Deutschland und EU gegen Russland: Fördern und fordern
Weicher oder härter auf Putin reagieren ist die falsche Alternative. Gebraucht werden neue Angebote und konkrete Sanktionsankündigungen.
W ie steht Olaf Scholz zu Russland? Wissen Sie nicht genau? Das ist nicht verwunderlich. In Pressekonferenzen, im Bundestag bei seiner ersten Regierungserklärung und bei seinem ersten EU-Gipfel am Donnerstag: Prägnante Aussagen vermeidet der neue Kanzler bisher.
In merkelesk verschachtelten Sätzen bekundete er in Brüssel, dass „alle, und wir eben ganz besonders“, sich einig seien, dass ja klar sei, dass auf Grenzverletzungen „entsprechende Reaktionen“ folgten, aber des Weiteren Gespräche im Normandie-Format nötig und erfreulich wären. Das ist so wenig Festlegung wie möglich.
100 Tage Schonfrist gelten für eine neue Regierung gemeinhin. Dass Scholz nicht in den ersten 10 Tagen im Amt mit außenpolitischen Initiativen vorprescht, noch vor dem ersten Telefonat mit Putin und als Novize im Europäischen Rat, ist verständlich. Der Regierungswechsel ist noch ganz frisch, die internationale Lage komplex. Es ist zwar nicht ganz so wie 1998, als Rot-Grün aus den Koalitionsverhandlungen direkt in den Kosovokrieg stolperte.
Der aktuelle Konflikt ist aber auch nicht ohne, er ist vielschichtig. Es gibt neben dem nebulösen Truppenaufmarsch in Russland das zum ungelegensten Zeitpunkt gefallene Urteil zum Tiergartenmord und die allzeit brodelnden Diskussion um Nord Stream 2.
Die Weltpolitik nicht der Bundesnetzagentur überlassen
Freunde und Feinde innerhalb und außerhalb der EU zerren in alle denkbaren Richtungen. Innerhalb der Koalition in Berlin ist der Konflikt auch angelegt: Die Grünen wollen mehr Härte, Scholz’ eigene Partei mehr Nachsicht.
Im Fall der Pipeline haben die Koalitionspartner den Streit notdürftig geparkt. Man wartet die Genehmigungsentscheidung der Behörden ab und hat damit ein paar Monate gewonnen. Auf Dauer kann die neue Regierung die Weltpolitik aber nicht der Bundesnetzagentur überlassen.
Immerhin, wenn man es positiv sehen möchte: Die Ampel könnte ihre Differenzen auch produktiv nutzbar machen. „Grenzen müssen wir setzen, aber auch Auswege aufzeigen“, hat in dieser Woche Rolf Mützenich gesagt. So allgemein formuliert kann dem SPD-Fraktionschef wahrscheinlich selbst Außenministerin Annalena Baerbock zustimmen. Die beiden stehen in Russlandfragen eigentlich an verschiedenen Enden der koalitionsinternen Bandbreite.
Aber gerade weil die Regierung hier zwei Pole vereint, könnte sie die Dualität von Anreizen und Ansagen schaffen, vielleicht in verteilten Rollen. Es müsste nur gewollt und koordiniert sein und nicht zufällig entstehen, weil man sich auf eine gemeinsame Linie eben nicht einigen konnte.
Baerbock hat eine toughe Linie angekündigt
Irgendwann müsste die Koalition in dem Fall aber auch klar formulieren, wie ihre Druckmittel aussehen. Und wo der Ausweg sein soll. Bisher ist das nur in Ansätzen erkennbar. Im Außenministerium hat Baerbock zwar eine toughe Linie angekündigt. Die erste Maßnahme – die Ausweisung zweier Diplomaten wegen des Urteils im Tiergartenmord-Prozess – hätte so aber auch von ihrem Vorgänger Heiko Maas kommen können. Darunter ging es schon aus Gründen der diplomatischen Selbstachtung nicht.
Hinsichtlich der Ukraine hat der Europäische Rat mit deutscher Unterstützung nur allgemein Sanktionen angedroht, sollte Russland einen offenen Krieg wagen. Konkrete Strafmaßnahmen hat er nicht aufgezeigt. Der Kreml kann daraus schließen, dass die EU zu schwach und gespalten ist, um kollektiv Strafen anzudrohen.
Auf der anderen Seite hat die Ampel für Russland aber auch noch keinen reizvollen Ausweg im Angebot. Scholz’ Angebot neuer Normandie-Gespräche ist schön und gut, ist aus russischer Sicht aber keine gravierende Veränderung des Status quo. Warum keinen größeren Wurf?
Anfang Dezember haben ehemalige deutsche Botschafter und Generäle einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie größere Schritte der Entspannung vorschlagen. Sie regen zuvorderst eine Konferenz über eine neue europäische Sicherheitsarchitektur an, analog zur Helsinki-Konferenz, die in den 1970er Jahren die Gründung der späteren OSZE einleitete.
Zugegeben: Für die ersten 10 Tage im Amt wäre so ein Vorschlag zu viel des Guten gewesen. 2022 aber muss mehr kommen. Und Prägnanteres als Scholz’ Schachtelsätze.
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