntag wurde Michail Fischman, Journalist bei dem russischen oppositionellen Fernsehsender Doschd, die Einreise nach Georgien verweigert. Tata beklagt, dass das niemanden kümmere. Mittlerweile gebe es sogar unter georgischen Men­schen­recht­le­r*in­nen keine Solidarität mehr mit ihren russischen Kolleg*innen.

Das mache ihr Angst. Sie befürchtet, dass der Krieg und der Zustrom von Flüchtlingen aus Russland nationalistische und fremdenfeindliche Stimmungen in Georgien verstärken. „Hass und Diskriminierung sind schlecht. Und es spielt keine Rolle, gegen wen sich das richtet“, sagt sie.

Türen offen halten

Menschen, die von zu Hause flüchteten, weil sie bei IKEA keine Möbel mehr kaufen könnten, sollten nicht kommen. Doch Georgien müsse die Türen für diejenigen offen halten, die gegen Putins Regime seien. Natürlich könnte Putin Panzer nach Georgien rollen lassen, um seine Staats­bür­ge­r*in­nen zu verteidigen. „Doch das ist nur ein Vorwand unter vielen. Wenn Putin das wirklich will, findet er immer einen Grund“, glaubt sie.

Walerija fürchtet ebenfalls, dass „sie kommen, um sie zu schützen“. Fühlt sie sich irgendwie mitverantwortlich für den Krieg 2008, die Annexion der Krim, die Bombardierungen von Charkiw und Kiew? „Ich habe das Gefühl, einfach weggelaufen zu sein und mich dem Regime nicht widersetzt zu haben“, antwortet sie. Doch diese Chance sei vertan und es sei zu spät, um darüber nachzudenken.“ Ich hoffe nur“, sagt sie, „dass Russland eines Tages einfach zusammenbricht und so, wie es jetzt ist, aufhört zu existieren.“

Aus dem Russischen Barbara Oertel

Der Autor war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter-Stiftung

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