Aufgeflogene Whistleblower: Es fehlt der richtige Schutz
Ohne Whistleblower wäre viel Unrecht in der Welt nicht aufgedeckt worden. Trotzdem werden sie häufig verfolgt und eingeschüchtert.
Ein Dokument. Fünf Jahre und drei Monate Haft. Reality Winner arbeitet bei einem Dienstleister der US-amerikanischen Nachrichtenbehörde NSA, als ihr im Frühsommer 2017 ein vertrauliches Dokument in die Hände fällt. Es beschreibt, dass russische Hacker wenige Monate vor der Präsidentschaftswahl 2016 versuchten, Daten von einer Firma, die Wahlsoftware herstellt, zu erbeuten. Sie beschließt, die Öffentlichkeit habe ein Recht, das zu erfahren, und sendet das Dokument an das Onlinemedium The Intercept. Wenige Tage später wird sie vom FBI festgenommen. Und kommt erst im August 2021 wieder frei. Die Journalistin und Regisseurin Sonia Kennebeck hat Winners Geschichte in ihrem Dokumentarfilm „United States vs. Reality Winner“ nachgezeichnet, der am Freitag auf der „Whistleblowing for Change“-Konferenz des Berliner Disruption Network Lab deutsche Premiere feierte.
Darin sprechen nicht nur Winner und ihre Familie, sonder auch andere bekannte Whistleblower: Totale, zu sehen sind eine große Straße, Zwiebeltürme, am Bildrand eine kurze Einblendung: Moscow, Russia. Edward Snowden sagt: „Wir können richtig von falsch unterscheiden. Und es wird immer Menschen geben, die ein Problem sehen und sich dessen annehmen.“ Trotz des hohen persönlichen Preises.
Whistleblowing hat Folgen. Es stößt Debatten an, wie Snowdens Leak über Überwachung durch die NSA; kann sogar den Verlauf eines Krieges beeinflussen, wie Daniel Ellsbergs Enthüllungen über den Vietnamkrieg. Für die Enthüllenden sind die Konsequenzen oft dramatisch. John Kiriakou, der die Foltermethoden im „Krieg gegen den Terror“ publik machte, weiß das aus eigener Erfahrung. Zwei Jahre Haft, eine gescheiterte Ehe und den Totalverlust seiner Altersvorsorge später sagt er: „Der größte Skandal ist, dass Winners Enthüllungen echte Konsequenzen hatten, sie aber trotzdem diesen hohen Preis bezahlt hat.“ Denn als Lektion aus den Angriffen sei die Wahl 2020 die sicherste jemals gewesen.
Auf niemanden verlassen
Dass Whistleblower von den Regierungen, deren Geheimnisse sie publiziert haben, verfolgt werden, mag noch einleuchtend sein. Aber auch auf Journalist:innen könnten sie sich nicht immer verlassen: „Sie haben vier Whistleblower nacheinander verbrannt“, sagt Kiriakou über The Intercept, die das von Winner geleakte Dokument veröffentlichten: Reality Winner, Terry Alburry (der das „FBI Rule Book“ leakte), Daniel Hale (der Informationen über Drohnenkriege weitergab) und er selbst. Alle gaben ihre Informationen an The Intercept, alle wurden erwischt. Das Medium gehe entweder extrem schlampig vor oder gebe sogar absichtlich Informationen an die Behörden weiter, sagt er.
Im Fall von Reality Winner gaben kleine Markierungen des Druckers auf dem Dokument – das sie später in ihrer Strumpfhose aus dem Büro schmuggelte – dem FBI den entscheidenden Hinweis. Kiriakou sagt: Jeder wisse, dass die US-Nachrichtendienste Drucke so markierten. The Intercept hatte das erhaltene Dokument, ohne diese zu entfernen, an die NSA zur Authentifizierung gesendet.
Betsy Reed, Chefredakteurin von The Intercept, sieht einen Teil des Fehlers bei The Intercept – man hätte vorsichtiger vorgehen müssen, und sie entschuldige sich –, aber auch im System. In Kennebecks Film sagt sie: „Der NSA überwacht seine Subunternehmer so eng, sie wäre wahrscheinlich sowieso erwischt worden.“ In seinem Essay im Buch „Whistleblowing for Change“, das vom Disruption Network herausgegeben wird und während der Konferenz ebenfalls Premiere feierte, gibt er künftigen Whistelblowern deshalb einen Tipp: „Suchen Sie sich vorher einen Anwalt.“
Eigentlich sollen Whistleblower in der EU künftig besser geschützt sein. Eigentlich. Seit 2019 gibt es dazu eine EU-Richtlinie, die bis zum 17. Dezember in nationales Recht umgesetzt sein muss. Einen Entwurf dazu hatte die Union im Frühjahr 2020 aber gekippt, ob die Frist eingehalten wird, ist sehr fraglich.
Auch die taz hat einen Briefkasten für sensible Daten, über den Informationen verschlüsselt und anonym an die Rechercheredaktion gesendet werden können. Weitere Informationen finden Sie unter informant.taz.de.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei