Immer mehr Waffen bei Neonazis: Die rechte Szene bleibt bewaffnet

Innenministerin Faeser will Neonazis entwaffnen. Bisher gelingt das nicht: Die Zahl der Szeneangehörigen mit legalen Waffen steigt.

Sichergestellte Waffen nach einer Razzia im rechten Milieu liegen auf einem Tisch der Polizei Salzgitter.

Immer wieder Waffenfunde: Hier Funde der Polizei im Dezember bei einem Rechten aus Salzgitter Foto: Polizei Salzgitter/dpa

BERLIN taz | Die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte es gleich zu ihrem Dienstantritt: „Die größte Gefahr für unsere Demokratie ist der Rechtsextremismus.“ Man wolle dieser Gefahr entschieden entgegentreten, so die Sozialdemokratin. Rechtsextremisten müssten entwaffnet, Gefährder überwacht, Präventionsprogramme verstärkt werden. Doch in der Praxis zeigt sich, dass die Sache nicht so leicht ist.

Zumindest die Entwaffnung der rechtsextremen Szene jedenfalls gelingt bisher nicht – im Gegenteil. So antwortet Faesers Innenministerium aktuell auf eine Linken-Anfrage, die der taz vorliegt, zwar, dass seit Anfang 2018 bis Ende 2021 insgesamt 169 Rechtsextremisten ihre waffenrechtliche Erlaubnis entzogen wurde. Zudem sei von Ende 2016 bis Ende 2020 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – auch 880 Reichsbürgern die Waffenerlaubnis entzogen worden.

30 Prozent mehr rechte Waffenbesitzer als 2020

Gleichzeitig aber räumt das Ministerium ein, dass mit Stichtag 27. Dezember 2021 immer noch 1.561 Rechtsextremisten in Deutschland legal Waffen besitzen. Das bedeutet einen deutlichen Anstieg um knapp 30 Prozent zum Vorjahr – damals lag die Zahl bei 1.203 Rechtsextremisten. Und auch 550 Reichsbürger, bei denen die In­nen­mi­nis­te­r:in­nen von Bund und Ländern schon vor Jahren eine Entwaffnung forderten, besaßen Ende 2020 noch waffenrechtliche Erlaubnisse.

Das kann daran liegen, dass schlicht mehr Fälle entdeckt wurden: Nach einer Waffenrechtsreform Ende 2019 müssen sich Behörden beim Verfassungsschutz über eine Person erkundigen, bevor sie eine Waffenerlaubnis erteilen. Es zeigt aber auch, wie leicht es offenbar immer noch Extremisten gelingt, sogar legal an Waffen zu gelangen – und wie schwierig ein Entzug der Erlaubnisse ist.

In einem Fall ermittelt derzeit sogar die Bundesanwaltschaft gegen einen Rechtsextremisten wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Bei dem Mann wurden Magazine für automatische Gewehre gefunden, die er legal besaß. Kein Einzelfall: Immer wieder entdeckt die Polizei bei Razzien gegen Rechtsextremisten Waffen- und Munitionssammlungen.

Zudem weiß das Innenministerium von 22 Fällen, bei denen Rechtsextreme seit Anfang 2020 Schießübungen abhielten, vielfach im Ausland. Auch hier ermittelt die Bundesanwaltschaft zumindest in einem Fall gegen eine Gruppe Rechtsextremer, die im Januar und Juli 2021 Schießstände in Tschechien besuchten.

Angriffe mit Schusswaffen auch auf Geflüchtete

Und es bleibt nicht nur beim Horten und Trainieren. Bei dem Attentat auf Walter Lübcke sowie in Hanau und Halle töteten Rechtsextremisten mit Waffen Menschen. Die Bundesregierung berichtet auch von 24 Angriffen mit Waffen auf Geflüchtete im vergangenen Jahr. In mehreren Fällen kamen dabei Schreckschusswaffen zum Einsatz. Bei Angriffen in Alfdorf, Karstädt, Ahlen, Drage, Schmalkalden, Nienburg, Forst und Berlin wurden aber auch scharfe Schusswaffen verwendet. Dazu gab es auch fünf Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte mit Waffen.

Für die Linken-Innenexpertin Martina Renner, welche die Anfrage an das Ministerium stellte, sind das unerträgliche Zustände. „Die Bundesregierung muss schnell daran arbeiten, Neonazis und Reichsbürgern die Erlaubnis zum Waffenbesitz zu entziehen“, sagte sie der taz. „Neonazis, die über Waffen verfügen, setzen diese auch ein.“ Auch die Angriffe auf die Geflüchteten seien alarmierend, so Renner. „Schüsse auf Geflüchtete und Angriffe auf Unterkünfte markieren den Anschluss der rassistischen Mobilisierung an die Pogrome der Neunziger Jahre.“

Faeser kündigt Aktionsplan gegen Rechtsextremismus an

Innenministerin Faeser kündigte inzwischen einen Zehn-Punkte-Aktionsplan gegen Rechtsextremismus bis Ostern an. Die Maßnahmen sollen danach „zeitnah“ auf den Weg gebracht werden. Eine davon soll ein konsequenteres Vorgehen gegen Extremisten im öffentlichen Dienst sein. Faeser will hier Disziplinarverfahren beschleunigen.

Zudem möchte die SPD-Ministerin Extremisten, die ihr Beamtenverhältnis ruhen lassen, eine Rückkehr in den öffentlichen Dienst verwehren – damit zielt sie offensichtlich auf Fälle wie den des AfD-Politikers Björn Höcke, der vor seinem Abgeordnetenmandant als Lehrer arbeitete, oder den von Jens Maier, der nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag nun wieder als Richter arbeiten will.

Faeser erklärte zudem, gegen Straftäter auf den Coronaprotesten „hart durchgreifen“ zu wollen. „Der Rechtsstaat darf sich das nicht bieten lassen.“ Auch solle konsequenter gegen Hetze auf dem Messengerdienst Telegram vorgegangen werden. Man nutze dafür derzeit alle diplomatischen Kanäle und setzte auf eine europäische Zusammenarbeit, sagte Faeser am Mittwochabend nach einem Treffen mit SPD-Innenministern aus den Ländern. Auch solle die Zahl an Cyberermittlern aufgestockt werden.

Faeser appellierte hier auch an die gesellschaftliche Verantwortung von Google und Apple, die Telegram in ihren App Stores anbieten, nicht zur Verbreitung von Hassbotschaften oder Mordaufrufen beizutragen. Telegram sei inzwischen ein „Brandbeschleuniger“ für Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubige. Faeser hatte zuvor bereits als letzte Konsequenz angedroht, Telegram abzuschalten – gemeint ist offenbar eine Verbannung aus den App Stores.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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