Selbstauflösung des Landtags abgeblasen: Thüringen vor der Unregierbarkeit

Doch keine Neuwahl. Damit endet eine Phase pragmatischer Zusammenarbeit zwischen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung und der CDU.

Leere Tische im Plenarsaal des Thüringer Landtags

Doch keine Sondersitzung: Sommerpause für Thüringer Abgeordnete gerettet Foto: Martin Schutt/dpa

Im vorigen Jahr sprang die CDU Thüringen noch über ihren Schatten – und über den der Bundespartei erst recht. Nach der Landtagswahl vom Oktober 2019 ohne Mehrheiten jenseits von AfD und Linkspartei und der Vorführung des Parlaments mit einem Scheinkandidaten durch eine gewissenlose AfD am 5.Februar 2020 schien sie ein „Thüringen first“ ausgerufen zu haben. Scheinbar altruistisch tolerierte sie mit dem „Stabilitätsmechanismus“ faktisch die rot-rot-grüne Minderheitsregierung Bodo Ramelows. In der Praxis sogar eine komfortable Mitregierungsoption, weil ohne Projektzustimmungen der Union nichts lief.

Das letzte dieser Projekte sollte ein gemeinsamer Beschluss zur Selbstauflösung des Landtags am kommenden Montag sein. Wechselnde Mehrheiten im Dienst pragmatischer Lösungen erscheinen nach wie vor zu revolutionär, auch wenn sie die linke Sozialministerin Heike Werner gerade noch einmal ins Gespräch brachte. Von einer Neuwahl parallel zur Bundestagswahl wurden klassische Mehrheiten erhofft.

Dass es nicht dazu kommen wird, hat nichts mit den Umfragen dieses Jahres zu tun, die gegenüber 2019 kaum veränderte Mehrheitsverhältnisse, also auch kein besseres CDU-Ergebnis erwarten lassen. Die Rücknahme des aussichtslos gewordenen Auflösungsantrages durch Linke und Grüne am Freitag bot der CDU Gelegenheit, den Schwarzen Peter loszuwerden. Als ob vergessen wäre, dass schon Ende Mai vier Verweigerer der CDU die erforderliche Zweidrittelmehrheit kippten.

Feige erklären sie bis heute nicht, warum sie keine Neuwahl wollen. Ein ziemlich bedeppert wirkender CDU-Fraktionschef Mario Voigt sprach am Freitag nur von deren „Gewissensentscheidung“, wohl wissend, dass es einen fürchterlichen Fraktionskrach gab. Auch ein Professor wie Voigt hat die gleich in mehrere Lager gespaltene CDU-Fraktion nicht im Griff. Nur vermutet werden kann, dass es sich bei den vier Verweigerern um regelrechte Kommunistenhasser handelt, die um keinen Preis ein Arrangement mit der Linken wollen. Bei Michael Heym, der in Südthüringen die Kandidatur von Ex-VS-Präsident Hans-Georg Maaßen einfädelte, spricht einiges dafür.

Aber auch zumindest zwei Abgeordnete der Linken sollten demütig ihr Haupt senken. Sie „dickschten“ ebenfalls, wie man nebenan in Sachsen sagen würde, weil ihnen das Angebot der Noch-FDP-Abgeordneten Ute Bergner zur Mehrheitsbeschaffung suspekt erschien. Deren angestrebte neue Partei „Bürger für Thüringen“ riecht verschwörerisch und verquerdenkend.

Immerhin bestand noch Konsens, bei der Selbstauflösung nicht auf die AfD angewiesen sein zu wollen. Der Schock ihres Votums für den Quickie-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich von der FDP 2020 wirkt nach. Aber erneut kann sich die hartnäckig bei 23 Prozent gehandelte AfD am Dilemma der anderen fünf Parteien weiden, wozu die vier CDU-Abweichler erheblich beigetragen haben.

Mit „Verantwortung für Thüringen“ hat dieser schwarze Freitag nichts zu tun. Nach der nun auch noch von Mario Voigt ausgesprochenen Absage an jegliche Zusammenarbeit mit der RRG-Minderheitskoalition droht Unregierbarkeit – bis 2024!

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Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.

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