Fake-Hauptmieter und Untermietverträge: Neue Masche gegen Mieterschutz

Mit einem dubiosen Konstrukt hebelt ein Vermieter in Berlin offenbar Mietrecht und Milieuschutz aus. Ein Räumungsstreit wirft ein Schlaglicht auf die Praxis.

Eine Luftaufnahme von Kreuzberg und dem Landwehrkanal

Aufgeteilte und in Eigentum umgewandelte Häuser sind hier keine Seltenheit: Berlin-Kreuzberg Foto: A. Tamboly/imago

BERLIN taz | Wenn der Berliner Wohnungsmarkt ein Haifischbecken ist, dann hat eine Richterin des Amtsgerichts Kreuzberg am Dienstag möglicherweise eine neue Raubfischart entdeckt. Klar jedenfalls war nach der mündlichen Hauptverhandlung eines: Etwas am Vermieter in einem Streit über eine Räumungsklage scheint sehr fischig zu sein.

Verhandelt wurde dort eine Räumungsklage der Wohnungsfirma Dornröschen Immobilien GmbH gegen zwei Mieter*innen. Die Richterin betonte gleich mehrfach, dass ihr etwas an dem Fall komisch vorkomme: „Es geht hier auch um die Frage, ob es ein Konstrukt gibt. Ich muss sagen, das klingt alles dubios“, sagte sie mit Blick auf den Eigentümer.

Die Vermutung der Mie­te­r*in­nen ist, dass der Eigentümer mittels einer Konstruktion systematisch den Mieterschutz aushebelt. Der Trick: Der Vermieter setzt einen Strohmann als Hauptmieter ein, um die Wohnungen nur über Untermietverträge zu vergeben. Die Vorteile für den Eigentümer lägen auf der Hand: Viele Mieterrechte entfallen in einem Untermietverhältnis. So ließe sich etwa der Kündigungsschutz leicht aushebeln, in dem der Hauptmieter bei Bedarf kündigt.

Im vorliegenden Fall bei einem sanierten Altbau in der Kreuzberger Admiralsstraße wäre das besonders praktisch, um eine gute Rendite zu erzielen. Denn die Wohnungen in dem Mehrfamilienhaus sind bereits aufgeteilt und könnten mit Ablauf der bezirklichen Genehmigungsfrist ab 2024 als Eigentumswohnungen teuer verkauft werden. Ein Auszug aus dem Grundbuch, der der taz vorliegt, belegt, dass die Wohnungen in dem Haus tatsächlich aufgeteilt sind. Noch teurer lassen diese sich verkaufen, wenn darin keine lästigen Mie­te­r*in­nen wohnen.

„Mieterschutz und Milieuschutz ausgehebelt“

So jedenfalls die These des Fachanwalts für Mietrecht, Benjamin Raabe, der die beiden Mie­te­r*in­nen in dem Streit vertritt. Raabe geht in dem Fall von einem Schattenmietverhältnis aus, weswegen eine Räumungsklage unwirksam sei, und ein reguläres Mietverhältnis mit allen Rechten bestünde. „Dieses systematische Vorgehen ist eine neue Qualität. Damit soll nicht nur Mieterschutz, sondern auch der Milieuschutz ausgehebelt werden“, sagt Raabe.

Von der Räumung bedroht sind Moritz M. und Irina R. Sie wohnen seit 2020 in der Wohnung in der Admiralsstraße, aber eben nur als Untermieter. Die Hausverwaltung habe bei der Besichtigung erklärt, dass der Hauptmieter, ein Cristian J., vorübergehend im Ausland lebe und nach seiner Rückkehr wieder einziehen wolle. Kontakt zum Hauptmieter selbst hätten sie zunächst nicht gehabt, sagen sie der taz. Miete hätten sie an die Hausverwaltung zahlen sollen. Misstrauisch wurden sie endgültig, als sie in Gesprächen feststellten, dass alle Nachbar*innen, die nach 2018 eingezogen waren, ebenfalls nur Untermietverhältnisse unter ähnlichen Bedingungen hatten.

Weil die Wohnung zudem recht teuer war, zogen sie die Mietpreisbremse. Daraufhin hörten sie plötzlich erstmals von ihrem angeblichen Hauptmieter: Er habe das Mietverhältnis gekündigt und gebe die Wohnung zwei Monate später auf. M. und R. wollten das nicht so einfach hinnehmen, gingen zur Mieterberatung und verteidigten sich gegen die folgende Räumungsklage durch den Vermieter.

Der Rechtsanwalt des Eigentümers, Ulf Tilo Kellner, behauptet vor Gericht, dass alle Wohnungen in dem Gebäude regulär an Hauptmieter vermietet seien und sämtliche Darstellungen der Mie­te­r*in­nen „an den Haaren herbeigezogen“ seien, wie er vor Gericht sagte. Belege dafür blieb er allerdings schuldig, wie auch die Richterin anmerkte: Bis heute hat Kellner laut Gericht keinen Hauptmietvertrag vorgelegt oder auch nur die Kündigung. Immerhin erschien vor Gericht auch der angebliche Hauptmieter J. – zur Aufklärung trug er allerdings wenig bei. Die Richterin sagte: „Die Darlegungslast liegt beim Kläger“, wohingegen sie die Einlassungen der Mieter für „einen substanziierten Vortrag“ hielt.

Denn wie aus den der taz vorliegenden Stellungnahmen ans Gericht hervorgeht, haben die Mieter viele Indizien gesammelt für eine systematische Masche der Dornröschen GmbH und beteiligter Firmen. Zusammen mit ihrem Anwalt haben sie herausgefunden, dass ihr angeblicher Hauptmieter Cristian J. in der Firma des Eigentümers arbeitet. Über einen Privatdetektiv und mit einer Auskunft beim Einwohnermeldeamt bringen sie auch in Erfahrung, dass der angeblich im Ausland lebende J. seit 1998 seinen Lebensmittelpunkt in einem Einfamilienhaus mit Garten in Blankenfelde hat.

Auch bei anderen vermeintliche Haupt­mie­te­r*in­nen in dem Haus handele es sich teilweise um Mitarbeiter oder einen Facebook-Freund des Eigentümers. Besonders absurd: Hauptmieter in den Dachgeschosswohnungen der betroffenen zwei Gebäude in der Admiralsstraße seien die Eigentümer selbst: Ein Holger J. sowie dessen Frau Heidi M. Die sind zudem nicht nur die Inhaber der Dornröschen GmbH, sondern auch letztlich Eigentümer eines komplexen Firmenkonstrukts, dem weitere Unternehmen mit märchenhaften Namen angehören: etwa die Schneeweißchen Immobilien Gmbh & Co. KG sowie die Rotkäppchen Immobilien Gmbh & Co. KG und eine High Five GmbH & Co. KG.

Aufgeklärt ist der Fall nach der Verhandlung allerdings nicht: Am Ende der mündlichen Güteverhandlung steht weder Einigung noch Urteil. Durch die Andeutungen der Richterin jedenfalls fühlen sich die Mieter bestärkt, beide Parteien bekommen nun noch einmal eine Erklärungsfrist. Mieter M. gibt sich nach der Verhandlung kämpferisch, selbst wenn sie beim Amtsgericht verlieren sollten, wollen sie in die zweite Instanz ziehen: „Ich kann zwar verstehen, wenn man mit seinem Eigentum Rendite machen will, aber nicht auf diese Weise“, sagt er.

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