Krieg in der Ukraine: Nicht mehr nur Waffen

Die Gespräche zwischen Moskau und Kiew über ein Ende des russischen Krieges gegen die Ukraine nehmen an Fahrt auf. Die russischen Angriffe erlahmen.

Islands Verteidigungsministerin gestikuliert mit ausgestrecktem Arm mit dem amerikanischen Verteidigungssekretär

Wir müssen reden: Islands Verteidigungsministerin Gylfadottir mit US-Kollege Austin bei Nato-Treffen Foto: Olivier Matthys/ap

Es gibt mehr Bewegung an der diplomatischen Front als an der militärischen. An diesem Punkt scheint Russlands Krieg gegen die Ukraine nach drei Wochen angelangt zu sein.

Den Anfang machte in der Nacht zu Mittwoch Jarosław Kaczyński, Chef der polnischen Regierungspartei, der mit den Ministerpräsidenten Polens, Tschechiens und Sloweniens mit dem Zug nach Kiew gereist war – eine Demonstration der Solidarität und auch ein Signal, dass man keine Angst vor Russland hat. Kaczyński beließ es nicht bei Solidaritätsbekundungen. „Ich denke, dass eine Friedensmission notwendig ist – Nato, möglicherweise eine breitere internationale Struktur –, jedoch eine Mission, die in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, die auf ukrainischem Gebiet agiert“, sagte der Pole.

Die Äußerung sorgte in der Nato für Irritation – aber sie zeigt, dass man sich Gedanken über die internationale Absicherung eines möglichen Abkommens zwischen Russland und der Ukraine macht.

Die Gespräche darüber laufen seit Montag auf Hochtouren, im Videoformat. Am Mittwochvormittag nannte Russlands Außenminister Sergei Lawrow die Gespräche „geschäftsmäßig“ und sagte, das „gibt Hoffnung“. Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyi sagte, die russischen Forderungen würden „realistischer“. So optimistisch hatten sich beide Seiten bisher noch nie so hochrangig geäußert.

Vorbild Österreich

Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte in Moskau, eine entmilitarisierte Ukraine mit eigener Armee, nach dem Beispiel Österreichs oder Schwedens – „das ist eine Variante, die derzeit diskutiert wird und die tatsächlich als ein Kompromiss angesehen werden könnte“. Der russische Chefunterhändler Wladimir Medinski sagte: „Eine ganze Reihe von Fragen im Zusammenhang mit der Größe der ukrainischen Armee wird diskutiert.“ Ziel sei, dass die Ukraine „ein friedlicher, neutraler und uns wohlgesonnener Staat wird, kein Vorposten der Nato“.

Wolodymyr Selenskyi, Ukraines Präsident

„Wir können und müssen einen gerechten, aber fairen Frieden aushandeln“

In Kiew stieß die Moskauer Redseligkeit nach Wochen des Schweigens dennoch auf Zurückhaltung. „Unsere Position bei den Verhandlungen ist recht klar: Sicherheitsgarantien, Waffenstillstand und ein Rückzug russischer Truppen“, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak. Zu den russischen Äußerungen führte er aus: „Wir verstehen den Versuch unserer Partner, die initiative Seite im Verhandlungsprozess zu sein – daher kommen auch die Worte über ein schwedisches oder österreichisches Modell der Neutralität. Aber die Ukraine befindet sich jetzt in einem direkten Krieg mit der Russischen Föderation, daher kann es nur ein ukrainisches Modell geben, mit juristisch bindenden Sicherheitsgarantien.“

Diese Garantien brauche man „von Ländern, die im Falle eines Angriffs auf die Ukraine bereit sind, an unserer Seite zu kämpfen“, so Podoljak weiter: „Die Ukraine will nicht länger von bürokratischen Prozeduren abhängig sein, die es entweder erlauben oder nicht, den Himmel zu schließen und uns vor Raketen zu schützen. Wir brauchen direkte und harte Garantien, dass der Himmel dann auch geschlossen wird.“

Selenski sagte: „Wir können und müssen einen gerechten, aber fairen Frieden für die Ukraine aushandeln, echte Sicherheitsgarantien, die funktionieren.“ Er fordert dafür ein Gipfeltreffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Daran wird nach Angaben seines Beraters Podoljak bereits gearbeitet: „Das könnte schon bald passieren.“

Laut Financial Times wird ein 15-Punkte-Plan erarbeitet. An erster Stelle stünden die Neutralität der Ukraine sowie der Abzug russischer Truppen. Territoriale Streitfragen sollten später diskutiert werden.

Offen bleibt, wie nach den Erfahrungen mit dem Minsker Friedensprozess für den Donbass ein Abkommen umgesetzt werden kann und welche Sicherheitsgarantien die Ukraine nach dem russischen Angriffskrieg bekommt. Eine ins Spiel gebrachte Variante: Überwachte entmilitarisierte Zonen entlang der gemeinsamen Grenze. Das hat aber schon in den vergangenen Jahren an der Waffenstillstandslinie im Donbass nicht funktioniert, weil die prorussischen Kräfte die OSZE-Beobachtermission behinderten.

Militärische Sackgasse

Eine weitere Debatte betrifft das vielgeschmähte Konzept der „humanitären Intervention“. Die Forderung nach einer Flugverbotszone über der Ukraine wird in den USA abgelehnt, weil nach bisherigen Konzepten dann als erstes die russische Luftabwehr ausgeschaltet werden müsste – das hieße Krieg gegen Russland. Mehrere US-Politiker haben stattdessen eine US-Luftbrücke in das eingekesselte Mariupol zur Evakuierung von Zivilisten vorgeschlagen. John Raine vom Londoner „International Institute for Strategic Studies“ verlangt von der Nato „ein Konzept der humanitären Intervention, das effektive Einsätze zum Schutz von Menschenleben ermöglicht“ – also nicht gleich Regimewechsel, sondern Schutz vor einem Aggressor. Das könnte sich mit den Kiewer Forderungen nach „bindenden Sicherheitsgarantien“ decken.

Solche Überlegungen kommen nur auf, weil Russland militärisch in der Sackgasse steckt. Das „Institute for the Study of War“ (ISW) in den USA stellt fest, dass der russische Vormarsch praktisch zum Erliegen gekommen ist. „Seit dem 4. März haben russische Kräfte keine simultanen Angriffe an ihren vielen Fronten in der Ukraine durchgeführt, und es ist unwahrscheinlich, dass sie es in der kommenden Woche tun“, heißt es im jüngsten ISW-Tagesbericht vom Dienstag abend. Die Scharmützel nordwestlich von Kiew seien „die größten Offensiven, zu denen russischen Streitkräfte derzeit in der Lage sind“.

Kiew erlebt derweil die ruhigsten Tage seit Kriegsbeginn. Außerhalb der Stadt toben Kämpfe und nachts schlagen vereinzelt Raketen ein, aber tagsüber ist es still, wird aus der Hauptstadt vermeldet, die am Mittwoch unter Ausgangssperre lag. Hochrangige Besuche wie die aus Polen, Tschechien und Slowenien bieten offensichtlich Schutz. Die drei sind wieder abgereist, aber nun ist der Vorsitzende des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, in Kiew eingetroffen. Er will fünf Tage bleiben.

Mitarbeit: Barbara Oertel

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