Veganes Backen: Alles eine Frage der Statik

Bei mehrstöckigen Torten auf Eier, Sahne und Butter zu verzichten, fällt vielen schwer. Wie rein pflanzliche Meisterwerke gelingen, wissen die Profis.

Vier rechteckige Tortenschnitten mit blasslila Creme und Fruchtfüllung

Kein raffinierter Zucker, aber ein raffinierter Look: vegane Tortenschnitten von „Èpique“ Foto: Épique

Florentine Gronskis weitest angereiste Kundschaft kam aus dem Süden Bayerns nach Düsseldorf. Der Grund für die lange Fahrt: Das Paar wollte auf seiner Hochzeit eine besonders gute vegane Torte servieren. Und derlei ist noch immer ziemlich selten zu bekommen.

Gronski ist gelernte Konditormeisterin. Ihre Ausbildung absolvierte sie in einem klassischen Familienbetrieb, in dem Biskuitböden mit Eiern gebacken und Cremefüllungen mit Sahne angerührt wurden. Schon damals haderte sie mit den massenweise verwendeten Tierprodukten, die, wegen günstigerer Preise, oft aus Großbetrieben stammten. In der Backstube „La Fiorentina“, die Gronski vor zwei Jahren eröffnete, kommen nun ausschließlich pflanzliche Zutaten zum Einsatz.

Die vielen Ordner mit Rezepten, die sie in der Ausbildung gesammelt hat, stehen inzwischen ungenutzt im Schrank. „Ich musste eigentlich alles neu lernen“, sagt die 27-Jährige. Auch kann sie auf viele etablierte Ersatzstoffe für tierische Produkte – wie eingeweichte Leinsamen und Bananen statt Eiern oder neutrales Öl statt Butter – nur bedingt zurückgreifen. „Das geht wunderbar zu Hause oder in Cafés, in denen rustikale Kuchen gebacken werden. Aber meine Torten haben ganz andere Anforderungen an Geschmack, Optik und Konsistenz.“ Bei mehrstöckigen Kreationen aus Biskuit, Creme und Füllung müsse schließlich auch die Statik mitmachen.

Soja und Hafer bringen Flaumigkeit und Trieb

Für Cremes greift Gronski auf Alternativen auf Soja- und Haferbasis zurück. Dabei gelte es, auf Fettgehalt und Enzyme zu achten, sonst passiert, was vegane Kaffeetrinker von ihrem Milch­ersatz kennen: Die Masse kippt, wird klumpig, trüb und sauer. Die größte Herausforderung seien aber die Teigschichten: „Normalerweise verleiht die lang aufgeschlagene Eier-Zucker-Masse einem Biskuit Flaumigkeit und Trieb“, sagt die Konditormeisterin. Und was ist dann das Geheimnis ihrer luftigen Teigböden? Keine „fancy Ersatzstoffe“, stattdessen hochwertiges Backpulver, eine Kombination aus Natron und Säure. Und sparsames Rühren.

Das ist alles? Gronski zögert und lacht. Mehr will sie nicht verraten. Schließlich steckt viel Arbeit in der Rezeptentwicklung. Anfangs sei ihre Küche – „nein, eigentlich die ganze Wohnung“ – mit Torten und Schüsseln belagert gewesen. Wichtigstes Hilfsmittel: eine Feinwaage, um Zutaten aufs Milligramm genau abzuwiegen.

Eine dreistöckige weiße Hochzeitstorte mit gelben Blüten als Verzierung

Schlank und elegant wie eine Statue: Hochzeitstorte von „La Fiorentina“ Foto: Florentine Gronski

Denn Backen ist Chemie. Damit ein Teig aufgeht, müssen die Bestandteile in der richtigen Reihenfolge und im passenden Tempo vermischt und anschließend bei exakter Temperatur gebacken werden. Nur so verwandelt sich eine zähe, kompakte Masse in luftigen Kuchen oder blättriges Gebäck. Um jene über lange Zeit perfektionierten Abläufe ohne tierische Produkte nachzustellen, braucht es einige Geduld und viel Feingefühl.

„Was wir machen, geht eigentlich schon in die molekulare Richtung“, sagt Jacintha Talmon Gros, Gründerin der veganen Patisserie „Kaek“. Sie kam als Quereinsteigerin ins Tortenbusiness. Aus dem anfänglichen Hobby entwickelte sich ein Blog über vegane Hochzeitstorten. „Der war ganz schlecht“, sagt sie und lacht. Dennoch bestellten Brautpaare bei ihr. „Die waren wohl so verzweifelt, weil es das sonst einfach nirgends gab.“

2021 folgte ein Ladenlokal in Stuttgart, in dem sie ihre Patisserie verkauft. Auch Talmon Gros musste viele Torten backen, bis „die richtigen Grundformeln“ gefunden waren: „Ich war wie Daniel Düsentrieb in meiner Experimentierküche.“ Mitunter verwendet sie tatsächlich Produkte, die sonst in der Molekularküche zum Einsatz kommen, etwa den Verdickungsstoff Xanthan oder pflanzliche Bindemittel wie Guarkernmehl.

Natürliche Rohstoffe verleihen Farbe

Man müsse überlegen, welche Funktion die jeweilige Zutat in der Ausgangsrezeptur habe und dann entsprechende Ersatzrohstoffe finden, sagt sie. „Im Zweifelsfall auch mehrere, da jeder eine andere Funktion ausübt.“ Beim Ei zum Beispiel brauche es einen fürs Mundgefühl, einen anderen, der Fett und damit Geschmack liefert, einen dritten für die gelbliche Farbe und einen vierten, der – anstelle des Lecithins – den Teig bindet. Auch dabei greift Talmon Gros auf pflanzliche Mittel zurück. Und die Farbe? „Entsteht durch die natürlichen Rohstoffe, die auch die Geschmacksbasis bilden.“

Wer nach veganer Patisserie sucht, stößt schnell auf „Raw Baking“, ein Konzept, das in Australien und Kalifornien groß wurde. Die Zutaten werden dabei nicht gebacken, sondern lediglich gemischt. Dadurch, so die Theorie, bleiben mehr Aromen und Nährstoffe erhalten. Angewandt wird das Prinzip etwa von Dirk und Eva Johnston in ihrem 2020 gegründeten Start-up „Épique“, in dem sie elegante Kuchenschnitten herstellen, vegan, roh, glutenfrei, ohne raffinierten Zucker.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Die Idee zur eigenen Backstube entstand, weil Eva Johnston nichts Süßes fand, das ihren Ernährungsgewohnheiten entsprach. Der Onlineshop, über den sie und ihr Partner ihre Kreationen mittlerweile an Kunden im ganzen Land verkaufen, entstand aus der (Corona-)Not. „Innerhalb von ein paar Stunden war alles ausverkauft“, sagt Dirk Johnston.

Als Basis dienen meist Cashewnüsse, die für mehrere Stunden in leicht gesalzenes Wasser eingelegt wurden. Dadurch kommt eine Fermentation in Gang, die Nüsse beginnen zu keimen und werden besser verdaulich. Durch langes Rühren entsteht eine cremige, homogene Masse mit „toller Cheesecake-Konsistenz“, schwärmt Dirk Johnston. Für veganes Karamell nehmen sie Datteln und Tahini, für die Schokoganache dienen Kokosöl und Ahornsirup.

Mischen und kühlen, das klingt einfach. „Theoretisch ist es das auch. Zwei Dinge machen es aber schwierig“, erklärt der Fachmann. Zum einen gebe es kaum Wissen und erprobte Methoden. Die kunstvollen Schnitten seien das Ergebnis vieler schlafloser Nächte, die das Paar in einer gemieteten Küche im Voralpenland verbrachte. Um seidige, homogene Cremes herzustellen, brauche es außerdem große Mengen – und Maschinen. „Ohne eine gewisse Masse kann man nicht genug Zug kreieren“, erklärt Dirk Johnston. Das sei wie bei einem spärlich befüllten Mixer, bei dem der Inhalt in kurzer Zeit in Klumpen am Deckel klebt.

Manchen liegt das „rohe Backwerk“ schwer im Magen

Auch Jacintha Talmon Gros hat mit Raw Baking experimentiert, sich allerdings schnell davon verabschiedet. Als Grund nennt sie die teuren und gehaltvollen Rohstoffe: „Das liegt ziemlich schwer im Magen.“ Diese Rückmeldung hätten sie von ihren Kunden nicht bekommen, sagt Épique-Gründer Dirk Johnston. Die Stücke seien nahrhaft, dadurch verspüre man nicht den Drang, immer mehr zu essen. „Nach einem Slice sagt der Körper: Danke, das reicht.“ Zu ihren Kunden zählten nicht nur Veganer, sondern auch ernährungsbewusste Sportlerinnen und Leute, die Neues ausprobieren wollten.

Noch ist die vegane Patisserie eine Nische. Akzeptanz und Interesse wüchsen aber, sagt die Düsseldorfer Patissière Florentine Gronski. Manche Brautpaare erzählten ihren Gästen erst hinterher, dass die Torte vegan war. „Gemerkt hat es noch nie jemand.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.