Bundesparteitag der Grünen: Yeah, Kompromisse!
Annalena Baerbock und Robert Habeck treten von der Grünen-Spitze ab. Zum Abschied schwören sie ihre Partei auf die Zwänge des Regierens ein.
Die Grünen wechseln ihre Spitze: Beim Parteitag an diesem Wochenende wählen sie einen neuen Vorstand. Als Regierungsmitglieder dürfen Baerbock und Habeck nicht weitermachen. Vier Jahre lang haben sie bis zu diesem Freitag die Partei geführt – von 8,9 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 bis zu den 14,8 Prozent im vergangenen Jahr.
Nach 16 harten Oppositionsjahren sind die Grünen mit den beiden zurück in die Regierung gelangt. Die in der Vergangenheit oft zerstrittene Partei trat unter dem scheidenden Führungsduo fast schon unerträglich diszipliniert auf, galt lange Zeit als perfekt organisiert. „Wir sind keine kleine Partei mehr“, sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner am Freitag zur Eröffnung des Parteitags. Die besten Grünen aller Zeiten.
Inzwischen hat das Bild freilich Kratzer. Eigentlich hatten sich die Grünen ein noch besseres Wahlergebnis gewünscht. Im Wahlkampf leistete sich die Parteispitze entscheidende Fehler, mit der Harmonie von Habeck und Baerbock war es plötzlich nicht mehr so weit her – auch wenn die Abschiedsrede am Freitag einen anderen Eindruck erwecken soll.
Demonstrativ gute Laune
Im Herbst stieß dann das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen in der Partei nicht nur auf Begeisterung. Und mit der späten Ausbootung des eigentlich schon designierten Ministers Toni Hofreiter machten sich Baerbock und Habeck beim linken Parteiflügel zum Schluss noch mal unbeliebt.
Das Regieren, es ist eben nicht so einfach. Und das ist auch das Thema dieser Abschiedsrede. Vor allem Habeck ist es, der die Partei auf Kompromisse einschwört, erstaunlicherweise aber über weite Strecken fast freudestrahlend. „Es ist kein ‚oh weh, oh weh – die schwierige Wirklichkeit!‘“, sagt er. „Es ist ein Privileg!“
Am Anfang wirkt das noch ein bisschen bemüht. Die Grünen haben sich das Verkehrsministerium nicht holen können? Dafür wurde Claudia Roth immerhin Kultlurstaatsministerin. Die Grünen können das Vorhaben der EU-Kommission nicht verhindern, Atom- und Gasenergie in den Taxonomie-Regeln als nachhaltig zu labeln? „Ja, das ist ein schwieriges Kapitel.“
Aber als Regierungspartei habe man nun immerhin Einfluss auf die Kommission. Die Grünen bemühen sich darum, zumindest noch Fußnoten in die EU-Regeln hineinzuverhandeln. In Habecks Worten: „Gut, dass wir uns darum kümmern können. Da soll man nicht drüber klagen, da soll man stolz drauf sein!“
Einen großen Teil seiner Rede widmet er der KfW-Förderung für energieeffizientes Bauen. Diese Woche hatte er als Wirtschaftsminister überraschend das Förderprogramm gekappt, sehr zum Ärger Tausender Antragsteller*innen, die mit Zuschüssen für ihre Bauvorhaben gerechnet hatten, jetzt aber leer ausgehen.
Habeck ist zumindest nicht allein schuld daran, mindestens mitverantwortlich sind die Umstände, die Kassenlage, die Vorgängerregierung, der Finanzminister und der Kanzler. Als Wirtschaftsminister musste Habeck den Programmstopp aber kommunizieren, damit zog er den meisten Ärger auf sich.
Doch Habeck lamentiert nicht. „Ja, es ist unangenehm, diese Entscheidung politisch zu verantworten“, sagt er am Freitag auf dem Parteitag. Aber er sei ja Minister geworden, um Entscheidungen zu treffen und in Zukunft bessere Programme aufzulegen. „Wie gut, dass wir diese Entscheidung verantworten!“
Topfplanzen und Standing Ovations
Je länger er seine gute Laune demonstriert, desto stärker nimmt man sie ihm dann doch noch ab. Ob sich diese demonstrative Freude an den Kompromissen und Sachzwängen auf den Rest der Partei übertragen wird? Das Wochenende könnte Indizien bieten. Auf dem Programm steht eine Reihe von Abstimmungen über inhaltliche Anträge. Kampfdrohnen, Julian Assange und eben die Taxonomie.
Um eine Satzungsänderung wird es am Wochenende auch noch gehen. Auf das starke Mitgliederwachstum der letzten Jahre will die Parteispitze damit reagieren, dass sie die Hürden für die Basisbeteiligung erhöht. Schließlich wird am Samstagnachmittag noch der neue Parteivorstand gewählt. Ricarda Lang und Omid Nouripour werden voraussichtlich auf Baerbock und Habeck folgen.
Erst mal geht am Freitag Abend aber die Abschiedsshow weiter. Als Habeck mit seiner kleinen Regierungserklärung durch ist, ergreift Baerbock noch mal das Wort, wie gewohnt etwas weniger leuchtend als er. Sie spricht von Erfolgen im Koalitionsvertrag, vor allem gesellschaftspolitische wie der Streichung des Paragrafen 219a oder die doppelte Staatsbürgerschaft.
Dann kommt sie auf ihr neues Fachgebiet zu sprechen, die Außenpolitik. Es wird zwischendurch ein wenig technisch, vom „vernetzten Ansatz von Außen- und Sicherheitspolitik“ erzählt Baerbock zum Beispiel, bevor sie etwas weniger ministrabel am Ende doch noch die „beste Party ever“ ankündigt – für den nächsten Parteitag.
Nicht für diesen, natürlich: Coronabedingt findet der Parteitag digital statt. Hunderte Delegierte sind größtenteils von zuhause aus zugeschaltet. Nur der Bundesvorstand, die grünen Minister*innen, Mitarbeiter*innen und ein Teil der Medien nimmt in Präsenz teil. Im Berliner Velodrom – eine der größten Veranstaltungshallen der Hauptstadt – ist die Kulisse aufgebaut, die Bühne mit Topfpflanzen dekoriert.
Standing Ovations spenden die wenigen anwesenden Grünen zum Ende der Rede, was in so einem Setting immer eher traurig als fröhlich wirkt. Die Lichtorgel aber gibt alles, vor den Bildschirmen sieht das bestimmt gut aus. Dann verlassen Baerbock und Habeck zusammen die Bühne.
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