Sanktionen gegen Mali: Wenn es die Falschen trifft
Internationale Strafmaßnahmen sollen Druck auf Malis Militärregime ausüben. Doch die Folgen bekommt vor allem die Bevölkerung zu spüren.
Solche Militärkonvois sind fast die einzigen, die noch legal die Grenze nach Mali passieren dürfen. Seit gut einem Monat erleidet Mali die schwersten Sanktionen seit der Unabhängigkeit 1960. Damit will die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) Druck auf die Militärregierung von Assimi Goïta und dessen Premierminister Choguel Maïga ausüben.
Die sollen endlich festlegen, wann in Mali Präsident und Parlament neu gewählt werden. Aus Bamako heißt es, dass mittlerweile Gespräche mit Ecowas laufen. Spekuliert wird in Berichten über eine Übergangszeit von nur noch 18 bis 24 Monate – die Regierung hatte Anfang Januar von bis zu fünf Jahren gesprochen. Auch soll Goïta bei den Wahlen nicht antreten dürfen.
Doch solange nichts vereinbart ist, bleiben die Grenzen dicht für alles außer Waren des täglichen Bedarfs. Vor allem Händler*innen sind genervt. In Senegal hängen an der Grenze seit Wochen Lastwagen fest, die Importwaren nach Mali bringen sollen. Mittlerweile ist von 1.350 Lkws die Rede.
Baumwolle steckt in Mali fest
„Es muss dringend eine Lösung gefunden werden“, forderte Anfang Februar Momar Sourang von der Organisation der Berufskraftfahrer im Senegal (CPTRS). Auch im Hafen von Abidjan in der Elfenbeinküste stapeln sich die für Mali bestimmten Container. Einen freien Zugang zu einem Hafen hat Mali nur noch über Guinea, wo im September 2021 ebenfalls das Militär putschte und das sich nicht an den Sanktionen beteiligt, sowie Mauretanien, das nicht zur Ecowas gehört. Doch die Wege durch diese Länder sind lang und schwierig.
Umgekehrt kommt die Baumwolle, die gerade überall in Westafrika geerntet wird, nicht mehr aus Mali hinaus. Nach Benin ist Mali zweitgrößter Anbauer auf dem Kontinent. Das „weiße Gold“ macht bis zu 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, doch nur 2 Prozent werden vor Ort in Mali verarbeitet. Es ist unklar, was ein langanhaltender Exportstopp für die Farmer bedeutet.
„Nicht nur Mali wird sanktioniert, auch Senegal“, kritisiert in Senegals Hauptstadt Dakar Wirtschaftswissenschaftler Ndongo Samba Sylla. In seinem Land würde wenig produziert, aber viel exportiert. Dakar ist ein wichtiger Transithafen. Warenausfuhr nach Mali bringe Senegal jährlich umgerechnet rund 724 Millionen Euro, sagt Sylla, mehr als in die ganze EU. „Hier sagen Transportunternehmer: Wir haben doch nichts gemacht. Warum werden wir bestraft?“
Von den blockierten Lastwagen hört im Dorf Somanikidi Coura am Ufer des Senegal-Flusses Sire Soumaré immer wieder. Das Dorf liegt in der Region Kayes, die an Senegal grenzt. Die Gegend ist bekannt für Migration: Viele Familien schicken seit Generationen Angehörige zum Geldverdienen in andere Teile Malis, nach Senegal oder auch nach Europa.
Offiziell sind die Grenzen zwar zu, inoffiziell aber kein Hindernis, zumindest zu Fuß oder mit dem Moped. „Wir sind ein Volk. Davon lassen wir uns doch nicht abhalten“, betont Soumaré. Im Alltag würden sich die Sanktionen bisher noch nicht stark bemerkbar machen. „Die Preise sind leicht gestiegen. Ein ständiges Thema ist das aber nicht, weil die Menschen mit anderen Dingen beschäftigt sind.“
Vom Zahlungsverkehr ausgeschlossen
Der Senegalese Sylla kritisiert, dass die Sanktionen, denen sich mittlerweile auch die EU angeschlossen hat, keine legale Basis hätten: Andere Länder würden nicht so bestraft werden. Im Tschad beispielsweise ist seit einem knappen Jahr der Sohn des bei Kämpfen getöteten Langzeitherrschers Idriss Déby, Mahamat Déby, an der Macht. Die innerfamiliäre Nachfolge widerspricht der Verfassung, doch es gab keine internationalen Sanktionen. Tschad ist ein wichtiger Verbündeter im Antiterrorkampf und ein Staat, der Migrant*innen auf dem Weg nach Europa aufhalten kann.
„Neokolonial“ nennt Sylla die Sanktionen außerdem. Inländisches Geldvermögen würde eingefroren. „Man kann Länder zwar sanktionieren, aber einen souveränen Staat nicht von seiner Zentralbank trennen.“ Mali hat keine eigene Währung und keine eigene Zentralbank – es teilt sich innerhalb der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion (UEMOA) den westafrikanischen CFA-Franc mit Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Guinea-Bissau, Niger, Senegal und Togo. Die UEMOA-Zentralbank ist in Dakar.
Im Rahmen der Sanktionen wurde Mali aus dem Zahlungsverkehr der UEMOA ausgeschlossen. Bankguthaben im Ausland sind eingefroren, Überweisungen nicht mehr möglich, das Land hat keinen Zugriff auf Währungsreserven mehr. Es ist unklar, wie lange die Regierung überhaupt noch Gehälter zahlen kann. Ende vergangener Woche gab die UEMOA bekannt, dass Mali mittlerweile in Höhe von umgerechnet 81 Millionen Euro im Rückstand mit Schuldendienstzahlungen sei.
Caritas-Hilfen in Gefahr
In Malis Hauptstadt Bamako macht sich das mit ersten Preissteigerungen bemerkbar, etwa bei Zucker sowie Kochgas. Erhältlich ist zwar alles, und Lebensmittel des täglichen Bedarfs dürfen weiterhin eingeführt werden. Doch Händler*innen verteuern die Produkte.
„Die Sanktionen betreffen die Bevölkerung weitaus mehr als die Herrschenden“, kritisiert Modibo Mao Makalou scharf. Der Ökonom befürchtet, dass bald vieles in einem Land, das sich längst in der Krise befindet, nicht mehr funktioniert. In Mali leben nach Schätzungen der Weltbank knapp 42 Prozent der gut 20 Millionen Einwohner*innen unterhalb der Armutsgrenze. Aufgrund von Gewalt und Terror sind innerhalb Malis mehr als 400.000 Menschen auf der Flucht, über 7,5 Millionen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Caritas International arbeitet mit Cash-Transfer-Leistungen. Ausgewählte Bedürftige erhalten eine direkte Geldüberweisung. „Es stellt sich die Frage, ob diese Leistungen sich noch fortführen lassen“, sagt Christian Volkmar, Direktor des Caritas-Regionalbüros für Westafrika in Dakar. Sorge bereitet ihm auch der Einfuhrstopp von Baumaterial wie Zement und Stahl. Damit lassen sich Bauarbeiten nicht mehr fortführen in einem Land, in dem die Bevölkerung jährlich um knapp drei Prozent wächst. „Andererseits führt das zu verstärkter Arbeitslosigkeit im Bausektor. Das erschwert die Situation für die Bevölkerung und uns.“
Modibo Mao Makalou bringt es in Bamako auf den Punkt: „Die Sanktionen sind eine Bestrafung der Malier.“
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