Scholz zu Besuch in Moskau: Der Nächste, bitte
Kaum ist der französische Präsident aus Moskau abgereist, trifft sich Kanzler Scholz mit Putin. Die Erwartungen sind auf beiden Seiten überschaubar.
Eine bedeutungsschwere Reise für Scholz. Nach Überzeugung westlicher Geheimdienste könnte Russland bereits am Mittwoch seine Invasion im Nachbarland starten. Scholz wäre damit der wohl letzte westliche Politiker, der im Kreml einen erneuten Versuch unternehmen dürfte, Putin von diesem Angriff abzubringen. Davon, dass es zu einem solchen Angriff kommen wird, sind viele Beobachter*innen im Westen überzeugt. Russland bezeichnet diese Überzeugung als „Massenpsychose“. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sprach gar davon, dass der Westen „diesen Krieg offenbar braucht“.
Scholz’ „Mission“ sehen Russlands Kreml-loyale Kommentatoren, wie bereits bei Macron, als völlig unnötig an – schließlich bedrohe Russland ja niemanden, so die russische Sicht. Doch sie gestehen dem unbekannten Deutschen zu, den Dialog zu suchen.
Es gäbe dafür genügend strittige Themen in den beiderseitigen Beziehungen: Nord Stream 2, die Zwangsschließung des Moskauer Büros der Deutschen Welle samt unklarer Drohungen der russischen Behörden an die deutschen Journalist*innen in Moskau, medizinische Untersuchungen für Ausländer*innen mit Arbeitsvisum, die Russland zur Pflicht macht – selbst Kinder ab sechs Jahren müssten sich Tests auf Syphilis, Röntgenaufnahmen und der Erfassung von Fingerabdrücken unterziehen. Das zeigt auch ausländischen Investor*innen, dass sie im Land nicht willkommen sind.
Putin gefällt sich als Weltenlenker
Der Fokus von Scholz’ Besuch aber dürfte vor allem auf der Ukraine liegen. Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Angela Merkel, die vor allem wegen ihres Pragmatismus in Russland hoch geschätzt wird, bleibt Scholz für viele Russen eine Art Black Box. Die meisten im Land können mit seinem Namen nichts anfangen.
In den Nachrichtensendungen wird Scholz’ Besuch bei Putin lediglich beiläufig erwähnt – in einer Reihe anderer Besucher*innen aus dem Ausland. Das diplomatische Stelldichein wird im Staatsfernsehen geradezu genussvoll kommentiert. Der Herrscher im Kreml gefällt sich dieser Tage in der Rolle des Weltenlenkers, der seine Sicht der Dinge zu erklären weiß. „Hören Sie mir genau zu“, sagt er gern und hebt den Zeigefinger.
Die Welt redet über Putin, rätselt über das, was er denkt, was er will, was er tut. Sagen kann das niemand, die Aufmerksamkeit aber, die Russland und Putin zuteil wird, ist von Moskau gewollt. Bereits im November, als Russland seine Truppen an die russisch-ukrainische Grenze verschieben ließ, sagte Putin bei seinem Auftritt im russischen Außenministerium: „Unsere jüngsten Warnungen machen sich bemerkbar und erzeugen einen gewissen Effekt: Es ist tatsächlich eine Anspannung entstanden. Dieser Zustand muss so lange wie möglich erhalten bleiben.“
Diese „Anspannung“ ist zu einer echten Kriegsangst geworden. Zumindest auf der nichtrussischen Seite. Das spielt dem Kremlherrn in die Hände. Mit seinen Forderungen nach Sicherheitsgarantien, die Moskau von den USA und der Nato erwartet, steht er besser da denn je.
Moskau weiß, dass diese Garantien nicht erfüllt werden können, und doch kann es die Lage für sich immer weiter ausloten, weil es sich seiner militärischen Kraft und der Angst des Westens vor dieser bewusst ist. Es ist ein Nervenspiel, angetrieben von einem ehemaligen Geheimdienstler an der Spitze eines Landes, das auf Angst setzt, um sich Respekt zu verschaffen.
Die deutsch-russische Vertrauensbasis, die die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau lange Jahre getragen hat, ist längst zu einer deutsch-russischen Enttäuschung geworden. So hält auch Scholz die Erwartungen an seinen Antrittsbesuch im Kreml niedrig. Reden aber sei immer gut, hieß es aus dem Kanzleramt. Auch Moskau will reden – und nur das hören, was seinen eigenen Interessen entspricht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen