Pâtisserie ist politisch

Eine Berlinerin backt Torten für Allein­erziehende, Queers und nichtweiße Menschen. Der Geschmack ist ihr bei den „Commie Cakes“ so wichtig wie die Botschaften darauf. Backen ist ihre „Love Language“

Hat wohl Glück gebracht, dieses Küchlein Fotos: Commie Cakes

Von Leonie Gubela

Fragt man Commie, wie sich der Marxismus am besten einverleiben lässt, sagt sie: als Hörbuch und aus Zuckerteig. „Das Kapital“ ist am verdaulichsten, wenn man es sich vorlesen lässt. Und Marx selbst, der muss durch den Magen gehen. Sein wallender Bart, die buschigen Augenbrauen geformt aus Modelliermasse auf einer mehrstöckigen Schokotorte, um ihn herum karamellisierte Pekannüsse und ein knallrotes Arrangement aus verschiedenen Beeren. Denn wer sagt, dass der Weg zum guten Leben für alle nicht gesäumt sein darf mit extravaganten Torten?

Commie ist Ende 20, Kommunistin, lebt in Berlin und backt Fancy Cakes für Menschen, die sich selbst oder ihre Lieben mal so richtig feiern, sich aber aus verschiedenen Gründen nicht an eine herkömmliche Konditorei wenden wollen. Sie backt für Geburtstagskinder und frischgebackene Erstklässler:innen, für Menschen, die ihr Coming-out zelebrieren oder sich antikapitalistische Botschaften auf der Zunge zergehen lassen möchten. Ihre Torten haben keinen konkreten Preis, das Modell basiert auf Solidarität. Wer eine Torte bestellt und die Möglichkeit hat, einen Betrag dafür zu spenden, kann das tun. In anderen Fällen übernimmt die Community, also Nutzer:innen, die die Materialkosten für eine fremde Bestellung übernehmen.

„Backen ist meine Love Language“, sagt Commie und nippt an ihrem Minztee. Für das Gespräch hat sie das Café Datscha in Prenzlauer Berg ausgesucht, hinter ihr an der Wand hängt ein gerahmtes Lenin-Porträt. Commie heißt eigentlich anders, ist auf Social Media aber unter diesem Namen unterwegs und wird mittlerweile auch von einigen Freun­d:in­nen so genannt. „Ich war viele Jahre alleinerziehend, und das bedeutet, konstanten Mangel zu haben“, erzählt sie. „Diese eine Sache, von der aber immer genug da war, ist meine Kreativität.“

Sie beginnt, jedes Jahr eine extravagante Torte für sich und ihr Kind zu backen, einfach so, für die Gönnung. Sie liest sich ein, übt und experimentiert, die Torten werden höher, leckerer, einzigartiger. Sie weiß, der Geburtstag eines Kindes und alles, was dazugehört, ist für viele Mütter, insbesondere die alleinerziehenden, ein Sinnbild für Stress, Überforderung und Performancedruck. Vor ein paar Monaten twittert sie aus einer Laune heraus, dass sie sich freuen würde, könnte sie ein paar Single Moms zumindest das mit dem Kuchen abnehmen. Tausende ­faven und retweeten, eine Handvoll Mütter meldet sich tatsächlich. Und es hagelt Kommentare von Menschen, die das Vorhaben toll finden und unterstützen möchten. „So entstand die Idee mit der Solitorte.“

 Ob Lenin wirklich Blumen verdient hat?

Nach Feierabend, wenn die Kinder im Bett sind, beginnt sie zu backen. Für Sava eine Astronautentorte zum 8. Geburtstag, für Lena zur Einschulung einen Cake, aus dem der Computerspiel-Igel „Shadow the Hedgehog“ herauszuspringen scheint. Die Ergebnisse postet sie auf Instagram, dort werden sie bejubelt, ihre Abon­nen­t:in­nen­zahl steigt rasant.

Das ist drei Monate her. Mittlerweile bekommt Commie mehr Anfragen, als sie realisieren kann. Damit der Ursprungsgedanke nicht verloren geht, hält sie Kapazitäten frei: „für Menschen, die von der Gesellschaft nicht genug gefeiert werden, die marginalisiert sind“, sagt sie: etwa Menschen, die Care-Arbeit leisten, für nichtweiße Menschen, Queers, für Kinder. Ihre Torten sollen keine Charity sein, Commie sieht das pragmatisch: „Ich habe nicht viele Ressourcen, die ich teilen kann, kein Haus zum Umsonstvermieten. Aber ich kann gut backen“, sagt sie. Als Dank für ihre Torten habe sie mal eine Obstbox bekommen, superschöne Blumen, selbstgemachtes Fruchtleder und Gemüsechutney. „Das erwarte ich natürlich gar nicht“, sagt sie. „Aber es fühlt sich an, als würden wir Talente teilen.“

Gleichzeitig wird ihre Pâtisserie politisch. Die Marx-Büste auf eine Torte zu setzen macht ihr so viel Spaß und kommt so gut an, dass sie beginnt, politische Forderungen in geschwungenen Lettern aus bunter Blütenpaste auf ihre Cakes zu schreiben. „It’s time for the fall of racism“, „There can be no justice with­out peace“ und „Ja! Zum Volksentscheid Deutsche Wohnen“. Sie fordert „Konsequenzen für Luke“ und „Free Britney“ und feiert die Verurteilung Jérôme Boatengs wegen Körperverletzung mit einer magentafarbenen Torte, die sein Strafmaß ziert.

Als im September in Berlin die Krankenhausbeschäftigten von Charité und Vivantes für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen, backt sie für die Tarifkommission ihr bisher aufwendigstes Werk. Commies ersten dreistöckigen Cake schmücken nach oben gereckte Fäuste, darunter die Forderung nach gerechten Löhnen. Obenauf liegt eine Spritze aus weißer und türkiser Modellierpaste. „Da habe ich wirklich versucht, mich selbst zu übertreffen“, sagt sie. „Das war mir wichtig.“

Zuckerguss gegen rechts!

Bei jedem neuen Auftrag versucht sie, ein bisschen was dazuzulernen. Zuletzt hat sie zum ersten Mal „Cake Stencils“ ausprobiert, Schablone für die seitliche Verzierung. Es sind dünne Kunststofffolien, die um die fertige kalte Torte gewickelt und dann mit einer Buttercreme in einer anderen Farbe bestrichen werden. Am Schluss hat man ein hübsches Muster. Aktuell arbeitet sie an „Sugar Flowers“, aus Fondant geformte Blüten. Dafür braucht man Modellierwerkzeug, das an OP-Besteck erinnert, exzellente Fingerfertigkeit und gute Nerven. Und ihre Freihandschrift trainiert sie sowieso immer wieder. Jedes Mal verschiedene Aufsätze auf dem Spritzbeutel, jedes Mal ein anderer Schwung im Handgelenk.

Seit ihre Torten politisch sind, backt Commie häufig wütend. „Und das ist okay. Ich finde es gut, wenn aus Wut etwas Produktives entsteht, das dann auch noch schön und lecker ist.“ Instagram jedenfalls liebt ihre Kunst. Für eine Plattform, die Ästhetik und #thegoodlife zelebriert, gleichzeitig aber immer politischer wird, kann es fast keinen geeigneteren Content geben.

Auch wenn die Torten in ihren Botschaften gewichtiger werden, soll die Leichtigkeit unbedingt bleiben. Commie wird nicht beruflich backen, sie will nicht anfangen müssen, ökonomisch zu denken. „Ich habe den Luxus, dieses Projekt neben meinem eigentlichen Job zu machen“, sagt sie. Sie könne sich aussuchen, wessen Anfragen sie annehme, da sei kein Zeitdruck, keine Dienstleistung, die sie zu erfüllen habe. „Ich kann mich auf die Menschen, für die ich backe, einlassen und darf ihre Lebensgeschichte zu essbarer Kunst machen.“ Backen ist nun mal ihre Love Language, und sie hat einiges zu sagen.