Kosten von Klimapolitik: Arme zahlen drauf

Im Wahlkampf wollen plötzlich alle Klimaschutz. Bisher finanzieren den allerdings eher die kleinen Einkommen. Dabei ginge es gerechter.

Drei Autos stehen an einer Ladestation

Ladestation für Autos von Tesla, die werden hoch subventioniert und sind trotzdem für viele zu teuer Foto: Paul Langrock

Überraschend war die schlechte Nachricht nicht: Deutschland werde 2021 sein Klimaziel um etwa 47 Millionen Tonnen CO2 überschreiten, warnte am Montag eine Studie des Thinktanks Agora Energiewende. Eine neue Bundesregierung muss schnell gegensteuern. Und am schnellsten geht das über einen höheren CO2-Preis fürs Tanken und Heizen.

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Da aber entdecken plötzlich viele ihre angebliche soziale Ader: FDP-Chef Lindner warnte im Juni mit falschen Rechnungen vor hohen Belastungen, als die Grünen einen höheren CO2-Preis forderten. CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer sprach von „Preisen, die immer weiter nach oben gehen“.

Finanzminister Olaf Scholz warf den Grünen vor, sie zeigten, „wie egal ihnen die Nöte der Bürgerinnen und Bürger sind“, die Linke sprach von der Spaltung der Gesellschaft durch hohe Energiepreise. Meist wird dann die Sorge um die „ungedämmte Pendlerin“ beschworen: also um Menschen, die zu Hause viel Geld fürs Heizen zahlen und weit zur Arbeit pendeln müssen.

Was ist dran an den Vorwürfen? Die Frage ist eines der heißesten Eisen der Klimapolitik. Denn bislang betreibt Deutschland tatsächlich häufig Klimaschutz auf Kosten der Armen. Aber es ginge auch anders.

Wie unsozial ist der neue CO2-Preis?

Seit 2021 kostet jede Tonne CO2 beim Heizen und Tanken in Deutschland 25 Euro. Im Schnitt bedeutete das für jeden Haushalt 10 Euro Mehrkosten monatlich. Der Staat nimmt damit etwa 7,4 Milliarden Euro ein. Das Geld fließt indirekt an die BürgerInnen zurück: Als Subventionen beim Austausch von Ölheizungen, für den Aufbau von E-Ladesäulen, für billigere Bahntickets, einen stabilen Strompreis und eine höhere Pendlerpauschale. Weil aber alle gleich zahlen, werden finanziell schwache Haushalte prozentual höher belastet.

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Dabei könnte das auch ganz anders sein. Der Thinktank Mercator Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) hat durchgerechnet, welche Entlastung 2022 für einen CO2-Preis von 50 Euro (geplant sind bisher nur 35 Euro) für welche Haushalte wirken würde – und gleich noch einen Internetrechner für den Selbstversuch hinzugefügt. Wie könnte die Belastung gerecht ausgeglichen werden? Es gibt fünf Wege: höhere Heizkostenzuschüsse für Sozialhilfe-Empfänger; dann durch eine Verpflichtung der Vermieter, 50 Prozent der erhöhten Heizkosten zu tragen; drittens über eine Senkung des Strompreises oder eine Erhöhung der Pendlerpauschale und schließlich als direkte Rückzahlung pro Haushalt in Form einer „Klimadividende“.

Das Ergebnis zeigt, dass effizienter Klimaschutz auch gerecht sein könnte: „Bei einer gezielten Rückverteilung würden die Ärmsten nicht benachteiligt“, bilanziert die Studie, „das genaue Gegenteil ist richtig.“ Bei der Klimadividende käme demnach das ärmste Fünftel der Haushalte am besten weg, am Ende bekämen diese mehr zurück als sie über den CO2-Preis zahlen. Reiche Haushalte mit hohem CO2-Ausstoß dagegen zahlen drauf, mittlere Einkommen landen etwa bei einer grünen Null. Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kam bereits 2019 eine Studie des Öko-Instituts.

Besonders wirksam für einen sozialen Ausgleich ist nach den MCC-Berechnungen die Kombination von verschiedenen Möglichkeiten des Ausgleichs: Die Klimadividende plus Pendlerpauschale und Härtefallregelung für MieterInnen mit einer Ölheizung würde die Armen davor bewahren, für den Klimaschutz draufzuzahlen. Die Daten der Studie legen aber auch nahe, dass es die „ungedämmte Pendlerin“ mit Ölheizung, von der in der Politik oft die Rede ist, nur sehr selten gibt: „Selbst wenn man die Grenze bereits bei 20 Kilometer Anfahrtsweg zur Arbeit ansetzt, betrifft das im ärmsten Fünftel nur rund 120.000 Haushalte“, sagt MCC-Forscherin Christina Roolfs, die an der Studie beteiligt war. „Für diejenigen, die hier besonders getroffen werden, könnte man sicherlich eine sinnvolle Härtefallregelung entwickeln.“

Die Studie will mit vier „verbreiteten Irrtümern zum CO2-Preis“ aufräumen: Billiger Strom bringe den Armen nichts – falsch, sagt die Studie, die Ausgaben für elektrische Geräte machen bei ihnen prozentual mehr aus als bei Reichen. Auch sei die Fernpendlerpauschale anders als oft behauptet keineswegs „entscheidend für die Landbevölkerung“: Die bisherige Regelung bevorzuge Reiche, die weiter fahren und in größeren Häusern mehr heizen als Geringverdiener.

Ein weiterer Irrtum sei, dass die Klimadividende „vor allem die obere Mittelschicht entlastet“ – im Gegenteil nütze sie den Armen am meisten, weil diese kleinere Wohnungen und Autos mit geringerem Verbrauch besitzen. Ähnlich hatte auch schon die DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert argumentiert: „Haushalte mit niedrigen Einkommen würden in der Regel bessergestellt, weil bei ihnen die Prämie die Steuerbelastungen überstiege.“

Wie teuer macht Klimaschutz das Wohnen?

Die MCC-Studie widerspricht auch der These der SPD im Wahlkampf, dass vor allem die Teilung der gestiegenen Heizkosten zwischen Mieter und Vermieter „entscheidend für eine sozial ausgewogene Energiewende“ sei – was die Union blockiert. Weil bei dieser Rechnung nicht der Anstieg beim Tanken berücksichtigt wird, sei die Entlastung für arme Haushalte „nur moderat“, heißt es in der Studie.

Tatsächlich lauern für Mieter in nichtsanierten Häusern auf Dauer hohe Kosten, sagt Melanie Weber-Moritz, Bundesdirektorin des Deutschen Mieterbunds (DMB). „Wir müssen die Sanierungsraten verdoppeln und die schlechtesten Wohnungen kommen dabei zuerst dran – das trifft aber potenziell die schwächsten Haushalte.“ Wer da soziale Härten verhindern wolle, müsse die erlaubte Umlegung von 8 Prozent der Modernisierungskosten auf die Miete auf „höchstens 4 Prozent“ reduzieren, sagt Weber-Moritz.

Der DMB schlägt vor, die Sanierungskosten sollten sich Mieter, Vermieter und Staat zu jeweils einem Drittel teilen. Im Idealfall sollen die eingesparten Heizkosten den höheren Preis pro Quadratmeter ausgleichen, die Kosten also nicht steigen. Bei den höheren Heizkosten durch den neuen CO2-Preis solle nicht wie bisher allein der Mieter zur Kasse gebeten werden, sondern diese sollten allein vom Vermieter getragen werden: „Nur der Vermieter entscheidet doch, welche Heizung eingebaut wird.“ Andere Experten widersprechen: Wie der Mieter heizt, habe großen Einfluss auf seine Rechnung.

EEG: Arme finanzieren Reiche

Eine andere soziale Schieflage beim Klimaschutz liegt im Erfolgsmodell der Energiewende begründet: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz garantiert Bau und Vergütung von Ökoenergieanlagen, vor allem aus Wind, Sonne und Biomasse. Aber das wird nicht durch eine Steuer, sondern die EEG-Umlage finanziert, die auf jede Kilowattstunde aufgeschlagen wird, derzeit etwa 6,5 Cent. Ein Haushalt mit einem Verbrauch von 4.000 Kilowattstunden Strom zahlt dafür im Jahr etwa 260 Euro mehr.

Profitiert von der Umlage haben das Weltklima – und die Investoren. Weil alle privaten Haushalte die gleiche Umlage zahlen, egal, wie arm oder reich sie sind, werden Arme höher belastet. Drastisch gesagt: Die Kassiererin im Supermarkt finanziert über ihren Strompreis dem Zahnarzt seine lukrative Investition in den Windpark.

Eine Steuerfinanzierung (Reiche zahlen mehr) wäre gerechter gewesen, aber hätte wohl den schnellen Ausbau der Ökoenergien verhindert. „Eine Steuerfinanzierung wäre wahrscheinlich an den EU-Regeln zu staatlichen Beihilfen gescheitert“, sagt Carolin Schenuit, geschäftsführende Vorständin beim Forum Ökologisch-soziale Marktwirtschaft (FÖS). Sie gibt zu, dass die Finanzierung des EEG eine leichte soziale Schieflage hat, sieht aber keine Alternative. Dazukomme: „Mit einem Steuermodell hätte jede neue Regierung das Fördersystem wieder ausbremsen können.“ Und Klimaschutz nütze besonders den Armen, weil sie verwundbarer seien. „Die wirkliche soziale Schieflage ist aber die Entlastung der Industrie von der EEG-Umlage. Diese macht mehr als 20 Prozent des gesamten Fördervolumens aus“, so Schenuit.

Ein ähnliches Gerechtigkeitsproblem zeigt sich gerade beim Ausbau der E-Mobilität: Durch Subventionen und Steuervorteile werden E-Autos und ihre Infrastruktur mit vielen Milliarden unterstützt. Das aber komme vor allem den Wohlhabenden zugute, es gebe da eine „erhebliche soziale Schieflage“, moniert ein Bericht des Thinktanks Deutsche Bank Research.

Das Gleiche in Grün: E-Mobilität

Carolin Schenuit kritisiert, dass die öffentlichen Ausgaben auch für eine mögliche Verkehrswende „zu stark für die Auto-Mobilität ausgerichtet sind, da fehlt die Balance“. Öffentliche Zuschüsse förderten Privat-Pkw „ohne ausreichend zu unterscheiden zwischen klimaneutralen Elektrofahrzeugen und klimafeindlichen Plug-in-Hybriden“. Die Investitionen müssten sich auf Schiene, Bus, Rad- und Fußverkehr sowie Ladesäulen konzentrieren.

Die soziale Schieflage beim Klimaschutz wollen die potenziellen Regierungsparteien ganz unterschiedlich beseitigen. Alle wollen die EEG-Umlage abschaffen oder senken und durch Steuerfinanzierung ersetzen. Die Union drängt auf die Pendlerpauschale und blockiert bei der Entlastung der Mieter, sie hält nichts von einer Klimadividende. Die wird zwar von der SPD gefordert, ist aber in der Partei umstritten und verschwindet hinter den Forderungen nach einer Lösung für die Mieter.

Die Grünen setzen auf eine Klimadividende, die Geld direkt zurückzahlt – was bürokratisch schwierig ist. Die FDP wiederum fordert, langfristig alle CO2-Kosten über den EU-Emissionshandel zu regeln – was nach Rechnung von Experten zu Kosten von über 250 Euro für die Tonne CO2 führen könnte.

Die ExpertInnen vom MCC jedenfalls hoffen, dass ihre Zahlen und Berechnungen die aufgeregte Debatte um Klimagerechtigkeit versachlicht. Sie wollen ihr Modell eines CO2-Preises vom Vorwurf des neoliberalen Folterinstruments befreien.

„Eine sozial gerechte CO2-Bepreisung auch mit perspektivisch hohen Preisen jenseits der 100 Euro“, heißt es beschwörend am Ende der Studie, „ist möglich und nötig.“

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